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Brauchen Sie ein Redaktionssystem?

Die Cloud und die Miete von Software und Services machen Redaktionssysteme erstmals für alle bezahlbar. Worauf aber ist zu achten und welche Lösungen bietet der Markt?

haeme ulrich «Du kannst eine Welle nicht stoppen, aber du kannst lernen, sie zu surfen.» Die aktuellste Welle ist Cloud Publishing – eine neue Art der Zusammenarbeit auf Basis von Webtechnologien. Ob die Cloud in den eigenen vier Wänden läuft oder öffentlich ist, spielt grundsätzlich keine Rolle. Es geht um die darunterliegende Webtechnologie. Und es geht darum, Systeme und Dienstleistungen zu mieten statt zu kaufen. Dies wiederum ist gewissermassen die Demokratisierung von Software und deren Möglichkeiten. Erstmals können auch kleine Unternehmen die grossen Systeme nutzen: Du bezahlst, was du brauchst.

Ziele eines Redaktionssystems

Die Einführung eines Redaktionssystems ist ein IT-Projekt, das nicht eben nebenbei mitläuft. Der Bedarf für ein solches System muss klar erkennbar sein, um die Investition zu legitimieren. Letztlich geht es um Steigerung von Effizienz und Verminderung von Fehlern beim Herstellen von Publikationen. Und nicht um das «Haben des letzten Schreis».

Ich gehe in diesem Artikel von einem auf InDesign basierenden Workflow für Drucksachen und digitale Publikationen aus. Hierbei ergeben sich typische Rollen wie Autor, Designer oder Layouter, Lektor, Übersetzer und Produktionsleitung (Chef vom Dienst). Während Autoren, Lektoren und Übersetzer ihre Arbeit mit speziell für die Textverarbeitung optimierten Tools wie InCopy, Word oder Webclients erledigen, arbeiten Designer oder Layouter mit InDesign. Allen gemeinsam ist der Zugriff auf das zentrale Redaktionssystem.

Ein Redaktionssystem ist keine Standardsoftware, deren Bedienung einfach mal vorausgesetzt werden kann. Wer nicht regelmässig mit dem Redaktionssystem arbeitet, ist vermutlich zu wenig effizient, um dessen Nutzung zu legitimieren. Leider gibt es in unserer Branche zu viele «Redaktionssystem-Leichen». Ich meine damit Systeme, die installiert wurden, weil es halt zum guten Ton gehört, mit einem solchen System zu produzieren. Klären Sie vor der Einführung immer ab, wie regelmässig Benutzer mit dem System arbeiten werden. Einmal pro Jahr die Zahlen im Geschäftsbericht anzupassen, reicht nicht, um das System zu beherrschen und die Effizienz zu steigern.

Die Stärken

Der grösste Vorteil, mitunter auch die grösste Änderung bei der Einführung eines Redaktionssystems, ist die konsequente Trennung von Inhalt und Design. Das Aussehen steuert InDesign, der Inhalt kommt aus InCopy, Word oder anderen Textwerkzeugen. Weil der Inhalt losgelöst vom Layout vorgehalten wird, kann er in unterschiedliche Layouts oder gar unterschiedliche Medien wie Print, Web oder App fliessen. Gepflegt wird der Inhalt zentral über das Redaktionssystem.

Die Trennung von Inhalt und Design ermöglicht das gleichzeitige Arbeiten von mehreren Personen an einem Dokument. Jedem Benutzer wird innerhalb des Systems eine Rolle zugewiesen. Damit sind Rechte, Pflichten und zu erledigende Arbeiten klar geregelt.

Der Produktionsprozess wird dem System hinterlegt. Voneinander abhängige Arbeitsschritte können zentral gesteuert und überprüft werden. Das Abspeichern der Daten und das Vorhalten von Dateiversionen managt ebenfalls das Redaktionssystem.

Schliesslich ermöglichen die zentrale Datenhaltung und die vorgegebenen Prozesse umfangreiche Automationen. Erreicht ein Job einen gewissen Status, löst dies automatisch einen nächsten Arbeitsschritt aus. Der kann innerhalb des Redaktionssystems passieren oder einen Prozess in einem direkt verbundenen Drittsystem auslösen.

Die Schwächen

Wie überall, wo es Vorteile und Erleichterungen gibt, sind auch Einschränkungen und Nachteile zu finden. So ist der Initialaufwand für die Einführung eines Redaktionssystem nicht zu unterschätzen. Es geht nicht bloss um Technologie. Prozesse und somit Gewohnheiten müssen hinterfragt und neu geregelt werden.

Dann stellt sich die Frage, was mit alten Ausgaben von Periodika passiert, welche über die vorgängige Produktionsweise entstanden sind. Werden die in das System eingepflegt oder gibt es einen harten Schnitt?

Wie schon erwähnt, sind Fachwissen und Routine notwendig, um ein Redaktionssystem gewinnbringend einzusetzen. Wird nicht regelmässig mit dem System gearbeitet, ist die herkömmliche Arbeitsweise möglicherweise effizienter.

Wichtig bei Cloud-Technologie ist auch ein schneller und zuverlässiger Internetzugang: Kein Internet – keine Produktion, langsames Internet – langsame Produktion.

Weil Systeme gemietet oder amortisiert werden, fallen die wiederkehrenden Kosten auch an, wenn das System nicht genutzt wird.

Das richtige System?

Es gibt unterschiedliche Redaktionssysteme und Werkzeuge auf Basis von InDesign. Um den Überblick zu behalten, haben wir einen Radar entwickelt, um die gängigen Systeme zu positionieren (siehe Grafik). Zur Entwicklung des Radars haben wir uns die Frage gestellt, was denn mögliche Bedürfnisse sein könnten, die mit einem Redaktionssystem abgedeckt werden sollen. Dabei sind wir auf die vier Extreme maximales Workflow-Management, maximale Freiheit in der Zusammenarbeit, maximale Designkontrolle und maximale Automation gekommen. Wobei sich Workflow-Management und freie Zusammenarbeit ebenso ausschliessen wie Designkontrolle und Automation. Wo keine Prozesse vorgegeben sein sollen, ist das Management des Workflows unmöglich. Was pixelgenau, individuell gestaltet sein soll, kann nicht zu hundert Prozent automatisiert werden.

Auf dem Markt gibt es von der einfachen InDesign-Erweiterung für ein paar hundert Franken bis zum komplexen Publishingsystem für mehrere zehntausend Franken alles zu haben. Auf dem Radar haben wir die gängigen Lösungen positioniert, Preise und Infos zum Bezug finden Sie in der Tabelle:

  • WordsFlow: WordsFlow ist ein einfaches InDesign-Plug-in, das die direkte Anbindung von Word- und Excel-Dateien an InDesign-Dokumente ermöglicht. Im Word- oder Excel-Dokument gemachte Änderungen können automatisch in das Layout übernommen werden, ohne dabei die in InDesign vorgenommenen Formatierungen zu verlieren. Die Pro-Version des Plug-ins erlaubt sogar das Aktualisieren der verknüpften Word-Dokumente aufgrund von Textänderungen in InDesign.
  • InCopy: InDesign und InCopy kön­nen auch ohne verbindendes Redaktionssystem benutzt werden. Aus InDesign exportierte Platzhaltertexte werden in InCopy geöffnet und mit dem effektiven Inhalt überschrieben. Die Zusammenarbeit zwischen InDesign und InCopy kann über E-Mail, über einen Fileserver oder über einen Cloud-Speicher wie Dropbox vonstattengehen.
  • DocsFlow: Das InDesign-Plug-in DocsFlow verbindet InDesign mit Google Drive. In der Google-Cloud gespeicherte Google-Docs (Texte) und Google-Tabellen werden direkt mit InDesign verbunden. In der Cloud gemachte Änderungen können automatisiert in das InDesign-Layout übernommen werden. Textänderungen aus InDesign können wieder zurück auf die Google-Cloud gespielt werden, damit der Datenstamm in der Cloud aktuell bleibt. Eine vollwertige Prozesssteuerung ist mit dem Plug-in nicht vorgesehen. Workflows können mit den Funktionen von Google Drive ge-managt werden.
  • TruEdit: TruEdit ist das preiswerteste Redaktionssystem, mit welchem Prozesse definiert und Benutzer mit Rechten und Pflichten hinterlegt werden können. Es läuft zu hundert Prozent in der Cloud und kann nur direkt beim Hersteller gemietet und betrieben werden. Redaktoren arbeiten mit Word und Excel, als Schnittstelle zum System dient der Webbrowser. Für InDesign gibt es ein Plug-in, das den Zugriff auf die Cloud regelt.
  • K4, Enterprise, cen­share: K4 von vjoon, Enterprise von WoodWing und censhare vom gleichnamigen Hersteller sind die klassischen Redaktionssysteme in der InDesign-Welt. Sie werden häufig auf dem eigenen Server installiert, können alternativ aber auch bei einem Dienstleister betrieben und gemietet werden. Der Zugriff erfolgt dann über Webtechnologien wie VPN, Citrix oder den Webbrowser. Prozesssteuerung und Automation sind bei diesen Systemen am weitesten fortgeschritten. Für die tägliche Produktion von Magazinen oder Zeitungen haben sie sich längst etabliert. Die umfangreichen Konfigurationsmöglichkeiten und das Betreiben auf dem eigenen Server verursachen jedoch einen grossen Initialaufwand und recht hohe wiederkehrende Kosten. Ein solches System kann nur bei entsprechend hohem Durchsatz gewinnbringend betrieben werden.

Tipps zur Kostenberechnung

Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, die Kosten auf drei Jahre Betrieb auszurechnen. Für das erste Jahr addieren wir die einmaligen Kosten für Prozessdesign, Installation, Konfiguration Template-Erstellung und Schulung mit den wiederkehrenden Kosten. Für das zweite und dritte Jahr schlagen dann nur die wiederkehrenden Kosten zu Buche. Werden nun die gesamten Kosten über die ersten drei Jahre zusammengerechnet, ergibt sich ein realistisches Bild der Kosten und eine Basis zum seriösen Vergleich unterschiedlicher Systeme.

Die Evaluation

Wird das Bedürfnis für ein Redaktions­system festgestellt, sollte ein einfaches Lastenheft erstellt werden. Darin beschreibt der Auftraggeber den Ist- sowie den künftigen Sollzustand nach der Einführung des Systems. Auf Basis des Lastenheftes können Lieferanten das Pflichtenheft erstellen. Darin steht, mit welchen Massnahmen der gewünschte Zustand erreicht werden kann. Mögliche Punkte für das Lasten- und Pflichtenheft sind: Unterstützte Plattformen (Mac OS X, Windows, Mobile); verwendete Werkzeuge für Text und Layout; gewünschte Ausgabekanäle und Automationen; Vorgaben zur Benutzerverwaltung; Werkzeuge zur Produktionskontrolle; Übernahme der bisherigen Daten aus der alten Produktionsweise; notwendiges Spezialwissen, um das System gewinnbringend zu nutzen; Hosting, Back-up, Versionierung; Security (wo werden die Daten gespeichert?); und schliesslich der vorgegebene Budgetrahmen.

Die erfolgreiche Einführung

Die Einführung muss sorgfältig ge­plant werden, schliesslich stehen grosse Änderungen an. Es geht nicht nur um das neue Werkzeug und die darunterliegende Technologie. Es geht vor allem auch um schlankere Prozesse und neue Abläufe und damit um das Verlassen der vertrauten Arbeitsweise. Insgesamt also mehr um Psychologie denn um Technologie. Unser Vorschlag für die Einführung in elf Schritten:

  1. Lastenheft erstellen und auf dessen Basis Angebote bei potenziellen Lieferanten einholen.
  2. Angebote auswerten und einander gegenüberstellen.
  3. Die besten Lieferanten auswählen und Lösungen präsentieren lassen.
  4. Zwei Systeme für ein Vorprojekt auswählen.
  5. Produktion des Vorprojekts mit «scharfen» Daten über die gewählten Systeme.
  6. Definitiver Entscheid für System und Lieferant.
  7. Prozess-Workshops, um optimale Workflows zu definieren.
  8. Konfiguration des Systems auf Basis der Prozess-Workshops. Erstellung der Templates.
  9. Schulung.
  10. Produktionsbegleitung.
  11. Kontrolle, ständige Verbesserung der Prozesse, Unterhalt/Updates des Systems.

Die Wahl des richtigen Lieferanten ist nicht minder wichtig als die Wahl des eigentlichen Systems. Deckt sich die Arbeitsweise des Lieferanten nicht mit den eigenen Erwartungen, bringt einen das beste System nicht weiter. Hingegen werden optimale Lieferanten zu echten Par1tnern, welche auch die eine oder andere fehlende Funktion locker kompensieren können.

swiss publishing days vom 4. bis 6. November 2015

Am 5. November 2015 referiert Haeme Ulrich an den «swiss publishing days». Verpassen Sie seine Session «Übersicht Redaktions­systeme» nicht!

Informationen und Anmeldung www.swiss-publishing-days.ch

Der Autor

Haeme Ulrich arbeitet als Trainer, Berater und Speaker bei WeLoveYou. Daneben bloggt er unter www.publishingblog.ch Tipps und Tricks rund um das Thema Publishing.

haeme.ulrich@weloveyou.ch

Tel. +41 31 818 01 10

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