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Hier gibts Qualit�t

Januarlöcher sind gut geeignet dazu, mit der Qualitäts­diskussion gefüllt zu werden, der grafischen Branche liebstes Thema. Denn Qualität wird selbstredend beansprucht für das bare Tun an sich.

Ralf Turtschi Die Schweizer, ein Volk von Heimwerkern: Baumärkte boomen, der Gartengrill wird im Bausatz seit Jahrenselbst zusammengebaut, die Diskus­sion dreht sich dabei längst nicht mehr um Kohle (Deutschland) oder Gas (Russland), sondern darum, wer den Grill ohne Bauanleitung schneller als in viereinhalb Stunden zusammenbringt. Mit Anleitung kommt einem Handi­cap gleich, in diesem Fall liegt die zu schlagende Bestzeit bei sechs Stunden. Weil die Chinesen voll automatisiert von oben nach unten übersetzen, sind im Workflow die Zeichnungen durch­einandergeraten, sodass der ­Deckel des ­Webergrills plötzlich als Ascheauffangbecken figuriert. Das ginge ja noch, aber wer jemals versucht hat, die Gasflasche über den ­Brenner zu montieren, der weiss um die erhellende Qualität ­eines dialek­tischen Denkens, das ohne jegliche Bauanleitung auskommt.

Das Heimwerkeln ist ein nicht ganz unterdrückbarer hormoneller Trieb, der aus Kostengründen im Freilandversuch abgebaut wird. Die Idee dahinter ist, das Gleiche wie der Profi, aber günstiger herzustellen. Der Naive denkt, der Profi sei ein Idiot oder er sei so gut wie der Profi. Dieser sieht, dass die Komplexität in der Tiefe durch die Einfachheit der Oberfläche verdeckt ist. Twitter, ­Facebook, StayFriends und andere Sozialwerke stimulieren den Heimwerkertrieb, aber all die elektrostatischen Aufladungen im Netz sind nun doch einen rechten Schritt von professioneller Bild-Text-Arbeit weg.

Aus der Internettechnologie kommend flutet aus Bilddatenbanken ein Bildersturm über die Profifotografen, sie legt Web-to-Print-Layouterbiotope trocken, oder führt dazu, dass in Redaktionslösungen redaktionäre Schreiber zu reaktionären Gestaltern mutieren. Alle schöpfen den neuen Handlungsspielraum voll aus und sehen eine grandiose Qualitätsverbesserung ihres eigenen Tuns. Nicht des Resultates.

Sparen ist angesagt, die Preise werden nicht nur bei den Anzeigen gedrückt. So findet selbst der Staat zu einem ruinösen Einkaufsgebaren. Auf dem Rücken von Gewerbe und Industrie, die immer mehr Mühe bekunden, Gewinne zu erzielen, Investitionen zu ­tätigen und Arbeitsplätze zu schaffen, vergibt er Aufträge an den Günstigsten. Wohl kein Einkäufer ist sich der Zusammenhänge bewusst: ­Schmale oder keine Gewinne vernichten Arbeitsplätze. Der gleiche Staat ist dann redlich bemüht, die Arbeitslosen via Sozialversicherung mit dem vorhin Eingesparten über Wasser zu halten. Es ist pervers: Je weniger der Staat an Steuergeldern einnimmt, desto mehr bedient er sich über Abgaben, Gebühren und sonstige Einnahmen, um die wachsenden Erwartungen zu decken. Dazu gehört eben der «optimierte» Einkauf grafischer Produkte. Wie verhalten sich die günstigsten Anbieter? Sie reissen sich den A… auf und liefern die bestmögliche Qualität über Nacht zu 50% der Gestehungskosten. Na ja, vielleicht nicht ganz alle. Die andern versuchen, ihre Kosten zu minimieren, sie automatisieren, standardisieren und beschäftigen billige oder weniger Arbeitskräfte, die dann nach weniger Steuern und Abgaben rufen. Eine politische Brutpfütze der Angst, in der sich leicht mit ein paar tumben Plakaten Gesinnungsgesindel bilden lässt.

Für die Qualität hat die Kostentreiberei auch sonst fatale Konsequenzen, denn Bildung oder Menschen lassen sich nicht automatisieren. Qualität hat zu tun mit der Motivation, dem Wissen und den Fähigkeiten der Beschäftigten, sich den Anforderungen des Marktes zu stellen, Produkte zu generieren, um Wertschöpfung zu erzielen. Bildung ist ein gesellschaftspolitisches Thema ersten Ranges, denn Qualität ist direkt davon abhängig. Doch was ist Qualität? Wird sie erkannt und entsprechend ihrer Wertigkeit honoriert? Wie steht es um Kommunikation, Gestaltung oder Leserlichkeit? Wie viel mehr ist ein Plakat wert, wenn es funktioniert, wie es sollte? Wie viel mehr wert ist eine Zeitung, die angenehmer gelesen werden kann? Das Schlechte lässt sich erst im Vergleich mit dem Guten erkennen und ist schwierig zu bemessen. Während Profilierungsprofis in den Weiten der Farb­räume wirre Scheingefechte austragen, überholen uns die Kunden beidseitig. Sie muss das Gezeter wenig kümmern, sie liefern einfach ihre Daten, die mit den gleichen Werkzeugen, aber mit weniger Kenntnis entstanden. Die notwendigen Eingriffe können ihnen egal sein. Der moderne Workflow lässt zu, dass nicht druckreife PDFs durch entsprechende Korrekturprofile automatisiert Ausgabequalität erreichen.

Die Qualitätsfrage kann nur auf den Schild heben, wer den Diskurs darüber führt. Es fehlt eine Branchenveranstaltung, bei der Qualität ausgezeichnet wird. Der Art Directors Club, die Werber, Sportler, Schriftsteller, Marketingleute, Önologen, Pornodarsteller, alle haben ihre Awards, bei denen sie sich wenigstens einmal im Jahr ins Schaufenster stellen können. Die österreichischen Drucker vergeben den Golden Pixel Award, wir haben nicht mal einen Kieselstein, wenn wir von Zeitungen und Jahresberichten absehen. Vielleicht fehlt es an guten Beispielen, allenfalls könnte man ja den «Gully-Award – schlimmer gehts nimmer» ins Leben rufen. Die Schmähung würde über Facebook funktionieren, die Server wahrscheinlich zusammenbrechen.

Vielleicht fehlt der Branche das Wertverständnis, um Qualitäten zu definieren und auszurufen. Wir brauchen ein Manifest der Hochwertigkeit! Zeigt den Kunden mit konkreten Beispielen, weshalb sie zu uns kommen sollen, statt dilettantisch auszusehen. Lasst uns Leerläufe vermeiden.

Bildungspolitisch heisst dies aber, weg von Qualifikationen, die der Kunde nach seiner Meinung ohne Spezialwissen «ebenso gut» beherrscht. Oder dann muss man in der Fertigkeit doch wesentlich mehr zulegen, nicht einfach von allem ein bisschen wissen. Ein PDF aufbereiten ist keine besondere Qualifikation, ein Fotobuch herstellen kann jeder, ­eine Anzeige nachsetzen ist keine Hexerei und Bilder knipsen auch nicht. Bildverarbeitung gibts bereits auf dem iPhone und Texte in InDesign aufzubereiten, ist etwa so kompliziert wie in Word. Alles, was automatisiert ist, kann der Kunde auch. Die neuen Skills liegen dort, wo nicht automatisiert werden kann oder wo Automatisation entsteht, bei der Idee, der Kreation, der Interpretation des Bildes, der Typografie, bei der Programmierung und der Erzeugung von Wert. Dort wo ausgeheckt, kommuniziert, kreiert und vernetzt wird, nicht dort, wo «nur» per Knopfdruck ausgeführt, optimiert oder vervielfältigt wird.

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