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Transparenz

Auf dem Programm der Piratenpartei steht Transparenz ganz oben. Transparenz bedeutet Durchblick, und wer das nicht sehen will, muss fühlen.

Ralf Turtschi Seit ein paar Monaten schon sitzt sie mir im Nacken. Eine von aussen schon immer vermutete Steifheit scheint sich chronisch festzusetzen. Im Ernst, diese iMac-Bildschirme sind das Letzte. Jeglichen ergonomischen Grundsätzen zum Trotz haben es die Apple-Designer geschafft, die iMacs unverstellbar schön zu gestalten – unvorstellbar! Stur und steif sitzt das Gerät gleich seinem Besitzer auf dem Pult und bewegt sich nicht. Meine Gleitsichtbrille ist so blöd geschliffen, dass die Sehschärfe zur Bildschirmmitte mit leicht nach hinten geneigtem Kopf zustande kommt. Auch im persönlichen Gespräch muss ich meine Nase etwas heben, um mein Gegenüber scharf im Blick zu haben, was mir vielleicht schon als Hochnäsigkeit ausgelegt wurde. Dabei ist nur meine Brille schuld, nicht die Stuhlhöhe, nicht die Tischhöhe. Jawoll.

Für mehr Transparenz gesorgt hat mein neuer Optiker, eine Empfehlung, ich darf es hier schon sagen, es ist der Feusi von Jona. Ich betrete also zum ersten Mal den Laden vom Feusi und werde gleich nach hinten geleitet, wo man mir mit einem ultramodernen Gerät die Augen vermisst. Kleiner Augenabstand und mangelnder Scharfsinn, bis drei Stellen nach dem Komma, und alles nur mit einer einzigen Messung, ruck, zuck! Dann nimmt mich der Feusi zur Brust, er befragt mich ausgiebig nach meinen Sehgewohnheiten, nach meinem Arbeitsumfeld, nach Sport und Hausarbeit.

Nach über zwei Stunden Konsultation bin ich reich an Informationen, ich weiss alles, was mir meine Augenärztin längst hätte erklären müssen, aber nie erklärt hat, über Kurzsichtigkeit, über Augenmigräne, über Netzhautablösung, über Altersfehlsichtigkeit, über Lichtverhältnisse in Bezug auf die richtigen Sonnenbrillen, über das Sehen in der Nacht. Ich weiss alles über den perfekt angepassten Schliff von Gleitsichtgläsern, was mir dieser deutsche Gross-und-billig-Optiker nie hat sagen wollen oder können oder mögen. «Bisher haben Sie sich der Brille anpassen müssen, nun wird sich die Brille Ihnen anpassen», meint Feusi. Der Feusi hat die Lösung, bevor ich mein Problem kenne! Ich nehme noch ein Vermassungsblatt ins Büro, wo ich alle meine Sehdistanzen auf die Tastatur, auf die Menüs, auf die Paletten, auf das Dock, aufs iPad, auf die Fingernagelhäutchen fein säuberlich eintrage. Transparenz ist alles. Der Feusi schleift mir jetzt meine neue Raumbrille ein, und die wird passen. So krieg ich den totalen Durchblick und meine Starrheit wird einer ungeheuren Dynamik weichen, man müsste es im nächsten Publisher lesen können. Die paar Franken, die die Brille mehr kostet als beim Brillen-Aldi, sind bestens investiert, kein Physiotherapeut, keine Medis, kein ergonomischer Stehtisch, kein Gummisitzball, ich bin doch nicht blöd, nein, ich fahre als glücklicher Knabe nach Hause. Das ist mir nun richtig transparent geworden.

Das Gegenteil von Transparenz ist unserem Fachjargon ja die Opazität. Kennen Sie das Wort, ja? Beim Papier gilt: Je dicker, desto opaker, man könnte auch sagen undurchsichtiger. In der Politik sorgen also die Hellen für am meisten und die Dicken für am wenigsten Transparenz. Die Piratenpartei hat sich ja Transparenz ins Parteibuch geschrieben. Allerdings: Wenn ausser Transparenz nichts ist, dann ist das auch wieder etwas undurchsichtig, nicht wahr? Allem Nichttransparenten sollten wir mit grosser Skepsis begegnen, auch wenn im Wahljahr vor allem die Opaken von den Transparenten lächeln.

Uns Publishern ist die Transparenz additiv in Fleisch und Blut übergegangen, man merkt es, wenn wir alle zur Verfügung stehenden Profile und PDF zusammenzählen. Anders bei den Nochdruckern: Die denken nicht mit Additiven, vielmehr rechnen sie subtraktiv. Vom errechneten Preis wird der Aufwand für Datenschrottveredelung subtrahiert, allenfalls wird die letzte Papierpreiserhöhung und der Preisunterschied zum Konkurrenten abgezählt. Nicht immer, aber immer öfter.

Intransparent bleiben die Beweggründe jener Fachkraft, welche die Aufgabe für die Polygrafen-Teilprüfung im Kanton Zürich aufsetzte. Eine kleine Portion Transparenz? Die zu lösende Prüfungsaufgabe nahm sich auch dem Thema AVOR (Arbeitsvorbereitung) an, angeblich handelt es sich hier um eine Tätigkeit, die ausgebildet und prüfenswert erscheint. An der Prüfung geht das so: Die Probanden erhalten ausgedruckte Bilder, müssen einen Ausschnitt wählen und mittels Dreisatz oder Diagonalkonstruktion auf dem Papier die Grös­senveränderung errechnen, die sie auf einer gedruckten Vorlage vorgesetzt bekommen. Diese Vorlage im Massstab 1:1 muss mit Bild und Text genau nachgebaut werden, nachdem sie vermasst wurde. Die Vorlage würde man wohl in der Praxis als Bild auf einen Layer legen, die Bilder und Texte direkt in InDesign importieren und einpassen – eine AVOR ist Zeitverschwendung. Wer sich in unserer Publishing-3.0-Welt noch solche Prüfungsaufgaben ausdenkt, dem müsste man vielleicht Timbuktu einfach nahelegen. Die Probanden und Lehrbetriebe erhalten ausser einer Note keinen Hinweis, was gut und schlecht gelaufen ist, wie die Aufgabe gelöst und bewertet wurde. Der eigentliche Skandal ist nicht die veraltete Aufgabenstellung, viel mehr muss zu denken geben, dass eine ganze Branche sich seit Jahren solche Prüfungen kommentarlos gefallen lässt. Solange sie gratis abgelegt werden können, kann man ja mit der Schulter zucken. Mit der Einführung des Bildungsfonds werden alle Ausbildungsbetriebe für die Teilprüfung und das Qualifikationsverfahren zur Kasse gebeten, die nicht Viscom-Mitglied oder nicht dem Bildungsfonds unterstellt sind. Somit ist Transparenz gefordert, was die Aufgaben, die Bewertung und die Information der Lehrbetriebe betrifft. Wozu dient eigentlich diese Kontrollsucht, ob auch jaaa richtig ausgebildet wird, wenn die Aufgabe so gestellt ist, dass sie von allen bestanden wird? Wenn man schon separat bezahlen muss, hat man das Recht auf eine zeitgemässe Beurteilung des Ausbildungsstandes. Die Teilprüfung ist heute nur ein intransparenter Kostenfaktor für die Wirtschaft, man sollte sie in dieser Form abschaffen, weil sie ihren Zweck verfehlt.

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