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Editorial

Fälschung oder kreative Fiktion?

Vielleicht haben Sie nicht einmal bemerkt, dass Ihr Name den Helm des Rennfahrers auf der Frontseite ziert. Nach der sehr plakativen Bildpersonalisierung in der April-Ausgabe des Publisher gingen wir diesmal etwas diskreter ans Werk. Zur Unauffälligkeit dieser Individualisierung trägt die technisch perfekte Umsetzung ihren Teil bei: Der je Abonnent individuell aufgebrachte Namensschriftzug ist perfekt auf die Oberflächenbeschaffenheit des Helmes abgestimmt und nimmt auch feine Lichtreflexe und Spiegelungen auf. Eine Bildfälschung, die auch auf den zweiten Blick nicht als solche erkennbar ist.

Die in unserer «Technologiedemonstration» eingesetzte AlphaPicture-Software erlaubt es, solche komplexen Bildretuschen quasi am Fliessband zu produzieren. Rund 6000 individuelle Helm-Beschriftungen waren es bei dieser Ausgabe des Publisher. Perfekt manipulierte Bilder werden damit ein Teil unseres Alltages und wir müssen erst lernen, damit umzugehen. Das in unserem Artikel auf Seite 39 näher beschriebene Beispiel der Bild-Zeitung zeigt, was da auf uns zukommt: Da hatte jemand nach der Ratzinger-Papstwahl über das frei zugängliche Webportal der Alphapicture-Software Bilder von Brücken und S-Bahnen mit «Wir sind Papst»-Sprayereien generiert und ins Web gestellt. Ein Redaktor der Bild-Zeitung stiess auf diese Bilder, hielt sie für echt und veröffentlichte sie als Zeugnisse des deutschen Papst-Fiebers in der Zeitung.

Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass das Bild eine grosse Glaubwürdigkeit geniesst. Der Bild-Redaktor vertraute blind dem, was er auf dem Foto sah. Wir sind durch die vordigitale Zeit so geprägt, dass wir zwar einen Text sofort kritisch hinterfragen, ein Foto jedoch instinktiv als unverfälschtes Abbild der Realität interpretieren. Und wenn dieses Foto auf dem analogen Medium Papier daherkommt, wirkt es nochmals authentischer als digitale Medien, wo wir uns bereits an die fiktiven Welten der Computeranimationen gewöhnt haben.

Genau diese Durchschlagskraft des Papierbildes wird den Digitaldruck mit seinen individualisierbaren Bildbotschaften vorantreiben – und das Medium Papier gegenüber der elektronischen Konkurrenz stärken. Wir «Publisher» sind dabei gefordert, diese neuen und mächtigen Instrumente verantwortungsvoll und dosiert einzusetzen. Wer seinem Publikum manipulierte Bilder unterjubelt, steht schnell als unseriöser «Schummler» da. Und wer dabei zu dick aufträgt, nervt die Empfänger wie heute die Versender von Werbebriefen, die einen auf jeder zweiten Zeile mit dem vollen Namen ansprechen.

Bildmanipulation ist dann nichts Anrüchiges, wenn sie kreativ-spielerisch daherkommt und sich als Fiktion zu erkennen gibt. Dann werden diese digitalen Bilderzeugnisse ihre positive Ausdruckskraft entfalten. Wer also auf die Wirkung individualisierter Bilder gänzlich verzichtet, schränkt sein Vokabular massiv ein – und wird damit in unserer Kommunikationsgesellschaft gegenüber den Mitbewerbern zwangsläufig ins Hintertreffen geraten.

Martin Spaar

 

 

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