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Editorial

Ade, du heile PDF-Welt!

Es war ja wirklich fast zu schön, um wahr zu sein: Mit PDF haben wir jetzt einen allseits akzeptierten Standard für den Austausch elektronischer Dokumente und mit PDF/X sogar eine ISO-Norm für «digitale Filme» in der Drucksachenerstellung. Die grafische Industrie spricht dank PDF endlich die gleiche Sprache wie ihre Kunden und Plattformgrenzen zwischen der Windows-Welt der Auftraggeber und der Mac-Welt der Druckindustrie werden damit spielend überwunden. Und jetzt das: Microsoft bringt mit dem nächsten Betriebssystem «Longhorn» unter dem Codenamen «Metro» eine Konkurrenztechnologie zu PDF, entwickelt vom Adobe-Erzrivalen Global Graphics (siehe Artikel Seite 16).

Es ist absehbar, dass die Millionen Office-Anwender in den Unternehmen schnell auf Metro einsteigen werden. Es braucht dazu keine Zusatzsoftware wie bei PDF mit Acrobat; vielmehr wird die neue Technologie nahtlos in Betriebssystem, Web-Browser und Office-Anwendungen integriert sein.

Vom Aspekt der Standardisierung her bedeutet das einen schmerzlichen Schritt zurück. Wenn Metro nicht total floppt, wird es bald zwei Standards für den elektronischen Dokumentenaustausch geben, wobei die Office-Welt den einen, die Druckindustrie den anderen favorisieren wird.

Bei dieser Herausforderung wird sich zeigen, ob die grafische Industrie in den zwanzig Jahren seit der Geburt des Desktop Publishing ihre Lektion gelernt hat. Wird das Gros der Druckindustrie abseits stehen und die Nase rümpfen über die neue Microsoft-Technologie und die Kinderkrankheiten, die diese bestimmt haben wird? So wie vor zwanzig Jahren die Setzer mit ihren Berthold-Systemen die Nase rümpften, als die ersten Macs kamen mit ihren lächerlich kleinen Bildschirmen. Oder ein paar Jahre später – jetzt selbst Mac-Anwender – ganz auf die «professionellen» Postscript-Fonts schwörten und Aufträge geekelt gar nicht erst anfassten, welche die Kunden mit TrueType-Schriften gestaltet hatten.

Oder wird man die Metro-Technologie als ein Fait accompli hinnehmen und sich von Anfang an intensiv damit auseinander setzen, weil man endlich verinnerlicht hat, dass man in der grafischen Industrie im Dienstleistungssektor tätig ist? Und hier stehen nun einmal der Kunde und seine Bedürfnisse an erster Stelle und nicht die eigenen technologischen Präferenzen. Es soll im gemeinsamen Workflow für den Kunden leicht von der Hand gehen und nicht für den Dienstleister!

In diesem Fall wird man als Pionier dem Kunden vorausgehen und die Untiefen der neuen Technologie selbst ausloten, damit der Kahn des Kunden nicht auf Grund läuft, sondern flott vorankommt. Ein Dienstleister, der das sichere Ufer nicht verlässt und schadenfroh lacht, wenn der Kunde auf dem neuen Weg eine Havarie erlebt, steht bald alleine da. Ihn wird man flott umschiffen, sobald man die neue Fahrrinne selbst ausgelotet hat.

Martin Spaar

 

 

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