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R�ckbesinnung auf die Tugenden der DTP-Pioniere

25 Jahre Desktop Publishing hätten wir im Juli letzten Jahres zu feiern gehabt, denn im Juli 1985 erblickte Aldus PageMaker das Licht der Welt. Zwar haben wir es beim Publisher – wie übrigens in der ganzen Branche – verpasst, dieses Jubiläum wirklich gebührend zu feiern. Doch privat habe ich es immerhin zum Anlass genommen, bei Ricardo einen Mac SE aus der Pionierzeit des Desktop Publishing zu ersteigern. Diesen habe ich nun stilgerecht mit passender Software wie Illustrator 88 und PageMaker 3.5 (Version 1.0 suche ich noch!) ausgerüstet.

Über vieles kann man heute bei diesem Ur-DPT-Arbeitsplatz nur noch lächeln. So etwa über den Umstand, dass auch bei voll aufgerüstetem Arbeitsspeicher (4 MB!) PageMaker und Illustrator nicht parallel laufen können. Und doch heischt das Ganze noch immer viel Respekt vor seinen Schöpfern und deren Pioniergeist: Dieses kleine Kistchen war ein gewaltiger Wurf, ein wirklicher Quantensprung in ein neues Zeitalter des Publizierens.

Interessanterweise führte gerade der Zwang, sich angesichts der beschränkten Hardware auf das Nötigste zu beschränken, zu Qualitäten, wie wir sie heute nicht mehr haben. Das fällt mir vor allem bei der Benutzeroberfläche auf. Da ist nichts dem Zufall überlassen und pixelgenau durchkomponiert, von der feinen Cursor-Uhr bis zur perfekt stilisierten «Trash-Mülltonne». Da gibt es keine Beliebigkeit der Schieberegler wie beim heutigen Mac OS, kein Dock mit hüpfenden Ikönchen und überhaupt kein «alles so schön bunt hier». Und den Vergleich mit Windows wollen wir schon gar nicht erst antreten – dieses spielte diesbezüglich gar nie in der selben Liga mit.

Dieses kompromisslose Durchkomponieren zu einem «Gesamtkunstwerk» zieht sich bei meinem Mac SE bis zu den gedruckten Benutzerhandbüchern durch und ist auch bei der Software von Aldus und Adobe spürbar. So füllen bei Illustrator 88 die 16 Werkzeuge am linken Rand exakt die 342 Pixel Höhe des 9-Zoll-Monitors.

Was hier beeindruckt, sind meiner Meinung nach Apples Ur-Tugenden: Der Mut zum Weglassen und zur Reduktion auf das Wesentliche. Dass diese Medaille zwei Seiten hat, zeigt sich heute beim iPad – ganz speziell, wenn dieser Mut aus der Pionierzeit ins Überhebliche kippt ...

Eine Rückbesinnung auf die Tugenden der Pionierzeit täte also Not, und dies nicht nur bei Apple. Wenn ich nach dem Herumspielen mit Illustrator 88 auf die aktuelle Version CS5 wechsle, erscheint mir diese überfrachtet, unhandlich und wenig intuitiv. Da wünsche ich mir von Adobe statt einer nochmals mehr aufgeblähten Version CS6 viel mehr einen auf das Wesentliche reduzierten Illustrator Classic!

Martin Spaar

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