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Einladungskarte f�r eine Tagung


Einladungskarte für eine Tagung

Ob Seminare, Tagungen, Kurse oder neudeutsch Events, allen ist eines gemeinsam: Sie brauchen Aufmerksamkeit. Idee und Umsetzung für eine Ärztetagung zum Thema Alkoholabhängigkeit.

RALF TURTSCHI Die Psychiatrische Privatklinik Sanatorium Kilchberg möchte eine Fachtagung über Diagnostik und Behandlung von Alkoholismus durchführen. Die ganze Tagung ist fertig geplant, Referenten sind gefunden, Lokalitäten gebucht und Sponsoren gewonnen. Die Agenturtschi erhält den Auftrag, die Einladungskarte mit einer Antwortkarte zu kreieren. Das Manuskript steht, mehr nicht. Wie geht man vor? Attraktivität erreicht, wer das Bild in den Vordergrund rückt, nur, woher holen? Und: Wie kann man das Thema Alkoholabhängigkeit visualisieren? Betroffen sind ja alle möglichen Gesellschaftsschichten – kann man das Thema auf ein Klischee, z.B. den obdachlosen Säufer, herunterbrechen? Wie stehts mit Alkohol und Jugendlichen? Oder bildet die tägliche Flasche Wein zum Businesslunch den Beginn einer Tragödie? Gehts um Bier, Wein oder Schnaps? Mit der Ästhetik von schäumendem, eingeschenktem Alkohol wird ja auch verführt. Geht es um alkoholische Produkte oder um Menschen?

Ideen kommen und werden wieder verworfen. Das Wort «Alkohol» auf dem Tischtuch, als Weinfleck dargestellt. So in der Art wie die Johnny-Walker-Werbung. Wir spritzen Farbe auf ein weisses Tischtuch. Das Wort ist jedoch zu komplex, es ist nicht als Fleck darzustellen. Wir suchen also nach einem kurzen Wort. Sick (engl. für krank) scheint zu passen. Das Tuch wird mit Papier getauscht, und mit dem Finger oder Pinsel klecksen wir ein Dutzend Mal, bis «sick» so aussieht wie ein (noch lesbarer) Fleck. So wollen wir das Morbide des Alkoholismus darstellen. Es sind jedoch die Menschen, die noch fehlen. Wenn wir uns Köpfe als Gläser vorstellen, die mehr oder weniger mit Wein gefüllt sind, dann ergibt sich eine weitere Darstellungsmöglichkeit. Die Köpfe holen wir aus Datenbanken im Internet, benutzen sie jedoch nur als Vorlage und pausen sie als Strichzeichnung durch. In Illustrator wird die weinfarbige Füllung appliziert.

Zu Wein assoziiert man auch Kultur, visuell manifestiert sich dies in verführerischer Schreibschrift auf vielen Weinkarten der Gastronomie. Wir suchen also nach dem entsprechenden Ausdruck einer Schrift für den Tagungstitel. Eine beschwingte Schreibschrift ist für den Inhaltstext der Einladungskarte jedoch völlig ungeeignet, da scheint es uns zweckmässiger, die nüchterne Univers zu gebrauchen. Zum Schluss brauchen wir noch ein Element, welches für die Therapie, für die Genesung, für die Sanftheit und die Normalität steht. Dazu zeichnen wir ein Liniensystem, welches nach einer steilen Abwärtsbewegung mit sanftem Schwung nach oben deutet.

Hintergrund und Köpfe kombinieren wir in Photoshop im Massstab 1:1 für die äusseren und inneren Doppelseiten. Die beiden Montagen werden als Tif-Bilder in InDesign platziert und mit dem Manuskripttext und den übrigen Elementen wie Logos und Unterschriften ergänzt.

Typografische Details

Die Linotype Univers 330 Light, 8 Punkt, Zeilenabstand 10 Punkt, dient als Grundschrift. Die Auszeichnungen wie Referenten oder Referate sind aus der Linotype Univers 530 Medium gesetzt, in der gleichen Grösse. Die Untertitel sind 10 Punkt gross, in der breiten Form, Linotype Univers 540 Extended Medium. Insgesamt sind 2 Grössen in 2 Schriftstärken und 2 Schriftbreiten kombiniert, was vollends genügt.

Die Farben sind in weinroten Tönen gehalten, die auf einem beigen Hintergrund liegen. Obwohl man vierfarbig druckt, ist die Wirkung nicht bunt. Blaue Akzente setzen die Logos des Veranstalters und der Sponsoren.

Die Wirkung

Beabsichtigt ist eine morbide Kraft, die von der Titelseite hervorgeht. Gewalt, Schmutz, gar Ekel werden kommuniziert. Nichts wird beschönigt, man erschrickt fast im ersten Moment. Die unterschiedlich gefüllten und abstrahierten Köpfe deuten auf ein Gesellschaftsproblem aller Schichten. Auf den Innenseiten der Einladung verliert sich die Gewalt, der Fleck «sick» ist flüchtiger Zeuge, am Folgetag des Gelages entdeckt. Der Kopf der Frau ist reinweiss, «sick» scheint sich wie in Gedanken aufzulösen. Die rechte Seite mit dem Programm reizt schon fast mit der Lieblichkeit einer Weinkarte, die erneut ins Verderben zieht.

Kann man so etwas selber?

Der ambitionierte Kunde stellt sich jetzt die Frage, ob er eine solche Art Einladungskarte aus Gründen der Kosten- oder Zeitersparnis selber auf die Reihe kriegt. Ganz klar nein. Die Idee kommt nicht einfach so, die Werkzeuge und das Können in der Realisation fehlen in der Regel. Oft ist die Einladungskarte der einzige Anstoss, auf einen Event aufmerksam zu machen. Und wer möchte diese einzige Chance leichtfertig mit Arial 12 Punkt und Mittelachse vergeben? Wer visuelle Wirkung erzielen will, der wählt besser den Gang zum Profi. Im Grunde ist es so wie bei der Alkoholabhängigkeit. Die Erkrankten sind auch auf die Hilfe von Fachleuten angewiesen, die Selbstheilung ist unwahrscheinlich.