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Einmal nachbessern

Aufkleber, Schilder, Hinweise und Warnungen

Einmal nachbessern

Grafikdesigner leben von einem Urtrieb, die Welt zu verschönern. Doch alles Fertige wird mit der Zeit durch Wildwuchs überdeckt. Über die Zettelwirtschaft.

RALF TURTSCHI Es ist heiss hier drinnen. Und eng. Seit einer Ewigkeit sitze ich im Lift fest. Ich habe vergessen, auf die Uhr zu schauen. Dabei ist es Samstag, das Bürogebäude leer, alles Rufen, Schreien, Poltern bleibt ungehört. Ausgerechnet jetzt habe ich das Handy nicht mit, ich wollte ja nur schnell was holen. Das wiederholte Drücken der Notruftaste hat keinen Pieps verursacht. Über den Lifttasten steht zwar: Bei Betätigung der Notruftaste wird automatisch eine Verbindung mit der Schindler-Notrufzentrale aufgebaut. Sch… Ich sitze erst mal auf den Liftboden und warte. Und horche. Stille. Und warte. Endlos. Ralf allein zu Hause. Da, ich höre was. Die Hauseingangstüre geht. Ich schreie und poltere gleichzeitig. Hilfeeeeeee! Eine ferne Stimme antwortet und ich schaffe es, meine missliche Lage zu schildern. Die Stimme verspricht, Hilfe zu organisieren. Mit der Hoffnung schleicht die Zeit noch langsamer als in Angst. Albert Einstein muss sich getäuscht haben. Dann endlich kommt eine weitere Stimme aus dem Off: «Hier ist Ruf, Schindler, haben Sie ein Problem? – Wir schicken gleich jemanden vorbei.» Nach einer weiteren geschlagenen Stunde werde ich durch den Monteur aus dem Lift befreit.

«Sie hätten die Notruftaste mindestens fünf Sekunden drücken sollen, bis Sie eine Antwort bekommen hätten!» «... Sie Idiot!» ist nicht gefallen, aber so ähnlich hat es sich angehört. Es weiss doch jedes Kind, dass die Notruftaste im Lift mindestens fünf Sekunden lang gedrückt werden muss, damit der Alarm überhaupt losgeht. Sonst würde ja jede unbeabsichtigte Berührung zu einem Fehlalarm führen. Daher sollten Kinder über zwanzig nicht ohne Begleitung Erwachsener Lifte benützen. So ist es. Ich habe gleich am nächsten Tag einen Kleber angebracht: «Im Notfall mind. 5 Sek. drücken!!!!» Es ist mein fester Wille, bald ein Kleblog zu eröffnen, um all die kleinen Lebensfallen zu thematisieren.

Seit diesem traumatischen Erlebnis lese ich alle selbst angebrachten Aufkleber und Etiketten, bevor ich irgendetwas betrete oder gebrauche. Und dies mit wachsender Begeisterung, denn es zeugt vom Aufstand des Benützers gegen die Arroganz der Hersteller. Warum kann man das nicht gleich so anschreiben, dass es im Notfall wirklich funktioniert? Funktionell, dauerhaft und schön. Warum denken sich die Hersteller nicht in die Nöte der Anwender hinein? Die beschriften dann das Design so, dass alles funktioniert. Wir haben also meistens entweder «Design» oder «Es funktioniert». Das eine schliesst das andere aus. Das kleberlose Büro, durch Corporate-Design-Gurus schon mehrfach ausgerufen, gibt es nicht.

Sie glauben mir nicht? Schauen Sie sich ruhig mal um. Vielleicht am besten im WC. Falls es neben den vielen Telefonnummern für eindeutige Nummern noch Platz auf dem Kasten der Handtuchrolle hat, steht garantiert «Mit beiden Händen bis zum Anschlag ziehen». Beruhigend, dass dieser Tipp noch nie auf der WC-Papier-Halterung aufgeklebt wurde … Über dem Spülkasten prangt ein Clipart-Stehmännchen mit der eindeutigen Aufforderung «Ich sitze beim Pinkeln». Gibts dafür nicht schon ein Piktogramm?

Auf der Kaffeemaschine hat eine gute Seele, inspiriert vom Fussballtrainer Trappatoni, in forschem Ton proklamiert: «Bitte Caffe auffüllen, wenn leer.» Ich säge dir, Fäler sind cool, weisch. Schau’n mer mal auf Ihren Bildschirm. Hängt da am Rand rechts unten nicht ein Post-it mit den gängigsten Tastaturkürzeln? Apostroph = Apfel-Trema. Eurozeichen = Control-Alt-was-weiss-ich.

In der Mitte die Bildschirmmarke wie z.B. SO-NIE, links davon ein Zettel mit der Gedankenstütze: «Nicht vergessen, Bildschirm ganz abstellen.» In der Parkgarage zetteln die Ticketautomaten von all den Unterlassungen: «Bitte Ticket unter der Windschutzscheibe gut sichtbar hinterlegen!» Oder: «Zutritt ohne Ticket zur Parkgarage nicht möglich», «Oeffnungszeiten 06:00-23:00 h». Die kleinen Aufkleber sind fein säuberlich – Sie ahnen es – mit 12 Punkt Arial, Mittelachse, beschriftet (damit auch das wieder gesagt ist). Mit knallgelbem 3-cm-Klebeband lassen sich die Zettelchen sorgfältig umrahmen; nun fallen sie auf, bevor man den Ticketautomaten überhaupt wahrnimmt. Die Zettel sind nicht ganz wasserdicht, das Klebeband hält mindestens drei Jahre, danach kann man sich den Rest vorstellen.

Um diese Erfahrung reicher ist das Personal der Kantine. Die Tischsteller mit der Aufforderung, das Geschirr doch bitte zum Abräumrolli zurückzubringen, sind fein säuberlich eingeschweisst. Die verwendete Times Roman 36 Punkt allerdings, schmerzlich hoch verzogen, mit leicht nach unten versetztem Schatten, ist für die Ewigkeit gemacht und lässt bei dereinstigen archäologischen Ausgrabungen unser Zeitalter in lasterhaftem Licht erscheinen. Sodom und Gomorrha der Typografie.

Wahrscheinlich bringt es nichts, Schilder, Warnhinweise und Aufkleber beim «Profi» «schöner» herstellen zu lassen. Seit vor kurzem auf der Autobahn Zürich–Bern das Schild «Willkommen im Mittelland» mit falsch gesetzten Anführungen an mir vorüberzog, bin ich total desillusioniert. Ein benzinsubventioniertes Schild, einfach falsch.

Findet sich niemand, der in einer Guerilla-Aktion aufklebermässig die Silbe «...land» durch «...mass» ersetzt? Die Times kann ja beibehalten werden. Die Zürcher haben die Teddybären, die Aargauer die Schildbürger. Damit liesse sich doch der Tourismus ankurbeln. Man stelle sich vor: Die Deutschen und Holländer bremsen beim Bestaunen der volksdümmlichen Schreibe auf den Schildern auf 60 herunter, das Feinstaubproblem wäre auf einen Schlag gelöst, wir brauchten keine Tropfenzähler mehr und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen wären überflüssig. Wiukome i Bärn. Merzlich dankt Ihr Bundesrat.

 

 

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