Dossiers >> Werbetechnik >> Fachartikel >> Hochstehendes Nischendasein
Artikel als PDF

Hochstehendes Nischendasein

Der Siebdruck hat einiges an Boden an den Digitaldruck abtreten müssen. Bedeutet dies jedoch zwangsläufig den Tod dieser Drucktechnik? Ein Votum für den lebendigen und innovativen Siebdruck, der unbeirrt auf seine Stärken vertraut.

Katrin Koch Noch Anfang der Neunzigerjahre konnte der Siebdruck mit tausenden von verschiedenen Produkten brillieren. Mit dem Aufkommen des Digitaldrucks verlor er vielleicht fünfzig, um die zwei- bis dreihundert weitere Drucksachen musste er an UV-Flachbettprinter abtreten. Ist es an der Zeit, diesen Einbussen nachzuweinen oder aber das Augenmerk auf die noch immer stattliche Menge an Möglichkeiten zu richten? Dort beispielsweise, wo der Siebdruck qualitativ und ökonomisch punkten kann? Während der Digitaldruck dem Quadratmeterpreis-Diktat unterworfen ist, ist der Siebdruck freier in der Preisgestaltung. Also wird die Kundenzufriedenheit zum Indikator für innovative Siebdruckbetriebe.

Vielleicht scheint der Siebdruck schwach zu sein, in der Schweiz wie auch in ganz Europa müssen Siebdruckereien ihren Betrieb einstellen. In Deutschland halbierte sich die Zahl der Siebdruckbetriebe von 2008 bis heute. Im Kanton Zürich hat sich die Betriebsdichte seit 1990 ebenfalls um knapp 50 Prozent verringert. Von der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ist jedoch vor allem der «normale» grafische Siebdruck betroffen. Auf den Markt der Veredelung wie auch auf den technischen Siebdruck hat sie kaum einen Einfluss. Fest steht ebenfalls, dass das Auftragsvolumen für den Siebdruck über diese Zeitspanne kaum abgenommen hat. Der grafische Siebdruck durchlebt wie die gesamte grafische Industrie eine stete technologische Umwälzung, was eine Prognose für die Zukunft schwierig macht. Klar ist, dass die Nachfrage kaum wieder derart gross sein wird wie in den 1980er- und 1990er-Jahren.

Frische Ideen, frischer Wind

Was kann ein Siebdruckbetrieb angesichts der Innovationen im Digitaldruck tun? Den Betrieb vorsorglich um einen digitalen Grossformatdrucker erweitern? Weit nachhaltiger ist die Investition in Bereiche, die der Digitaldruck (noch) nicht erschlossen hat. So sind im Bereich des grafischen Siebdrucks Textilien noch immer ein wichtiges Thema, ebenso Kunststoffanwendungen und das breite Feld des technischen Siebdrucks wie beispielsweise Frontfolien und -platten.

Neben der zeitlichen Effizienz, der geforderten Auflagengrösse und den Möglichkeiten der Weiterverarbeitung ist die Entstehung eines Mehrwerts ein wichtiges Argument, das im Vergleich zum Digitaldruck für den Siebdruck spricht. Ist der zusätzliche Weissauftrag des Printers notwendig, oder soll im Siebdruck eine wirklich deckende Farbe umgesetzt werden?

Diese Qualität entsteht in der Verknüpfung des Designs mit dem Druck, zwischen Lithografie, Druckausrüstung und Bedruckstoff. Entscheidend ist es, das Spiel mit all diesen Faktoren zu beherrschen. In der interdisziplinären Zusammenarbeit von Agentur, Grafiker oder Werbetechniker, Siebdrucker und Kunde entstehen damit Produkte, die auch beachtet werden.

Creative Printing

Worin besteht der Unterschied zwischen einem nett gestalteten Druck und einem Produkt, das den Endkunden begeistert? Wenn dieser eine Karte in die Hand nimmt und ausführlich betrachtet, befühlt, begreift?

Der Prozess, welcher zu einem solchen Produkt führt, beginnt mit Vorgaben zur Gestaltung. Welches Papier, welche Grammatur? Ein Papier mit einem grossen Anteil Baumwolle wie das Blue Jersey wird völlig anders wahrgenommen als ein alltägliches gestrichenes Papier. Die Papierindustrie entwickelt laufend neue Papiere – auch mit ungewohnten Rohstoffen –, die spontan eine Reaktion hervorrufen. Durch Stellen beispielsweise, die unter Druck transparent werden, oder durch eine ungewohnte Haptik dringen sie in unser Bewusstsein.

Weitere wichtige Fragen im Entwicklungsprozess sind: Mit welchen Farben soll gearbeitet werden, und in welcher Reihenfolge sollen diese aufgetragen werden? Was passiert, wenn die Druckreihenfolge aufgrund eines dunklen Papieres umgekehrt, also von hell zu dunkel gedruckt wird? Wie kann mit subtilen Elementen Spannung erzeugt werden?

Für eine gelungene Umsetzung lohnt es sich, wenn der Layouter oder die Siebdruckerin die Kriterien von Anfang an klar definieren: Papier und Farbe können zu Beginn der Gestaltung bereits feststehen. So kann ein negatives Aha-Erlebnis vermieden werden, wenn es zum Druckprozess kommt.

High-End

Ein interessantes Tätigkeitsfeld für den Siebdruck beginnt dort, wo er gehobenen Ansprüchen begegnet: im Bereich von Luxusprodukten. Haptik, Druck, Subtilität und die dadurch enstehenden Sekunden oder Minuten des Innehaltens und Staunens werden zum entscheidenden Faktor. Lorenz Boegli, Inhaber des gleichnamigen Ateliers im Zürcher Kreis 9: «Kunden mit gehobenen Ansprüchen können besser zuhören.. Sie diktieren nicht, sondern wollen von mir als Partner mehr über die Möglichkeiten erfahren, wie ein anspruchsvolles Produkt entwickelt werden kann.» Auf diese Weise wird der Kunde zum Teilnehmenden eines Prozesses, welcher zum hochwertigen Endprodukt führt. Dabei kommt nicht nur die Disziplin des Siebdruckers zum Zug, sondern eine ganze Kette von Techniken wie Offset, Prägung, Sieb- und Buchdruck, Stanzen und manchmal auch Tiefdruck.

Boegli sieht den Erfolg seines Unternehmens – und damit auch die Chance für seine Berufsgattung – darin, dass er Innovationen aus dem grafischen Bereich mit den Vorteilen des Siebdruckerhandwerkes verbindet. Die charakteristische Farbsättigung des Siebdrucks sucht noch immer seinesgleichen, dazu kommen unzählige Möglichkeiten, wie Effekte eingesetzt werden können: Metallpigmente, Iriodin, Abstufungen und Rasterung von Matt- bis Glanzlacken, phosphoreszierende und fluoreszierende Pigmente, bunte Rubbelfarben und die ganze Breite von hochtransparenten bis deckenden Farben. Boeglis Leistungen lassen sich aufgrund technischer Innovationen und neuer, ausgefallener Ideen auch in das angrenzende Ausland exportieren.

Neue Anforderungen

Ein Faktor, der für den Siebdruck neue Herausforderungen birgt, ist die Zusammenarbeit mit Offsetdruckereien. Auflagen zur Weiterbearbeitung im Siebdruck zwischen 10 000 bis 100 000 Bogen verlangen nach schnelleren Maschinen und erfordern aufgrund der Einbindung in die Produktionsabfolge Offset–Siebdruck–Buchstrasse absolute Qualität- und Terminsicherheit. Daneben wird vielleicht gar der Zweischichtbetrieb, welcher in dieser Branche unüblich ist, zum Thema, genauso wie eine enge Zusammenarbeit mit Logistikunternehmen, um schnelle Lieferzeiten gewährleisten zu können. Im Siebdruck vermögen Zylinderdruckmaschinen die Durchlaufzeiten bis um das Vierfache zu verringern.

Blick in die Zukunft

Die Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen Siebdruck, Grafik, Werbetechnik und weiteren Drucktechnologien muss sich vertiefen, um dem Durst nach stets neuen und innovativen Ideen gerecht zu werden. Wird dabei das Vorgehen umgedreht, sodass nicht die Grafik nach dem Papier verlangt, sondern ein neuartiges Produkt zur Inspiration für eine Gestaltung wird, entsteht Raum für andersartige Produkte: Die Qualität entsteht aus der interdisziplinären Zusammenarbeit.

Was Maschinen, Farben und Bedruckstoffe anbelangt, entwickelt sich der Siebdruck ebenfalls weiter, der Spielraum scheint beinahe unbegrenzt. Dennoch muss für die Umsetzung der ökonomische Sinn gegeben sein, Einzelexemplare im Vierfarbendruck werden stets aufwändig bleiben. Hier zeigt sich der Digitaldruck nicht nur wegen der Farbsicherheit im Vorteil.

Ein Bereich, welcher für den Siebdruck in Zukunft von Interesse sein könnte, sind laut Lorenz Boegli dreidimensionale Darstellungen: Bei seinen Recherchen arbeitet er daran, mit verschiedenen Materialien, Farben und Drucktechniken Dreidimensionalität zu suggerieren. Dabei können unter anderem Papiere, welche unter Druck transparent werden, eine Rolle spielen. Hinzu kommt die Art und Weise, einen Druck zu betrachten: Aufsicht, Durchsicht oder die rückseitige Ansicht.

Siebdruck: meine Wahl?

Weitere, starke Argumente für die Siebdrucktechnik sind unter anderem die Witterungsbeständigkeit und die Lichtechtheit der Pigmente sowie die gute Haftung auf unterschiedlichen Medien.

Initialkosten können durch die Filmherstellung mit speziellen Inkjet-Druckern oder per Computer-to-Screen (im grösseren Umfang) minimiert werden. Zudem haben Siebdruckmaschinen einen Lebenszyklus von 20 bis 40 Jahren, wobei sich die Anschaffungskosten zwischen 50 000 und 500 000 Franken bewegen. Digitaldrucker hingegen müssen innerhalb der Lebensdauer von rund vier Jahren oder wegen der technologischen Veraltung gar früher amortisiert werden und fallen mit ähnlich hohen Anschaffungskosten ins Gewicht.

In vielen technischen Umsetzungen steckt der Siebdruck zudem so tief drin, dass er für einzelne Prozessschritte unabdingbar ist. Die Konzentration auf klar definierte Nischen wird den Siebdruck in den nächsten Jahren prägen.

Die Zahl der Anwendungen für den Siebdruck ist noch immer hoch. Es liegt jedoch an jedem Einzelnen, Mut und Innovation zu zeigen. Der Siebdruck hat noch lange nicht alle Trümpfe ausgespielt. Auf ihn ist Verlass, und Siebdruckbetriebe bieten auch bei ausgefallenen Projekten Unterstützung.

Primitive Drucktechnik

Wenn auch der Siebdruck verglichen mit dem Buchdruck sowie den Stempel- und Schablonentechniken eine relativ junge Disziplin ist, hat dieser doch massgeblich zum industriellen Fortschritt im 20. Jahrhundert beigetragen. Aufgrund seiner Einfachheit und Flexibilität kann er in technischen Anwendungen wie auch im grafischen Bereich sehr schnell umgesetzt werden. Bedruckbar ist eine grosse Vielfalt an Materialien: ob plan oder konisch, Folien oder zentimeterdicke Frontteile, Papier, Holz, Metalle und Kunststoffe, Sticker, Solarpanels oder Heckscheiben­heizdrähte.

Kommen neue Materialien auf den Markt, oder ist eine Möglichkeit zur Bedruckung gesucht, hat der Siebdruck sehr schnell die Nase vorne, da er einfach umzusetzen ist. Wenn zu einem späteren Zeitpunkt höhere Kapazitäten verlangt werden, bleibt der Siebdruck jedoch auf der Strecke, und oft kommen andere Drucktechniken zum Zug.

Vielseitiger Siebdruck

Siebdruck ist ein sehr vielseitiges Verfahren. Es können kleine Gegenstände wie Werbegeschenke bis hin zu grossflächigen Plakaten bedruckt werden. Dabei ist der Siebdruck im Vergleich zu anderen Druckverfahren im Vorteil: durch den variierbaren Farbauftrag, die grosse Anzahl unterschiedlicher Farben und auch durch die Möglichkeit, dickere, grosse oder geformte Materialien zu bedrucken. So gesehen ist der Siebdruck eine Ergänzung zu anderen Druckverfahren – beispielsweise als Beschichtungstechnik für vielfältige Medien mit Farbe.

 

Eine nicht abgeschlossene Aufzählung typischer Anwendungsbeispiele der Siebdrucktechnik sind nach Guido Lengwiler, dem Berufsschullehrer für Siebdruck in Bern: Selbstklebefolien, T-Shirts, Plakate, Schilder, Gerätegehäuse, Compact-Discs, Keramik- und Glasgeschirr, Folientastaturen, elektrisch leitende oder magnetisierbare Druckpasten für elektronisch ­lesbare Karten, Computerplatinen, Kunstdrucke oder Serigrafien, Werbeplanen, Kunststoffflaschen, Drucke mit Lebensmittelfarben auf Schokolade oder Gebäck, Kreditkarten, Keramikfliesen, Textildrucke auf Meterware wie Bettwäsche und Bekleidungstextilien, Werbegeschenke (Feuerzeuge usw.), Flachgläser für Spielautomaten, Automobilscheiben, Möbel …, Sicherheitsfarben auf Wertpapieren, Drucke auf Stein- und Holzplatten, Etiketten.

 

Der rein technische Siebdruck kennt die Problematik des Nachfragerückgangs nicht. Gründe dafür sind, dass im Digitaldruck noch keine leitfähigen Pasten für die Elektronik oder für Solarzellen verdruckt werden können. Ebenso unberührt bleibt der Glasdruck, der von der Zunahme an dekorativen Elementen geradezu profitiert. Dekor- und Schmuckglas weist in der Innenarchitektur einen hohen Stellenwert auf. Beliebt ist es unter anderem für den Innenausbau von Hotels, Restaurants, Bars und Casinos, beispielsweise für Schiebetüren und Raumteiler, Tischplatten, Spielautomaten und Frontverkleidungen von Schränken und Sideboards. Die Verzierung von Glas hat eine jahrhundertealte Tradition. Seit rund hundert Jahren gehört die Glasveredelung auch in das Repertoire des Siebdrucks.

Artikel als PDF