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Ideen visuell verkaufen

Das Skizzieren von Ideen – das so genannte Scribbeln – hilft bei der Kommunikation zwischen Gestalter und Kunde. Projekte lassen sich nicht nur effizienter realisieren, auch die Kreativität gewinnt. Und: Scribbeln ist lernbar.

Markus BeerPeter A. sitzt Kunde Kuno B. gegenüber. Kuno erzählt begeistert von seinem neuen, sensationellen Produkt. Peter schreibt die Stichworte fleissig in seine Dokumentenmappe. Am Schluss ist die ganze Seite mit Text vollgekritzelt. Die beiden verabschieden sich.

Am folgenden Tag setzt sich Peter an seinen Computer und bringt das Geschriebene mit viel Akribie und Zeitaufwand in eine Form. Es entsteht im Anschluss eine zeit- und materialaufwendige Makette.

Ein paar Tage später treffen sich die beiden erneut. Stolz präsentiert der Gestalter sein Werk dem Kunden. Nach einer Schweigeminute eröffnet Kunde Kuno: «Also ich habe mir das ganz anders vorgestellt». Peter steht wieder ganz am Anfang. Mit Scribbeln wäre das Projekt bestimmt ganz anders verlaufen.

Das ist ein Scribble

Als Scribble bezeichnet man eine auf Papier gebrachte Ideenskizze. Für eine Illustration, eine Grafik, eine Anzeige, ein Plakat, das Layout einer Zeitschrift, eines Inserates, einer Webseite …

Im Unterschied zu einem Gestaltungsentwurf steht das Scribble – ohne illustrativen Anspruch – am Anfang eines Projekts. Es ist das ideale Mittel zur Vermittlung von Gedanken und Ideen.

Beim Austausch zwischen Kunde und Kreativpartner kommt dem Scribble eine zentrale Bedeutung zu. Eine solche spontan erstellte Arbeitsskizze verhindert Missverständnisse und zeigt in vielen Fällen gleich auch Lösungswege auf. Diese Art der Visualisierung ermöglicht schnell und preiswert die Darstellung von Lösungs­varianten ohne Anspruch an eine genaue Ausarbeitung. Sie dient in erster Linie der verständlichen Erläuterung der Überlegungen und vor allem auch der Ideenfindung.

An die Scribble-Phase schliessen sich in der Regel die Umsetzung am Computer oder die illustrative Reinzeichnung an. Interessant an dieser Form der Umsetzung ist, dass die Ideen wie von selbst in das Projekt einfliessen. So kann viel effizienter gearbeitet werden. Der Rahmen des Projekts wird durch das Scribble recht genau definiert und kann am Computer gezielt umgesetzt werden.

Kreativitätsmotor

Häufig entstehen beim Zeichnen neue und spannende Lösungen. Durch das unbelastete Scribbeln entstehen oft überraschende Resultate, welche die ursprüngliche Idee weit übertreffen. Der Kunde fühlt sich verstanden, das Gespräch wird lebendig und erreicht oft neue kreative Ebenen. Spannend ist es, den Kunden in diesem kreativen Prozess einzubeziehen und mit ihm die Lösung zu erarbeiten, die für ihn stimmig ist. Ein «visuelles Ping-Pong-Spiel» entsteht.

Zeichnen vor Publikum

Im Zeitalter eines Powerpoint-müden Publikums wirkt das Scribble wunderbar erfrischend. Die am Whiteboard oder Flipchart entstandene Arbeitsskizze zeigt eindrücklich die zu vermittelnden Inhalte auf. Handgezeichnete Skizzen sind zudem authentisch und erreichen das Publikum viel direkter als anonyme, elektronisch generierte Bildschirmbotschaften!

Scribbeln lernen

Wer von sich selbst denkt, nicht in der Lage zu sein, während eines Gesprächs eine ansprechende Skizze erstellen zu können, liegt falsch. Mit gezielten Übungen kann diese Fähigkeit von jedem erlernt werden.

Einen guten Einstieg in die Welt der spontanen Skizze bietet das Zeichnen von Gegenständen aus der Erinnerung. Es gibt so keine direkten Bewertungskriterien. Auf das Radieren des Scribbles soll verzichtet werden. Die spätere Arbeit entsteht ja jeweils spontan und unter dem Zeitdruck einer Unterhaltung.

Das ideale Werkzeug für den Einstieg ist der klassische Graphitstift ohne Holzummantelung. Dieser verzeiht Fehler und lässt breite Möglichkeiten der Striche zu. Später wird dann auf die Pigment-Fineliner gewechselt. Der Rotring Tikky Graphic, der Faber Castell Artist Pen oder der Staedtler Pigment Liner sind wertige Produkte, welche in verschiedenen Stärken angeboten werden.

Exaktes Abzeichnen von Objekten führt dazu, dass die Freude am Skizzieren schnell in Lustlosigkeit und Frust endet, weil etwa die Proportionen oder die Perspektive nicht der Vorlage entsprechen. Erst wenn das Scribble fertig ist, nimmt man das Objekt aus der Schublade und vergleicht es mit der soeben entstandenen Skizze aus der Erinnerung. Auf diese Weise kann die Fähigkeit zu scribbeln auch im Selbststudium erlernt werden.

Wenn mit der Zeit ein zeichnerischer Fortschritt festzustellen ist, empfehle ich, sich selber eine Zeitvorgabe zu geben. Das grosse Ziel des Scribbelns ist es, im Gespräch eine ansprechende Skizze erstellen zu können. Das erfordert Sicherheit in der Vorstellungskraft sowie dem Umgang mit den Scribble-Werkzeugen. Und das gilt es im Vorfeld zu trainieren.

Wer sich frisch an diese spannende Materie heranwagt, soll den Gebrauch von entsprechenden Lehrbüchern unbedingt meiden. Es wird sonst bloss die meist perfekte Vorlage aus der Hand eines Meisters abgezeichnet. Der individuelle Zeichenstil kann sich so niemals formen. Sehr wichtig ist, dass jeder Mensch seinen persönlichen Stil finden und entwickeln kann. Davon lebt diese visuelle Botschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, soll ganz unbefangen und mit lockerem Handgelenk an das zeichnerische Thema herangegangen werden.

Neben der autodidaktischen Methode gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich die Fähigkeit des Scribbelns in einer Gruppe Gleichgesinnter anzueignen. Seit diesem Jahr führt der Fachverband für Digitale Medien publishingNETWORK Scribble-Tageskurse durch. Ziel ist es, die zum Teil komplexen Inhalte eines Projektauftrages mit der Scribble-Technik auf eine verständliche Basis zu stellen. Vor allem bei Workshops mit Kunden, in denen es um vielschichtige Themen geht, ist ein gezieltes Scribble klarer und verständlicher. Der Kunde kann seine Ideen direkt einbringen und fühlt sich in den Prozess miteinbezogen. Ein Gefühl das heute kaum mehr mit einer Powerpoint-Präsentation oder einem Video erreicht wird.

Die Schule für Gestaltung Bern und Biel, Kreativgestalten sowie das PubliCollege bieten einen fünfwöchigen Scribble-Grundkurs an. Bei diesem Kursmodell wird jeweils einmal pro Woche gemeinsam gezeichnet und die Arbeiten danach verglichen.

Fazit

«Als Gutenberg anfing, Bücher zu drucken, mussten in der Folge alle lesen und schreiben lernen. Steve Jobs hat uns vor Kurzem das iPhone gebracht, weshalb wir jetzt lernen müssen, uns nicht nur schreibend und lesend, sondern auch mit Bildern auszutauschen», meint Professor Ruedi Müller-Beyeler, Leiter des Instituts für Multimedia in Chur, «es mag erstaunen, aber von Hand Zeichnen ist der einfachste und beste Weg, um dem visuellen Analphabetentum zu entkommen.»

Die Fähigkeit zu scribbeln, lässt die eigenen Ideen frisch und unmissverständlich beim Gesprächspartner ankommen. In Zeiten der digitalen Überflutung wird diese Form der visuellen Live-Kommunikation von einem breiten Publikum bereitwillig angenommen. 

Scribbeln in Stichworten

  • Ideen werden in Gesprächsrunden veranschaulicht.
  • Die Fähigkeit, während eines Gesprächs zu scribbeln, bietet Unternehmen und Privaten Wettbewerbsvorteile.
  • Kundenwünsche werden im Gespräch präzisiert und gut nachvollziehbar festgehalten.
  • Scribbeln schafft klare Voraussetzungen für die Realisierung von Projekten und vermeidet Leerläufe.
  • Scribbeln schärft die persönliche Wahrnehmung des Umfelds.
  • Die persönliche Kommunikation wird effizienter und direkter.
  • Ihr Kunde fühlt sich wahrgenommen.
  • Scribbeln inspiriert zu neuen Ideen und Varianten.
  • Alle können Scribbeln in kurzer Zeit erlernen.
Weitere Infos

Markus Beer ist Grafiker mit eigenem Atelier in Halten (SO). Seit 2001 ist er als Grafikfachlehrer an der Schule für Gestaltung Bern und Biel tätig. Ausserdem ist er Kursleiter bei PubliCollege und Publishing­NETWORK. Er führt mehrmals jährlich Scribble-Kurse durch.

www.grafikm.ch

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