Jobsharing fr die 300 Reichsten
Wenn das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» jeweils im Dezember die 300 reichsten Schweizer präsentiert, werden die Inhalte nicht in InCopy und InDesign erfasst und bearbeitet, sondern in FileMaker. Dann wird das Datenbankprogramm zum Redaktionssystem.
werner affentranger Es liegt sicher nicht gerade auf der Hand, FileMaker für die Erfassung und die Bearbeitung von redaktionellen Artikeln einer Zeitschrift zu benutzen. Macht das überhaupt Sinn? Berechtigte Frage, denn FileMaker besitzt nicht die Werkzeuge von Textprogrammen wie MS Word und Adobe InCopy oder gar eines Layoutprogramms wie Adobe InDesign.
In der FileMaker-Datenbank sind seit 2002 alle Personendaten der reichsten Schweizer gespeichert: Personalien, Geburtsdatum, Wohnsitz, Vermögen, Branche und viele weitere Informationen. Ebenso sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Redaktion und ihre Funktion (Redaktor, Korrektor, Produzent, Administrator usw.) mit unterschiedlichen Berechtigungen in der Datenbank registriert, ähnlich wie im InDesign-basierenden Redaktionssystem WoodWing, das für das Magazin «Bilanz» zum Einsatz kommt.
Im Datenbankjargon spricht man von Feldern und Datensätzen: So definiert man beispielsweise einzelne Felder, um Vorname, Name, Ort, Kanton, Vermögen, Status usw. einzugeben. Ein Datensatz besteht aus einer beliebigen Anzahl Feldern, für die 300 reichsten Schweizer ergeben sich somit 300 Datensätze. Weil in der Datenbank aber auch die Reichsten früherer Jahre erfasst wurden, enthält sie weit mehr als nur die Datensätze der 300 Reichsten des aktuellen Jahres. Diese bekommen im Statusfeld den Eintrag gesetzt, damit man sie leicht selektionieren kann.
Wenn die FileMaker-Datenbank zum Einsatz kommt, unterscheidet sich der Arbeitsablauf nicht wesentlich von demjenigen des Redaktionssystems:
Der Rest ist Routine. In der Datenbank wurden beim Datenexport die einzelnen Textabschnitte wie Titelzeile, Rubrik, Kanton, Grundschrift usw. automatisch mit den passenden InDesign-Tags der Absatz- und Zeichenformate des Layoutprogramms versehen. Die Textdateien sind angereichert mit Codes, die InDesign versteht. Beim Platzieren der aus der Datenbank exportierten Dateien fliessen die Inhalte fertig formatiert in die Layoutseiten der «Bilanz» ein.
Wenige Tage vor Druckbeginn sind alle Artikel im Heft, und die Übung ist gelaufen. Möchte man annehmen. Aber etwas Nervenkitzel und eine kleine Knacknuss bei der Heftproduktion stehen noch bevor: die Indexe.
Die fertig umbrochenen Seiten sind gespickt mit Personen- und Firmennamen, die alle in einem Personen- und in einem Firmenindex zusammengefasst werden sollen, natürlich alphabetisch sortiert, jeder Eintrag mit dem richtigen Seitenverweis.
Die Indexdatenbank ist mit der Reichsten-Datenbank verknüpft. Nicht nur in der Reichsten-Ausgabe erscheinen Indexe, sondern auch in jeder normalen «Bilanz»-Ausgabe erscheint jeweils ein Personen- und Firmenindex, bei denen FileMaker zur Anwendung kommt. «Aber dazu muss man doch nicht eine Datenbank bemühen», werden sich viele denken, denn InDesign hat ja selbst eine Indexfunktion, das heisst, man könnte doch einfach diese Indexe direkt im InDesign erstellen? Die Antwort darauf lautet: jein. Die «Bilanz»-Ausgaben haben einen Umfang von manchmal mehr als 200 Seiten, die nicht in einer einzigen Datei enthalten sind, sondern sich auf 50 bis 60 Dateien verteilen, was produktionstechnisch Sinn macht. All diese Dateien mit den Buchfunktionen von InDesign zusammenzuführen, damit der Index dieser Riesendatei generiert werden könnte, wäre zwar eine Option. Diese verwirft man bei genauerem Hinsehen, wenn deutlich wird, welchen Aufwand das verursacht, rasch wieder.
Die Erstellung der Indexe übernimmt eine Mitarbeiterin im Sekretariat der «Bilanz». Sie erstellt für jede Seite der «Bilanz» einen neuen, leeren Datensatz, der nur eine Seitenzahl der aktuellen Ausgabe enthält. Nun überträgt sie alle zu indexierenden Namen von der betreffenden «Bilanz»-Seite in den Datensatz mit der entsprechenden Seitennummer. Den Rest übernimmt wieder FileMaker, nachdem alle Indexeinträge erfasst sind: alle Namen alphabetisch sortieren, vor jedem Eintrag die InDesign-Codierung einfügen und die Datei exportieren.
Dazu kommen noch ein Vermögensindex nach Kategorien (Vermögensgruppen) und ein Kantonsindex (alle Reichsten sortiert nach Kanton, das heisst, beginnend mit Aargau, innerhalb des Kantons alphabetisch sortiert und mit dem Seitenverweis im Heft versehen). Auch das sind Aufgaben für FileMaker. Die Seitenzahl im Heft ist jedem Namen zuvor schon für den Personenindex zugewiesen worden, der Vorgang muss deshalb nicht wiederholt werden. Ein Klick auf den Button zum Generieren des Kantonsindexes löst den ganzen Prozess für den Datenexport aus.
Während die letzten Seiten durch die Druckmaschine laufen, werden die Daten der Reichsten aus FileMaker für die «Bilanz»-Website exportiert.
Die massgeschneiderte FileMaker-Datenbanklösung ist während vieler Jahre von Publishing Partners weiterentwickelt und immer wieder neuen Anforderungen angepasst worden, beispielsweise bei der Umstellung von QuarkXPress auf InDesign oder beim Wechsel von Windows auf Mac OS. Schliesslich ist sie auch internettauglich gemacht worden. FileMaker als oft unterschätztes Datenbankprogramm hat sich dabei immer wieder als erstaunlich vielseitig, zuverlässig und flexibel gezeigt.
Werner Affentranger, Inhaber von Publishing Partners GmbH in Biel, hat langjährige Erfahrung als Buchhersteller und Entwickler von Datenbanken auf FileMaker-Basis. Zum Dienstleistungsangebot gehören auch Individualkurse für InDesign- und FileMaker-Einsteiger.