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Vom User zum Power-User

Analog zur viel zitierten Lohnschere öffnet sich eine andere Schere ebenfalls immer weiter: Gemeint ist die Diskrepanz zwischen Anwendern, die InDesign nur rudimentär und gelegentlich einsetzen, und dem echten Power-User.

Beat Kipfer Stellen Sie sich folgende Situation vor: Auf einer grossen Bühne steht ein repräsentativer Konzertflügel von Steinway & Sons. Ein voller Saal, das Publikum gespannt, das Konzert kann beginnen. Der Pianist betritt die Bühne, verneigt sich, setzt sich auf den Klavierstuhl, reibt sich noch kurz die Hände – und spielt mit dem Zeigefinger der rechten Hand ganz vorsichtig «Alle meine Entlein». Nicht ganz im Takt, zwei-, dreimal danebengedrückt, aber als Melodie zu erkennen. Das Publikum glaubt zuerst an einen schlechten Gag, bis es dann die unmögliche Situation erkennt und enttäuscht den Saal verlässt. Man fühlt sich gründlich veräppelt …

InDesign, Steinway der Layoutprogramme

Zugegeben, die obige Situation ist etwas überspitzt dargestellt. So ähnlich wie den Konzertbesuchern ist es mir aber schon ergangen, wenn ich gesehen habe, wie einige Anwender mit dem professionellen Werkzeug InDesign umgehen: Aus dem «Konzertflügel der Layoutprogramme» holen sie nicht mehr heraus als ein Musikschüler in der zweiten Lektion aus seinem Schulklavier …

Nun muss ja nicht jedermann professioneller Konzertpianist werden; auch gute Amateure lieben professionelles Werkzeug. Gute Amateure sollten aber die zweite Musikstunde weit hinter sich gelassen und eine gewisse Virtuosität im Umgang mit dem Instrument erlangt haben, sonst macht es irgendwie keine Freude. Das Instrument InDesign bietet alles zum professionellen Spiel auf höchster Ebene: Profitieren Sie davon, spielen Sie Akkorde und nicht nur einzelne Töne! Ein erster Schritt könnte ja sein, einmal die wichtigsten Tastaturbefehle zu verinnerlichen, analog einer Tonleiter: cmd, c, d, e, f usw. (Kopieren, Platzieren, Exportieren, Suchen/Ersetzen).Dann die Akkorde, zum Beispiel cmd-alt-shift-P (Verpacken). Lernen Sie jeden Tag eine Kombination dazu und üben Sie diese fleissig, schon sind Sie ein paar Klavierstunden weiter …

Know-how erweitern

Investitionen ins persönliche Know-how lohnen sich und werfen voraussichtlich einen wesentlich grösseren Ertrag ab als jede andere Anlage. Je nach Definition Ihres Aufgabengebiets im Publishing-Umfeld können die Zielsetzungen stark auseinanderdriften. Bessere Anwenderkenntnisse führen in jedem Fall zu intelligenterem Dokumentaufbau, zu mehr Freiheit bei der Gestaltung und zu mehr Effizienz. Sie sind damit in der Lage, komplexere Aufgaben in kürzerer Zeit zuverlässiger abzuwickeln.

Es geht nicht darum, sich mit technischen Spielereien und Schnickschnack abzugeben, sondern um das Erreichen einer Arbeitsweise, welche von der Umwelt als professionell wahrgenommen wird.

Teamwork mit InDesign

Das folgende Szenario spielt sich häufig ab und ist daher als typisch zu bezeichnen:

In einer Marketing- oder Dokumentationsabteilung taucht das Bedürfnis auf, die Werbemittel, Prospekte, Kataloge et cetera künftig selbst zu erstellen. Zumindest die Dokumenterstellung – bis zum druckfertigen PDF – soll im Haus möglich sein, eventuell auch der Digitaldruck kleinerer Auflagen. Der Hauptgrund für diesen Entscheid ist nicht unbedingt die Kostenersparnis; vielmehr ist es so, dass Produktmanager viele Detailkenntnisse haben, welche schwer zu kommunizieren sind. Welche Produktnummer zu welchem Artikel gehört, nach welchen Kriterien ein Katalog gegliedert sein soll oder welche Artikel in einer Monatspublikation Vorrang haben, wie ausführlich über ein Thema berichtet werden soll, welche Bilder geeignet sind, wie man diese beschafft … Sehr viele dieser Fragen stellen sich bereits in der Organisationsphase vor Beginn der Layoutarbeit. Zudem möchte man flexibel sein und die Publikationen rasch und unkompliziert überarbeiten können.

Einen Produktmanager oder eine Marketingspezialistin schreckt die Komplexität von InDesign (siehe nächste Seite) wahrscheinlich im ersten Moment ab. Gutes Teamwork sieht in diesem Fall so aus, dass ein Layout- und Gestaltungsprofi ein fachgerecht aufgebautes Template erstellt und dieses dokumentiert. Das Arbeiten innerhalb eines vorbereiteten Rahmens ist für den Endanwender dann gar nicht mehr so komplex.

Ist die Marketing- oder Dokumentationsabteilung gross genug, lohnt es sich, wenn sich einzelne Mitarbeiter tiefer mit der Materie befassen und das Layouten übernehmen. Meistens lohnt es sich, wenn wenige Leute einen grösseren Anteil der Layoutarbeiten übernehmen statt alle ein bisschen.

Workflow von A bis Z

Virtuoser Umgang mit dem Layoutprogramm allein bringt noch nicht in jedem Fall den vollen Erfolg. Wichtig ist, dass «gutes» Material angeliefert wird oder zur Verfügung steht. Damit gemeint sind fehlerfreie Texte, welche bereits in Word logisch gegliedert wurden, sowie qualitativ hochwertige Bilder in genügend hoher Auflösung.

Schlüsselfunktionen für Effizienz mit System

Machen Sie den Selbsttest: Welche der folgenden Funktionen haben Sie schon angewandt, welche kennen Sie, von welchen haben Sie schon gehört? Wir verzichten hier auf Punktzahlen und eine Auswertung; beurteilen Sie selbst, ob Sie InDesign für Ihre Zwecke optimiert einsetzen. Wo stufen Sie sich ein? Eher als Musikschüler in der zweiten Stunde oder auf Stufe Konzert­pianist?

Voreinstellungen: Haben Sie die Voreinstellungen an Ihre Bedürfnisse angepasst? Kennen Sie beispielsweise den Versatz von tief gestellten Zeichen, den aktuellen Pfeiltastenschritt oder die aktuell verwendete Anzeigeleistung? Wird auf Anhieb Ihre bevorzugte Schrift mit Ihren individuellen Einstellungen verwendet, sobald Sie Text in einen Textrahmen schreiben?

Zugang: Menü InDesign > Voreinstellungen (Mac) – Bearbeiten > Voreinstellungen (Win).

Anwendung der Tastaturbefehle: Verwenden Sie die gängigsten Shortcuts? Damit meine ich etwas mehr als Copy & Paste und Speichern; also zum Beispiel cmd-B für die Textrahmenoptionen, cmd-shift-alt-E zum proportionalen Einpassen von Bildern in den Rahmen oder cmd-shift-alt-N für die automatische Seitennummerierung auf der Musterseite.

Infos: https://helpx.adobe.com/de/indesign/using/default-keyboard-shortcuts.html

Eigener Tastaturbefehlssatz: Benützen Sie einen oder mehrere Sätze mit individuell ergänzten respektive geänderten Tastaturbefehlen? Dies lohnt sich, da einige Funktionen mit der schweizerischen Tastaturbelegung gar nicht erreichbar sind (beispielsweise der Befehl Einzug bis hierhin).

Zugang: Menü Bearbeiten > Tastaturbefehle; dort können Tastaturbefehlssätze auch ausgedruckt werden.

Arbeitsbereiche: Haben Sie jeweils die passenden Bedienfelder (Fenster) entsprechend Ihrer aktuellen Arbeit zur Hand? Können Sie sogar per Tastatur­befehl spontan auf die momentan passende Fensteranordnung zugreifen? Der eben erwähnte eigene Tastaturbefehlssatz erlaubt auch dies.

Zugang: Menü Fenster > Arbeitsbereich > Neuer Arbeitsbereich.

Auswahlwerkzeug: Wie oft wechseln Sie während der Arbeit perKlick vom schwarzen auf den weissen Pfeil oder vom Auswahl- zum Textwerkzeug und zurück? Vielleicht gar nicht mehr oft, weil Sie dank Inhaltsauswahlwerkzeug (kleiner Ring, angezeigt beim Darüberfahren mit dem Auswahlwerkzeug über ein Bild) wählen können, ob Sie den Rahmen oder den Inhalt auswählen möchten. Zurück vom ausgewählten Inhalt mit Escape. Einstieg in einen Textrahmen: Doppelklick mit schwarzem Pfeil innerhalb des Textes wechselt automatisch auf das Textwerkzeug; zurück auf das Auswahlwerkzeug wiederum mit Escape. Kleine Details, die insgesamt den Arbeitsfluss merklich beschleunigen und erleichtern!

Zugang: Menü Ansicht > Extras > Inhaltsauswahlwerkzeug einblenden.

Absatz- und Zeichenformate: Formatieren Sie Text (zumindest wenn die Textmenge diejenige einer Visitenkarte übersteigt) konsequent mit Absatzformaten? Entstehen Auszeichnungen im Text durchgehend mit Zeichenformaten? Sind Sie daher zum Beispiel in der Lage, in einem umfangreicheren Dokument mit einigen wenigen Klicks sämtliche Zwischentitel neu zu formatieren, ohne jeden Titel einzeln markieren zu müssen?

Zugang: Menü Fenster > Formate.

Aufzählungszeichen/Nummerierung: Bestimmt setzen Sie die Punkte oder Striche bei Aufzählungen schon lange nicht mehr einzeln von Hand. Der «hängende Einzug» (Einrückung der Folgezeilen bei Aufzählungen) kümmert Sie nicht weiter, da er in das entsprechende Absatzformat integriert ist. Nummerierungen – auch solche von Zwischentiteln auf mehreren Hierarchiestufen – erledigt InDesign für Sie in der Art und Weise, wie Sie es wünschen oder wie es verlangt ist.

Zugang: Absatzformate > Aufzählungszeichen und Nummerierung.

Objektformate: Sie wenden Formate nicht nur zur Formatierung von Text, sondern auch zur einheitlichen Gestaltung von Rahmen an. Enthält ein Reise­prospekt zum Beispiel ein paar Dutzend Preislisten mit blauem Hintergrund, bedeutet eine globale Korrektur der Hintergrundfarbe oder anderer Attribute einzig einen Doppelklick auf das entsprechende Objektformat und eine Korrektur der gewünschten Features. Alle Boxen sind damit einheitlich korrigiert, ohne dass sie einzeln bearbeitet werden müssen.

Zugang: Menü Fenster > Formate.

Spaltenspanne und automatische Grössenänderung des Textrahmens: ­Stellen Sie sich einen typischen Zeitungsartikel vor: zum Beispiel fünfspaltig, mit Titel über die volle Breite und Lead, zweispaltig, gefolgt von einspaltigem Text. Wie viele Textrahmen sind dazu erforderlich? Natürlich genau ein einziger. Die Funktion Spaltenspanne in den Absatzformaten erlaubt die Definition der Anzahl Spalten, über die sich der Text erstrecken soll. Also in unserem Fall: fünfspaltigen Textrahmen einrichten, Titel mit Spaltenspanne über alle Spalten, Lead über zwei Spalten, Text mit Standardformatierung. Damit Sie den Rahmen nach der Formatierung des Textes gar nicht mehr anpassen müssen, lohnt sich zusätzlich das Einrichten einer automatischen Grössenänderung des Rahmens (nur Höhe). Zusammen mit aktivierter Option Spalten ausgleichen passt sich die Rahmenhöhe automatisch an die Textmenge des Artikels an. Gespart: mindestens ein Dutzend Klicks pro Artikel.

Zugang: Absatzformate > Spaltenspanne – Objekt > Textrahmenoptionen > Allgemein respektive Automatisch Grösse ändern.

Inhaltsaufnahme-/Inhaltsplatzierungswerkzeuge: Als An­wender von InDesign CS 6 sind Ihnen bestimmt diese beiden neuen Werkzeuge aufgefallen. Profitieren Sie bereits davon, indem Sie dank der «multiplen Zwischenablage» mehrere Objekte aufs Mal kopieren und dann mit oder ohne Verknüpfung innerhalb des gleichen oder eines anderen InDesign-Dokuments einfügen? Die Verknüpfung bewirkt, dass Korrekturen im Ausgangsobjekt (Master) automatisch auf die kopierten «Clones» übertragen werden. Je nach Art des Auftrags kann damit erheb­liches Rationalisierungspotenzial ausgeschöpft werden.

Zugang: Inhaltsaufnahme-/InhaltsplatzierungswerkzeugeAnsicht > Extras > Überträger einblenden.

Grep-Stile: Da scheiden sich die Geister: Für die einen sind Grep-Stile etwas, worum sie einen grossen Bogen machen, für die anderen sind sie das Eldorado für typografische Perfektion und Arbeitsersparnis. Anwendungsbeispiel: In französischen Texten sollen die Interpunktionen ! ? ; : « » mit einem Achtelgeviert Abstand zu Text versetzt werden. Dies ist in ganzen Büchern automatisch der Fall, wenn ein entsprechender Grep-Stil im Absatzformat des Textes definiert wird, welcher seinerseits ein Zeichenformat mit der erforderlichen Laufweitenkorrektur aufruft. Weitere Beispiele: Jeden Text zwischen Anführungs- und Schlusszeichen oder in Klammern auszeichnen (Zitate respektive Anmerkungen). In einem ganzen Katalog soll das ®-Zeichen auto­matisch hochgestellt und in einheitlicher Schrift dargestellt werden.

Zugang: Absatz- und Zeichenformate.

Suchen/Ersetzen mit Grep: Sie suchen zum Beispiel alle doppelten und dreifachen Leerschläge in einem ganzen Dokument und möchten diese durch einen einfachen Leerschlag ersetzen? Mit der Standardabfrage im Suchen/Ersetzen-Dialog Mehrere Leerstellen in einzelne Leerstelle ein Kinderspiel! Alle Leerzeilen entfernen mit Mehrere Umbrüche in einzelnen Umbruch ist nicht auf Anhieb für diese Funktion zu erkennen, funktioniert aber tadellos. Dies sind die Basics, die Grep-Suche kann aber viel mehr. Generell sind fast alle situationsbedingten Suchen/Ersetzen-Läufe möglich, wenn diese an einer erkennbaren Regel «aufgehängt» werden können. Befassen Sie sich mit den Funktionen wie Platzhalter oder positives Lookbehind: InDesign übernimmt Ihnen damit sehr viel manuellen Such- und Formatierungsaufwand ab! Beispiel aus der Praxis: In einem Mathe-Schulbuch sollen alle Zahlen von rechts in Dreiergruppen aufgeteilt werden; dies aber nur in Zahlen­tabellen; im Lauftext gilt die Regel erst ab fünfstelligen Zahlen …

Zugang: Menü Bearbeiten > Suchen⁄Ersetzen.Literatur: Buch «InDesign automatisieren» von Gregor Fellenz (www.indd-skript.de)

Marginalien/verankertes Objekt: Zugegeben, Marginalien kommen nur in Büchern, Reglementen oder Anleitungen vor. Je nach Ihrer Auftrags­palette kann das für Sie sehr wichtig oder total unbedeutend sein. Generell sind aber «mitlaufende» Objekte ein Thema: Schon die kleinen eingestreuten Symbole im vorliegenden Text könnten leicht verrutschen, wenn sie nicht in den Text verankert worden wären. Bei Marginalien kommt dazu, dass sie sich immer am äusseren Rand befinden sollen (linke Seite, links aussen; rechte Seite, rechts aussen). Dies jeweils automatisch, auch nach Neu­umbruch des Textes. Die Ausrichtung des Marginalientextes ist nicht links- oder rechtsbündig, sondern «je nachdem»: Am Bund oder Nicht am Bund respektive nach innen oder nach aussen, mit automatischer Anpassung bei Neu­umbruch. Das Ganze wird elegant in ein Objektformat verpackt, damit bei Bedarf globale Änderungen möglich sind. Stellen Sie sich vor, Sie müssten all diese Rahmen mit Randbemerkungen von Hand platzieren und nach jeder Textänderung kontrollieren und anpassen …

Zugang: Menü Objekt > Verankertes Objekt – Fenster > Formate > Objektformate.

Viele weitere nützliche Funktionen: Die in dieser Auflistung genannten Funktionen sind nur die berühmte Spitze des Eisbergs. Hinzu kommen viele weitere nützliche Features. Verwenden Sie zum Beispiel die Buchfunktion zur Aufteilung umfangreicher Dokumente? Haben Sie schon Beschriftungen für automatisierte Bildlegenden eingesetzt oder «Lebende Kolumnentitel» mit Textvariablen automatisiert? Checken Sie Ihr Dokument während der Erstellung mit einem angepassten Live-Preflight-Profil? Benützen Sie die InDesign-Bibliothek und kennen Sie den Einsatz von Snippets? Hatten Sie schon mal mit mehreren Textvarianten unter Anwendung der Funktion Bedingter Text zu tun? Setzen Sie JavaScripts für automatisierte Abläufe ein?

Noch mehr Leistung gefragt?

Folgende Tools und Techniken erhöhen die Produktivität mit InDesign entscheidend und erweitern den Einsatzbereich.

InCopy: Redaktionstool zu InDesign; bietet echte WYSIWYG-Darstellung und zeilengenaues Schreiben des Textes.

Redaktionssysteme: hochintegrierte Systeme für grössere Redaktionen, zum Beispiel Woodwing Enterprise oder vjoon K4 bieten hohen Komfort, Automatisierung und Prozesssicherheit; sie bauen auf InDesign und InCopy auf.

EasyCatalog: Anbindung von Datenbanken und Datenübernahme und -aufbereitung. Bietet unter anderem ein Pagination-Modul zum automatisierten Katalogumbruch.

swiss publishing days: Am 12. September zeigt Beat Kipfer den automatisierten Katalogumbruch mit EasyCatalog.

Der Autor

Beat Kipfer, Ausbilder FA, PubliCollege GmbH,3400 BurgdorfKurse und Seminare, Firmenschulungen und Supportfür Publishing und Prepress; Fachlehrer und Kursleiter an den Schulen für Gestaltung in Aarau, Bern und Zürich. www.publicollege.ch
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