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Was selber machen, was machen lassen?

Professionelle Videos produzieren – selber machen oder machen lassen?

Ich bin auch ein Filmproduzent

Seit mit dem Kauf von PCs und Macs kostenlos qualitativ gute Videosoftware mitgeliefert wird, stellt sich insbesondere für Neueinsteiger mit professionellem Anspruch folgende Frage: Was kann ich selber machen und wo braucht es den Profi?

PHILIPPE WEIBEL Die Frage nach dem «Selbermachen» hat durch die beeindruckend guten und günstigen technischen Mittel in letzter Zeit an Brisanz gewonnen. High-End ist mit Haushaltsbudget in Reichweite gerückt. Videoproduktion auf rein technische Aspekte zu reduzieren, führt jedoch zu einer falschen, eher romantisch angehauchten Perspektive des Filmbusiness. Um die Frage in ihrer ganzen Breite zu beantworten, muss man etwas ausholen.

Eine klassische Film- bzw. Videoproduktion unterteilt sich in drei Projektphasen: Vorproduktion, Produktion und Postproduktion. Die drei Phasen verlangen ganz unterschiedliches Wissen. Dabei sind zusammengefasst wiederum stets drei Know-how-Bereiche gefragt, die sich durch die ganze Produktion ziehen: Kreativität, Projektmanagement und Technik. Man könnte diesbezüglich bereits von einer Produktionsmatrix sprechen.

Vorproduktion: Konzepte erarbeiten

Die klassische Vorproduktion beinhaltet als kreative Arbeiten die Erarbeitung des Konzepts und des Drehbuchs. Hier werden die qualitativen Weichen bereits gestellt. Ob ein gutes Produkt entsteht, wird wie immer zu einem grossen Teil beim Inhalt entschieden. Dieser ist in den meisten Fällen allerdings Geschmacksache. Zudem stellen Werbe-, Spiel-, Auftrags- oder Dokumentarfilme stets andere Anforderungen an ein Drehbuch. Während beim Dokumentar- und beim Auftragsfilm beispielsweise die fundierte Ausseinandersetzung mit einem Thema im Vordergrund steht und mit Kommentar und Bild gearbeitet wird, lebt die Werbung mit dem Ziel einer nachhaltigen Wirkung beim Empfänger zu einem grossen Teil von Kurzgeschichten und eingängigen Impressionen, die mit einem hohen technischen Aufwand inszeniert werden.

Leitplanken für die Kreativität setzt zweifellos das Marketing. Marketing ist wie auch in anderen Branchen zugleich Freund und Feind der Kreativität. Was nützt ein technisch und kreativ brillant umgesetzter Werbespot, wenn die Zielgruppe die Botschaft nicht versteht? Oder wie kann mit einer sehr interaktiven und schön produzierten DVD der Kunde erreicht werden, wenn dieser keine Abspielmöglichkeit hat? Als unabdingbar wichtige Überlegungen in diesem Zusammenhang gehören unabhängig von der Produktionsart folgende Punkte hierher: Welche Zielgruppe sprechen wir womit an? Was ist die Kernbotschaft? Ist die Zielgruppe physisch und emotional erreichbar? Wie funktioniert die Interaktion, falls es eine gibt? Funktioniert der angestrebte Medienverbund mit anderen Plattformen?

Führen wir diese Gedanken zur Kernfrage des Artikels, was selber gemacht werden kann oder inwiefern professioneller Rat beigezogen werden muss, teilen sich bereits die Meinungen. Auf der einen Seite ist fraglich, ob eine Werbeagentur oder Filmproduktion die Kunden des Kunden besser kennt als der Kunde selber. Andererseits ist die richtige Portionierung von Kommentartexten, visuellen Infohäppchen etc. auch Begabungs- und vor allem Erfahrungssache. Trotzdem: Mit einem guten Schuss Kreativität, etwas Technik und Marketing im Rucksack kann dieser Schritt mindestens bis zur Disposition in Angriff genommen werden.

Projektmanagement: Filmemachen ist – je nach Ambition und Komplexität des Projektes – zu einem grossen Teil Organisation. Dazu gehören sämtliche Aspekte von der Abklärung der Drehorte über die Zusammenstellung des Teams bis zum Verfassen des fertigen Drehplans. Auch die finanzielle Sicherung des Projekts und rechtliche Aspekte sind Aufgaben, die in die Zuständigkeit der Produktion fallen und in dieser Phase angesiedelt sind. Hier ist sicher, dass man ohne Produktionserfahrung und einen guten Schuss Projektmanagement-Know-how leicht ins Fettnäpfchen treten kann. Ausführende Produzenten und erfahrene Produktionsleitungen gehören somit zu den wertvollen Assets der Filmproduktionsfirmen. Also folgende Faustregel beherzigen: Falls das Produktionsteam aus über 3 Personen besteht und logistisch komplexere Aktionen anstehen, Hilfe zuziehen. Produktionsleitungen kann man auch auf dem freien Markt engagieren.

Zum Bereich Technik gibt es im Zusammenhang mit der Vorproduktion vor allem eins festzuhalten: Technisches Wissen gibt Ideen. Zurzeit gewinnt mit dem Aufkommen des neuen DVD-Standards (HD-DVD, Blue-Ray Disc) und der Möglichkeiten der verbesserten Webintegration von multimedialen Inhalten die Interaktivität zum zweiten Mal seit der Einführung von HTML und Hyperlinks eine grosse Bedeutung. Interaktion bedeutet nicht unbedingt eine Vielzahl bunter DVD-Menüs, sondern die Möglichkeit einer gezielten, multilingualen Zielgruppenansprache und die Nutzung des Medienverbundes. Besonders im Bereich Auftragsfilm wird diesem Sachverhalt zu wenig Rechnung getragen, zu stark wird linear gedacht und produziert.

Produktion: den Dreh rauskriegen

Die Produktion umfasst den effektiven Drehvorgang. Das heisst: die Szenerie auf Band bannen. Das ist sicher ein schöner Teil der kreativen Arbeit. Anzeichen dafür sind die schnell wachsende Anzahl von Filmfans, die mit einer für zweitausend Franken erworbenen DV-Kamera bereits sehr gute Einstellungen drehen. In diesem Sinne sind der Kreativität insbesondere mit einem Blick auf die unbegrenzeten Möglichkeiten in der Postproduktion fast keine Grenzen mehr gesetzt – bis zu einem gewissen Grad wohlgemerkt. Der Umgang mit Licht, Farben, Kontrasten und Bewegungen etc. erfordert wiederum viel Erfahrung und Detailinteresse. Dazu kommen Faktoren wie Tageszeiten, Klima und topografische Eigenheiten, die alle sorgfältig studiert werden müssen, damit man das erhält, was man wirklich möchte. Hier trennt sich dann die Spreu vom Weizen. Eine brütende Stockente kann durchaus in 20 Sekunden mit einem guten Resultat aufgezeichnet werden. Das Licht reflektiert zwar etwas unerwünscht an der Wasseroberfläche, die Ente wirkt etwas grünlich und das Boot schwankt, die Automatik der Kamera kann es aber weitgehend richten. Die brütende Stockente kann aber auch zur richtigen Tageszeit mit den entsprechenden Filtern und einem Boot Mount so aufgenommen werden, dass sie perfekt daherkommt. Aber nochmals: Auch hier ist alles eine Frage von Geschmack, Aufwand und Nutzen in der entsprechenden Situation.

Um in Bezug aufs Kernthema noch eine einigermassen befriedigende Antwort geben zu können, nur soviel zur Kreativität: Ein in Sachen Licht und Beleuchtung bewanderter und erfahrener Kameraprofi zahlt sich immer aus. Man sieht es der Aufnahme einfach an.

Projektmanagement: Die Produktion kann insbesondere bei grösseren Auftrags- und Spielfilmen logistisch unglaublich komplex werden. Eine Equipe, bestehend aus 10 bis 30 Leuten – Crew, Schauspieler, Statisten etc. –, zu verschiedenen Zeiten bei unterschiedlichem Wetter an diverse Dreh­orte zu manövrieren, kann unter dem bestehenden Zeit- und Finanzdruck sehr schwierig werden. Auch hier gilt wieder: Produktions- und Aufnahmeleiter zuziehen, falls es der entsprechende Fall erfordert.

Wenn wir einen Blick auf die Technik werfen, befinden wir uns unverhofft inmitten von einem leider nicht immer übersichtlichen «Geräteschlaraffenland». Vom VHS- bis zum HDCAM-Aufzeichnungsformat sind keine 20 Jahre vergangen und dabei wurde nichts ausgelassen, um den Endverbraucher immer wieder zu Neuinvestitionen zu nötigen. Mit HDCAM sind wir – um die Analogie zum Film zu bemühen – nun zwischen dem 16-mm- und dem 35-mm-Format angekommen. Das heisst, es wird nun auch im Digitalvideo-Sektor in Kinoqualität gearbeitet. Dies vor allem aufgrund der verbesserten Auflösung und der Einführung von progressiver Aufzeichnung. Das ist schön. Auf der anderen Seite kommen wieder alte Probleme auf, die lange keine waren. Zum Beispiel, dass nun durch die enorme Datenmenge von HD wieder schnellere Festplatten von Nöten sind. Aber dazu kommen wir in der Postproduktion. Es bleibt für alle, die die sich fürs Selberfilmen entschieden haben, die Frage, ob sich die Investition in eine teuere Kamera lohnt. Für den semiprofessionellen Anwender, der einfach für Schnellschüsse ein gutes Gerät im Haushalt haben möchte, empfiehlt sich eine HDV-Kamera (rund viertausend Franken). Für alle mit Kinoqualitätsanspruch und gefüllten Auftragsbüchern: nichts kaufen, sondern mieten und weiterverrechnen, bis sich der Standardisierungskrieg und der hohe Einführungspreis etwas gelegt haben.

Postproduktion

Die Videopostproduktion konzentriert grob vier Arbeitsschritte, die aus krea­tiver Sicht sehr unterschiedlich sind. Bei der Visionierung wird Material gesichtet, Log&Capture beinhaltet die Erfassung der Timecodes der entsprechenden Bandstelle, die man will, und das Kopieren dieser Passage auf den Computer. Im Anschluss folgen Montage, Bildbe- und -erarbeitung, dann kommt die Vertonung. Der Abschluss ist dann das Mastering auf Band oder auf ein anderes Medium. Auf dem Markt erhältliche und kostengünstige Mittel erlauben hier, alles selber zu machen, sofern man das Wissen dazu hat. Die Kreativität ist endlos. Man kann, sofern kein Zeit- und Finanzdruck besteht, wild experimentieren und erstaunliche Resultate erzielen. Aber auch hier gilt: Schneiden ist eine Frage von Rhythmus und Dynamik. Dies erfordert ein Gespür, Bild- und Tonelemente perfekt zusammenzufügen, Raum zu lassen und zu featuren. Ein anderes visuelles Element ist das sogenannte Grading. Dieses umfasst das Einstellen und Korrigieren von Farben und Lichtfaktoren, um dem Video den gewünschten Look zu geben. Für beide Arbeiten gibts Spezialisten. Der viel zu wenig beachtete Ton wiederum, der das Anlegen und Mischen von Geräuschen, Kommentar, Originalton und Musik umfasst, ist eine Wissenschaft für sich. Das Bandmaster selber ist mit Ausnahme von Sendebändern seit der DVD fast schon zum Übergangsmedium geworden. Dafür braucht das DVD-Authoring wieder spezielles Wissen. Der kurz gefasste Tipp: Eigene Fähigkeiten und Ansprüche ans Produkt abschätzen und dann bei Bedarf Leute zuziehen. Eine gute Lösung wäre hier, den Vorschnitt selber zu machen und den Finish einem Profi zu übergeben.

Organisatorisch ist die Postproduktion – ausser man arbeitet gerade an Star Wars Episode III – eher mässig aufwändig. In einer kommerziellen Produktion konzentrieren sich die Anstrengungen vorwiegend darauf, Deadlines und Budgets einzuhalten. Das ist in den meisten Fällen irgendwie selber ohne grosse Freelancerunterstützung machbar.

Abschliessend noch ein paar Worte zur Technik. Mit der Einführung von DV und Firewire bekam jeder die Möglichkeit, sein Video auf den Laptop zu kopieren und mittels entsprechender Software zu editieren. Diese Tradition wird nun mit HDV, das ebenfalls via Firewire-Schnittstelle funktioniert, weitergeführt und verbessert. Das heisst, für Consumer ist nunmehr immer noch alles möglich, aber mit noch besserer Qualität.

Im professionellen Sektor, wo vorwiegend mit Digibeta und HD gearbeitet wird, braucht es bis dato noch sogenannte Breakoutboxen – oder mit anderen Worten Digitalisierungskarten –, welche die nötigen Anschlüsse haben, um Komponenten, SDI oder HD-SDI in den Computer zu kopieren, um das Material bearbeiten zu können. Mit HD fliesst eine grössere Datenmenge, die von handelsüblichen PCs und Macs nicht ohne Disk-Raid (sehr schnelles Festplattensystem) bewältigt werden kann. Dazu kommen für HD neue Recorder, Monitore und Peripherigeräte. Da all dies doch noch relativ teuer ist, kann man zurzeit in der Schweiz auf HD umgerüstete Postproduktionsfirmen an einer Hand abzählen. Dementsprechend hoch sind auch noch die Mietpreise. Auch dieses Argument spricht dafür, HD-Material nach dem Dreh vorerst zu komprimieren, um günstig auf dem PC zu schneiden und erst für den Finish ins Studio zu gehen, um den sogenannten Online-Schnitt zu machen.

Zusammenfassung

Was man alles selber machen kann und was nicht, kann man nicht abschliessend beantworten. Mit einem Budget von 15000 Franken kann man sich zwar technisch so weit ausrüsten, dass auf DV- und HDV-Basis professionell gearbeitet werden kann. Insofern stellt die Technik kein Hindernis mehr dar. Wie weit man sich kreativ und organisatorisch selber reinhängen kann, bleibt zuletzt aber eine Frage des Know-hows, der Erfahrung und der Kapazität.

Ganz zum Schluss noch folgende Überlegung auf den Weg. Kosten sind nirgendwo so relativ wie in der AV-Branche. Sicher sind die Kosten für eine gute Produktionsleiterin nicht ganz unbedeutend. Aber für die entstandenen Zusatzkosten während eines Drehs mit einer zehnköpfigen Equipe, verursacht durch fehlende Erfahrung, könnte man sich allenfalls ein ganzes System kaufen.

 

 

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