Heft-Archiv >> 2005 >> Publisher 3-05 >> Digital Video >> Weichenstellung in der Videowelt
Artikel als PDF

Weichenstellung in der Videowelt

Macintosh als moderne Videoplattform

Weichenstellung in der Videowelt

Final Cut Pro 5 und das neue Betriebssystem Tiger von Apple sowie ein neues TV-Format werden die digitale Videoproduktion umkrempeln. Eine Bestandesaufnahme.

PHILIPPE WEIBEL Mit dem neuen Macintosh-Betriebssystem Tiger und dem Verkaufsstart des Produktionssets Final Cut Studio rollt die Firma Apple die Videoindustrie von hinten auf. Unter dem neuen System werden teure Videokarten, die bis anhin fürs Rechnen von Echtzeiteffekten benutzt wurden, obsolet. Oder positiv formuliert: Alle mit Tiger und einer aktuellen Grafikkarte können nun ohne grosse Mehrinvestitionen die höchsten Ansprüche auch unter Zeitdruck erfüllen. Diese Entwicklung hat sich zwar bereits seit längerem angebahnt, nun aber ist der Schritt mit Core Video zur absoluten Echtzeit ohne Zusatzhardware getan. Da lohnt sich ein kurzer Blick auf die dahinter steckende Technologie.

Die Grafikkarte rechnen lassen

Aktuelle Videokarten bieten programmierbare Grafikverarbeitungseinheiten, sogenannte Graphics Processing Units oder GPUs, die zurzeit unglaubliche 6 Milliarden Pixel pro Sekunde verarbeiten können. Ein riesiges Potenzial an Rechenleistung sitzt somit auf der Grafikkarte. Bis vor kurzem verlangte die volle Nutzung des Leistungspotenzials der GPU allerdings detaillierte Kenntnisse in der Programmierung.

Mit der Einführung von OS X Jaguar wurde die Basistechnologie Core Image eingeführt. Diese Technologie ermöglichte den Softwareentwicklern die einfache Nutzung dieser programmierbaren GPUs für eine hyperschnelle Bildverarbeitung. Core Image kann man sich als Bibliothek, bestehend aus diversen Bildverarbeitungs-Plug-ins (Filter, Effekte, etc.), sogenannten Image Units, vorstellen. Diese Image Units können von allen Programmen angesteuert werden. Effekte und Übergänge lassen sich so mit ein paar wenigen Codezeilen ausdrücken. Core Image kümmert sich um den Rest und übernimmt die Optimierung des Verarbeitungspfads zur GPU. Ein gutes Beispiel für die Nutzung dieser Technologie ist das Exposé oder der bekannte Zoomeffekt im Dock.

Die Vorteile der Technologie sind frappant: Erstens werden fast alle Grafikarbeiten auf der sehr leistungsfähigen Grafikkarte gerechnet, was Verzögerungen in der Darstellung fast komplett zum Verschwinden bringt. Zweitens wird der Hauptprozessor praktisch nicht in Anspruch genommen; dieser kann seine Ressourcen anderweitig nützen.

Von Core Image zu Core Video

Das System Tiger enthält neben Core Image nun auch Core Video. Damit kann nicht nur ein Bild – wie zum Beispiel der Inhalt eines Fensters – transformiert werden, sondern ganze Videosequenzen. Das Prinzip der Echtzeitberechnung auf der Grafikkarte, ohne den Hauptprozessor zu beanspruchen, ist dabei gleich. Core Video ermöglicht den Entwicklern das Anwenden sämtlicher Vorteile von Core Image auf Videos – mit rasanter Leistung bei Filtern, Effekten und Einzelpixel-Genauigkeit. Dabei kann nun die Videosoftware auf über einhundert neue «Image Units» zugreifen, die zum Lieferumfang von Tiger gehören, einschliesslich Verschwimmen, Farbanpassungen, Verzerrung, Kantenschärfung und Übergängen. Final Cut Pro 5 macht sich diese Technologie unter dem Namen Real Time Extreme bzw. dem intelligenten Dynamic Real Time zu Nutze. Je nach Leistungsfähigkeit des Rechners werden allenfalls Bilder weggelassen oder die Bildqualität reduziert, aber alles bleibt Echtzeit. Ein enormer Vorteil beim Editing von riesigen Datenmengen, wie sie bei High-Definition anfallen.

Auswirkungen auf die Videoproduktion

Hardwarelastige Editing-Systeme mit DSP-Karten dürfen langsam in Pension gehen. Das betrifft insbesondere AVID und Optibase mit dem Media 100. Aber auch Hardware-Drittanbieter für Final Cut Pro wie Pinnacle haben die Entwicklung von gewissen Grafikkarten eingestellt. Zwar haben viele Anbieter längst mit Light- und Expresslösungen reagiert und können ihre Software auch auf Laptops im Firewire-Modus und mit DV-Qualität betreiben, doch an die Leistungsfähigkeit des Duos Tiger/Final Cut Pro 5 kommen sie nicht heran.

Für Profis ist selbstverständlich weiterhin ein analoges bzw. digitales Input-/Output-Board unerlässlich. Aber auch in diesem Sektor kann mit einem Firewire-AJA-Interface oder einer Kona- bzw. Black-Magic-Lösung ab 1200 Franken relativ günstig ein System zusammengestellt werden.

Dass nun jeder mit einem G5 und etwas Software fast alles machen kann, mag Profis aus der Videoproduktion beunruhigen. Auf der anderen Seite hat sich filmische Qualität noch nie über die Technik allein definiert. Insofern dürfen Film- bzw. Videoproduktionsfirmen der Zukunft entspannt entgegenschauen. Dass es für Postproduktionsfirmen – Special-FX-Betriebe mit speziellen Hochleistungssystemen wie Mayas oder Flames ausgenommen – etwas ungemütlicher geworden ist, ist nicht abzustreiten.

Final Cut Studio – das Produktions-Powerpaket

Mit Final Cut Studio hat Apple ein wichtiges Ziel erreicht. Die gesamte Audio- und Video-Postproduktion kann nun auf Profiniveau mit Apple-Software gemacht werden. Das ist eindrücklich, insbesondere wenn man beachtet, dass das gesamte Produktionspaket für unter 2000 Franken zu haben ist. Neben dem flotten Preis-Leistungs-Verhältnis lässt auch die Integration der einzelnen Pakete das Herz des Videoproduzenten höher schlagen. Vom Schnitt bis zur fertigen DVD wurden zeitraubende und technische Hürden weitgehend entfernt. So kann man locker etwas Editing machen und gleichzeitig mit einem Mausklick das Movie ins Soundtrack Pro bewegen, um einige Musikgrooves anzulegen.

Der Schnitt erfolgt mit dem nun nochmals verbesserten Final Cut Pro 5. Neu komplett HD-fähig und im Audiobereich auf den professionellen Stand gebracht, kombiniert mit einigen neuen Features wie Multicam Editing und Dynamic RT, führt die Software bezüglich Funktionalität und Preis-/Leistungsverhältnis den Markt an. Das neue Soundtrack Pro bietet eine professionelle Plattform für die gesamte Audiobearbeitung. Soundtrack Pro ist nahtlos mit Final Cut Pro verknüpft und ist nun für die meisten Anwendungen eine echte Alternative zum bisher praktisch konkurrenzlosen Pro Tools.

Die Audiokomposition und -produktion erfolgt mit Logic Pro, der äusserst etablierten Software, die ursprünglich aus dem Hause Emagic stammt. Auch dieses Paket lässt wenig Wünsche offen und ist für Audio und Midi gleichermassen beliebt. Motion 2 ist eine schöne Software für unkompliziertes Textdesign, während das DVD Studio Pro 4 mit Abstand die beste DVD-Authoring-Software ist. Für Compositing-Spezialisten (Special FX) bietet sich das Shake an, welches allerdings nicht zum Final-Cut-Studio-Paket gehört und etwas fundiertere Auseinandersetzung mit der Materie verlangt.

Die Kosten von Final Cut Studio sind bestechend tief und machen die Software schon für halb­ eingefleischte Videobegeisterte interessant. In der Praxis noch wichtiger sind aber eine geringe Anzahl Plattform-Schnittstellen und minimale technische Hürden. Hier ist die integrierte Produktionsstrategie von Apple kaum zu überbieten. Gleichermassen wird die Gratislinie iMovie und iDVD für nicht ganz so Ambitionierte diesem Anspruch gerecht.

HDV soll herkömmliches TV-Format ablösen

Kaum ein Begriff wird zurzeit in der digitalen Videowelt mehr diskutiert als High Definition Video, kurz HDV. Er geistert schon relativ lange rum; das Auftauchen der FX 1 – einer der ersten HDV-Kameras von Sony unter 6000 Franken – hat noch mehr Schwung in die Diskussion gebracht. Mit Final Cut Pro 5 wird HDV auf einem professionellen Niveau nun auch auf dem Mac voll unterstützt. Doch was ist überhaupt HDV?

Seit der Einführung des Fernsehens wird in Europa das PAL-System benutzt und zusammen mit NTSC und SECAM – der amerikanischen bzw. französischen Variante – als Standard Definition (SD) bezeichnet. Das PAL-Format liefert 25 Bilder pro Sekunde, die jedoch aus 50 Halbbildern zusammengesetzt werden. Die Halbbildtechnologie wird Interlaced-Verfahren genannt und wurde damals aus technischen Gründen eingeführt, da das Bild auf Röhrenmonitoren sonst zu stark geflimmert hätte. Weiter hat das PAL-System 720 Zeilen mit je 576 Bildpunkten, also für heutige Verhältnisse eher eine schlechte Auflösung. Von Betamax über VHS und Beta SP bis zu DV und Digibeta haben in den Jahren die Aufzeichnungsformate geändert, in Auflösung und Bildrate blieb aber alles beim Alten.

Die im Vergleich zum pixellosen Film schlechte Auflösung war ein erster Antrieb, um die Zeilen und Pixel zu verfeinern. Ausserdem ist das Halbbildverfahren im Zeitalter von Flachbildschirmen, Plasma-TV und Beamern eher ein Klotz am Bein, da die Zeilen überall ausser auf Röhrenmonitoren sehr unschön wirken.

Man hat sich nun entschieden, das Standard Definition System durch ein besseres, nämlich das High-Definition System, abzulösen, auch HDTV genannt. Es sind zurzeit drei HD-Kategorien daran, sich zu etablieren. Im Profibereich haben das DVC-Pro HD (Panasonic) und das HDCAM (Sony) Fuss gefasst. Aktuelle Geräte zeichnen je nach Ausführung mit Auflösungen von 1280×720p (p = progressiv = Vollbilder) oder 1920×1080i (i = interlaced = Halbbilder) auf. Während DVC-Pro HD noch auf 1920×1080i beschränkt ist, wurde in letzter Zeit das HDCAM-Format mit 1920×1080p und somit einer brillanten Bildqualität mit «Filmlook» für die Filmindustrie eine ernstzunehmende Alternative zu Zelluloid. Dazu mehr unten.

Weil DVC-Pro HD und HDCAM Geräte noch sehr teuer sind, wurde das HDV Format geschafffen, welches im Consumerbereich das DV-Format ablösen wird. HDV ist umstellbar zwischen 1280×720 progressiv und 1440×1080 interlaced, je nach Ausführung. Das Schöne am HDV-Format ist, dass die Daten via Firewire dem Computer direkt in den Videoeditor zugeführt werden können. Das heisst, mit dem HDV-Format kann exakt gleich gearbeitet werden wie mit der DV-Familie. Die Datenrate liegt dank MPEG2 immer noch bei 3,6 MB pro Sekunde, das heisst, eine Minute Video braucht bei höherer Qualität gleich viel Speicher wie bis anhin die DV-Filme.

Star Wars mit HD produziert

Unglücklicherweise hat eine Umstellung auf HD eine ganze Investitionsreihe zur Folge. Von der Kamera über die Sendestationen bis zum Fernsehen und zum DVD-Player im Wohnzimmer müssen neue Geräte angeschafft werden, um von der besseren Auflösung zu profitieren. Trotzdem ist es nur eine Frage der Zeit, wann HD das SD-Format ablösen wird. Die Filmindustrie ist bereits daran, langsam von Film auf HD zu wechseln. Die Kostenersparnis ist reizvoll und die Qualität kommt sehr nahe an Film heran. Diverse Kinofime wurden bereits komplett auf HD gedreht, zum Beispiel «Das Wunder von Bern», oder die Blockbusters «Star Wars» Episode 2 und 3 und «Once upon a Time in Mexico». Im HD-Markt tut sich momentan einiges. Es werden laufend neue Produkte angekündigt, die nochmals neue Türen öffnen. Erwähnenswert ist die im Herbst erhältliche Panasonic HVX200, die für einen Preis unter 10000 Franken punkto Funktionalität alles schlägt. Es ist also noch einiges zu erwarten in diesem Segment.

 

Zusammenfassung

Mit Tiger, HDV und Final Cut Studio vereinen sich drei Neuheiten zur Perfektion und weisen den Weg in der Branche. Falls Sie sich schon immer gefragt haben, was es braucht, um technisch vorne dabei zu sein – die Antwort ist kurz. Ein G5, Final Cut Studio, eine HDV-Kamera und einige Festplatten. Die Ausdauer, um die Bedienung der Programme zu lernen, eine ruhige Hand und ein guter Schuss Begabung sind jedoch immer noch nicht käuflich.

 

 

Artikel als PDF