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Mit Seil und Karabiner in die H�he

Wo der Einsatz von Hebebühnen und -liften sehr aufwändig und teuer oder aus Platzmangel schlicht ein Ding der Unmöglichkeit ist, werden Industriekletterer engagiert. Ihre Fähigkeiten werden zunehmend auch für Werbezwecke in Anspruch genommen.

Katrin koch Die meterhohen Plakate am Zürcher Flughafen fangen den Blick von Reisewilligen schon von Weitem ein. Die Schweizerfahne am Säntis zur letztjährigen 1.-August-Feier war mit ihrer Fläche von 120 × 120 Metern für die halbe Ostschweiz sichtbar und bewegte die Schweiz. Die WM im Sommer wäre ohne Hunderte von Länderfahnen nicht halb so eindrücklich gewesen. Für die Montage solch grosser Werbeanlagen sind die Verantwortlichen auf die Dienste von Indus-triekletterern angewiesen.

Geschichte der Seilarbeit

Seit den 1930er-Jahren war es üblich, dass Höhenarbeiter sich mit Seilen sichern mussten. Durch diese Vorgabe konnte beispielsweise beim Bau der Golden Gate Bridge in San Francisco die Mortalitätsrate stark gesenkt werden. Professionalisiert wurde das Verfahren erst um 1970, als britische Alpinisten für den Bau und die Wartung von Bohrinseln in der Nordsee mit einem zweiten Sicherungsseil zu arbeiten begannen.

In der DDR ergriffen Hobbyalpinisten selbst die Initiative zur Reparatur der unterdessen sanierungsbedürftigen Plattenbauten und kletterten an den Fassaden. Diese Arbeit ohne Gerüst oder Hebelift wurde bei der Wiedervereinigung unterbunden. Sechs Jahre später gründeten Experten aus der Wirtschaft, Höhenrettung und Unfallversicherer den Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken FISAT.

Arbeitsspektrum

Das Leistungsspektrum von Höhenarbeitern, die seilunterstützte Zugangstechniken nutzen, umfasst ein grosses Gebiet. Grundsätzlich ist diese spezielle Arbeitsweise dort gefragt, wo der Zugang mit Gerüsten oder so genannten Skyworkern entweder zu kostspielig oder gar nicht möglich ist.

Heute hat die Arbeit am Seil einen wichtigen Platz in der Reinigung und dem Unterhalt von Gebäuden inne. Weitere interessante Arbeitsgebiete sind auch Stahlkonstruktionen, die ohne Seilzugangstechniken nicht realisiert werden könnten. Auch die Rigging-Arbeit an Festivals und an Grossanlässen, die Felssicherung und die Installation von Windkraftanlagen gehören in das Tätigkeitsfeld der Industriekletterei.Unabhängig vom Einsatzgebiet ist grosses handwerkliches Geschick gefragt.

Seil und Karabiner oder doch Hebebühne?

Für Hebebühnen spricht, dass auch schwerere Lasten mitgeführt werden können, und weniger Arbeitskraft von Nöten ist. So genügen oftmals zwei Arbeiter. Bei Seilmontagen läuft unter drei Personen nichts. Zudem wurden die Hebelifte und deren Miete in den letzten Jahren günstiger. Der Nachteil von Skyworkern und Gerüsten liegt dafür bei der benötigten freien Fläche am Boden, die für Passanten oder Fahrzeuge gesperrt werden muss. Die grosse Stärke der Seilarbeit bleibt aber die Zugänglichkeit, Flexibilität und die Möglichkeit, sich sehr schnell an ändernde Bedingungen anzupassen.

Alltag

Auch für den Industriekletterer müssen einige Parameter stimmen: Bei starkem Wind oder regnerischem Wetter etwa ist die Arbeit zu gefährlich, wohingegen auf einem geschützten Gerüst noch gearbeitet werden könnte. Ganz wichtig für die Arbeit ist der Zugang zur Fassade: Wie kommt man überhaupt auf das Dach? Wo können die Seile sicher befestigt werden? Zudem müssen die Seile dort geschützt werden, wo sie über scharfe Kanten laufen, damit sie keinesfalls scheuern.

Die immer wiederkehrende Herausforderung ist die Zugänglichkeit bei neuen Objekten: Wie kann die Fassade oder das Brückengeländer erreicht werden? Nicht nur im Aussenbereich stellt sich diese Frage, sondern auch in Innenräumen. In den meisten Fällen erreichen die Kletterer ihren Arbeitsort durch Abseilen von oben. Im Innenbereich gleicht das Finden eines geschickten Zugangs für die Befestigung von Werbemitteln durchaus der Routenfindung am Berg.

Ein auf übergrosse Werbung spezialisierter Werbetechnikbetrieb ist die richnerstutz AG. Auf die Frage, was denn das wichtigste Arbeitswerkzeug eines Industriekletterers sei, antwortet Ronny Nussbaumer, der Projektleiter bei der richnerstutz AG ist: «Gschtältli, Karabiner und Seil – Sicherheit ist das oberste Gebot.» Nicht vernachlässigbar sei auch die Verpflegung. Die Arbeit am Seil fordert höchste Konzentration, da sei es äusserst wichtig, genügend zu trinken. Und wer bis zu fünf Stunden am Stück in der Höhe arbeitet, dessen Magen wird auch mal nach einem Sandwich verlangen.

Gefahren der Seilarbeit

Heute darf nur noch am Seil arbeiten, wer auch eine entsprechende Ausbildung absolviert hat. Arbeiten am Seil ohne ein zusätzliches Sicherungsseil ist nach den Vorgaben der heutigen Arbeitssicherheit nicht mehr zulässig. Eines der nur drei Unternehmen, welches im deutschsprachigen Raum die weltweit anerkannte Ausbildung nach IRATA anbietet, ist Toprope. Die Zertifizierung ist in drei Levels aufgeteilt. Gerade dank dieser starken Regulierung ist die Arbeit am Seil weit sicherer als die Arbeit anderer Branchen des Baugewerbes. In Deutschland können Industriekletterer seit 1997 eine Ausbildung machen, die das verantwortliche Agieren und den Schutz von Dritten beinhaltet. Die Ausbildung wird auch von Versicherungen anerkannt.

Grundvoraussetzung für einen sicheren Arbeitsalltag ist nebst der Ausbildung, die auch Rettungstechniken vermittelt, das ständige Beobachten der Wettersituation und das Vermeiden von Nachlässigkeit. So muss beispielsweise bei Arbeiten an Bergbahnstationen in der Wintersaison darauf geachtet werden, dass immer wieder Pausen eingelegt werden, damit die Arbeiter sich aufwärmen können.

Psychische und physische Anforderungen an Kletterer

Auch wenn die Kletterarbeit immer wieder Sportkletterer lockt, die sich Hallen und vorgegebene Routen gewohnt sind, eignet sich eine Vorbildung als hochalpiner Kletterer eher. Die Neigung zur Improvisation, ein kombinierendes Denken und die Fähigkeit, sich eine Route selber zu suchen, kommen einem in der Wand sehr entgegen.

Weiter spielt die Teamarbeit eine grosse Rolle: Bei der richnerstutz AG sind es meist zwei Seilarbeiter und eine Person am Boden, welche die Arbeit des Handlangers übernimmt. Funktioniert das Team, ist auch ein speditives und risikoarmes Arbeiten gegeben.

Möglichkeiten zur Befestigung von Riesenpostern

Der Seilrahmen ist der Klassiker unter den Rahmensystemen. Die Bilder werden mit einem Gummiband in einen Drahtseilrahmen gespannt. Durch das Gummiseil lässt sich das Bild optimal spannen, so dass es bei starkem Wind nicht zu einer Faltenbildung kommt und eine gleichmässige und permanente Spannung bestehen bleibt. Dieses System eignet sich auch für Befestigungsorte, die starkem Wind ausgesetzt sind: die Blache bleibt trotz der Spannung beweglich. Eine maximale Grösse gibt es bei dieser Montageart nicht. Zudem ist der Seilrahmen auch eines der günstigsten Rahmensysteme.

Eine weitere Möglichkeit ist die Montage mittels eines Kederprofils. Dabei wird das Bild an der Wand befestigt. Der Rahmen kann je nach Anforderung umlaufend oder nur oben und unten angebracht werden. Vorrichtungen, bei denen das Bild oft gewechselt wird, werden mit einem Rahmen mit einem versteckten Spannsystem montiert. Farbliche Anpassungen an die Gebäudefarbe oder an die gebogenen Systeme sind möglich. Grundsätzlich kennt auch dieses Rahmensystem keine Formatbegrenzung.

Für Grossformatbilder bilden Gerüste eine gute Basis. Idealerweise werden diese durch die Gerüstfirma zusätzlich abgestützt, um der grösseren Belastung standzuhalten. Mittels Spanngummis oder Kabelbindern werden die Grossformatbilder am Gerüst befestigt. Dank dem Einsatz von Netzblachen besteht ein Schutz gegen herabfallende Gegenstände. Auch lassen sie genügend Tageslicht durch, um die Bauarbeiten ohne Kunstlicht ausführen zu können.

Auch der Untergrund nimmt Einfluss auf die Befestigungsweise. Dabei lassen Backstein- und Betonmauern sowie Stahlbauten mehr Freiheit als Blechfassaden oder die für diese Arbeiten nicht so beliebten Aussenisola­tionen.

Bannermaterial

Gängige Bannermaterialien, wie Blachen und Mesh mit einer Grammatur von 340 bis zu 760 g/m2, eignen sich nicht nur für Grümpelturnier-Werbung, sondern auch für weithin sichtbare Präsentationen. Die bedruckten Bahnen werden Hochfrequenz-verschweisst und fertig konfektioniert, bevor sie ins Freie dürfen. Ab einer Grösse von einigen 100 m2 kann es sinnvoll sein, die Werbebotschaft für die Montage auf zwei oder mehr Einheiten zu verteilen. Richtig verarbeitet, halten die riesigen Werbeflächen Windstärken bis zu 200 Kilometer pro Stunde aus und trotzen jeglichen Temperatureinflüssen.

Idee und Umsetzung

Nach einer ersten Kontaktaufnahme, die bei richnerstutz meist per E-Mail geschieht und Fotos der Gebäudehülle enthält, kommt es relativ rasch zur Objektbesichtigung vor Ort. Dabei gilt es vor allem, den Seilzugang zu prüfen. Je nach Art der Fassade werden daraufhin Montageart und -material festgelegt. Im Anschluss wird das Bannermaterial bedruckt und konfektioniert. Auf den Zeitplan negativ auswirken kann sich höchstens eine noch ausstehende Baubewilligung, welche bei Riesenpostern beantragt werden muss.

Im Kanton Basel-Stadt muss eine Bewilligung für das Anbringen von Grossreklamen mit einer Grösse von mehr als 12 Quadratmetern eingeholt werden. Dies gilt sowohl für öffentlichen und privaten Grund als auch für die jeweilige Werbebotschaft. Zuständig dafür ist die Allmend-Verwaltung und das Bauinspektorat.

Klettern im Dienst der Werbetechnik?

Mit derart grossen Fassadenreklamen können Kunden von Werbetechnikbetrieben auffallend und auf attraktive Weise ihre Produkte und Dienstleistungen präsentieren. Dank vielseitigen Montagemöglichkeiten setzt eher die Gebäudekubatur denn das Poster das Limit.

Vor allem dort, wo der Einsatz von Hebebühnen und ähnlichen Hilfsmitteln für werbetechnische Zwecke sehr aufwändig und kostspielig ist, bietet eine Montage durch Industriekletterer eine gute Alternative. Für sie sind auch Objekte zugänglich, die sonst kaum erreichbar sind. Einige Beispiele dafür sind die Montage und Wartung von Leuchtkästen an Hochhäusern, das Applizieren von UV-Schutzfolien an Fensterfronten, oder wie bereits erwähnt, Riesenposter. Industriekletterer können unsere Arbeit übernehmen, wo für uns das sichere Arbeiten nicht mehr gewährleistet ist.

Sichere Arbeit am Seil

IRATA steht für Industrial Rope Access Trade Association. Der Verband wurde vor 20 Jahren in England für Arbeiten am Seil im Offshore-Bereich (auf Ölplattformen) gegründet. Inzwischen ist der IRATA-Standard weltweit auf allen Kontinenten in über 50 Ländern anerkannt und hat etwa 40 000 ausgebildete Techniker. Die knapp 200 zertifizierten Betriebe garantieren die Wahrung der strengen Sicherheitsstandards sowohl in der Ausführung der Arbeiten wie auch in der Ausbildung. Mittlerweile sind die Geschäftsfelder der IRATA-Firmen gleichmässig verteilt auf 50% Offshore-Arbeiten an Plattformen und Windfarmen und 50% Onshore-Arbeiten an Kunstbauten und im Gelände.

 

Weitere Informationen

Toprope GmbH
Seestrasse 20
CH-3600 Thun

toprope.ch

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