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Wirkung erzielen durch Gestalten

Gestaltung

Wirkung erzielen durch Gestalten

Das Ziel jeder Kommunikation ist es, Wirkung zu erzielen. Der Inhalt übernimmt dabei den Part der Meinungsbeeinflussung – die Gestaltung bewirkt, dass er wahrgenommen wird.

Ralf TurtschiJede Kommunikation durchläuft beim Rezipienten verschiedene Phasen, bis sie Wirkung erzielen kann. Unter Wirkung verstehe ich den Einfluss auf die Wahrnehmung bis zur Auslösung einer Handlung. Zur Verdeutlichung: Bei einer Zeitungsanzeige geht es darum, im Umfeld aufzufallen. Wenn das gelingt, wird man das Inserat bewusst wahrnehmen. Erst wenn man hinguckt, kann man auch lesen, und erst wenn man etwas gelesen oder betrachtet hat, kann mans auch verstehen. Dann ist die Voraussetzung gegeben, die Aussage zu reflektieren, zu speichern und früher oder später sogar zu handeln.

Diese Abfolge ist vor allem in der Werbekommunikation oder der Verpackungsgestaltung zwingend, bei Büchern verkauft sich das Cover auf ­diese Art, eine Gebrauchsanleitung unterliegt der Abfolge nicht.

Wirkung durch Inhalt

Nun stellt sich also die Frage, wie sich Wirkung erzielen lässt oder wie man auffällt. Es geht vielfach darum, das unbedarfte Zielpublikum von der Botschaft zu überzeugen. Dazu beschäftigen wir uns mit Kommunikationstheorie, denn es geht hier auch um den Inhalt, nicht bloss um Gestaltung. Die Werbekommunikation baut auf folgende 16 Wertedimensionen (nach LINK) auf, die einzeln oder kumuliert in Erscheinung treten können*:

Fun 15,3%
Authentizität 11,2%
Status 9,9%
Individualität 9,9%
Indulgence, Genuss 8,3%
Familie 6,6%
Erotische Beziehung 6,2%
Austausch 5,0%
Leistung 5,0%
Soziale Einbindung 4,5%
Aktivität 3,7%
Selbstausdruck 2,9%
Ausgeglichenheit 2,5%
Neugier, Offenheit 2,5%
Zweisamkeit 2,5%
Finanzielle Sicherheit 1,2%

Diese Werte werden vor allem durch Bilder übertragen, die schneller und unmittelbarer kommunizieren als Texte oder grafische Accessoires. Mit einem Logo, einer Headline oder mit Farbe allein lassen sich auch bei bester Gestaltung nur schwer Werte vermitteln.

Wirkung durch Pentration

Steter Tropfen höhlt den Stein! Die einmalige Vermittlung einer Botschaft ist wenig wirksam, sie wird durch die Reizüberflutung einfach überspült werden. Wirkung erzielt erst, wer seine Zielgruppe immer wieder anspricht. Penetration im Markt ist mit dem nötigen Mitteleinsatz verbunden. Der permanente Wahlkampf in der Politik ist ein gutes Beispiel dafür.

Rangfolge der Reize

In der stetigen Reizüberflutung selektioniert das Hirn nach einer bestimmten Rangfolge:

1. Bewegte vor unbewegten Bildern.Fernsehen, Videos, Animationen üben eine stärkere Faszination aus als gedruckte und stehende Bilder. Bewegung heisst urgeschichtlich = Achtung, Gefahr (oder Beute).

2. Inhalte der primären Bedürfnisse vor Inhalten der sekundären Bedürfnisse. Nahrung, Wohnung, Kleidung stehen über Luxusartikeln oder Freizeitgestaltung.

3. Auffällig vor neutral. Bananen blau einzufärben, ist auffälliger, als gewöhnliche gelbe Bananen zu zeigen.

4. Visuell vor verbal. Was gezeigt werden kann, soll man zeigen und nicht beschreiben. Bilder werden vor dem Text wahrgenommen.

Wirkung durch Gestaltung

Über die Rolle der Gestaltung in der visuellen Kommunikation gibt es wohl mehr Meinungen als Experten. Eine weit verbreitete Auffassung ist, dass Gestaltung Geschmackssache sei und man sich deswegen streiten kann. Das stimmt nun überhaupt nicht. Der überwiegend grosse Anteil der Gestaltungsarbeit unterliegt Gesetzmässigkeiten, Gestaltung wird innerhalb einer Zielgruppe gleichartig wahrgenommen. Frauen, Männer, Kinder oder Alte «sehen» jedoch anders, zudem empfindet jedes Individuum in seiner Biografie differenziert.

Auch gibt es kulturelle Unterschiede. Im arabischen Raum werden beispielsweise Farben anders interpretiert als in Europa oder in China. Für die Gestaltung von einheitlichen Prospekten für den Export ist das nicht ganz unwichtig.

All dies macht konkrete Aussagen über die Wirkung von Gestaltung zumindest etwas heikel. Immerhin gibt es unbestrittene Theorien: Unsere Wahrnehmung organisiert das Reizangebot aus unserer Umwelt mit Gestalt-Gesetzen – unser Auge orientiert sich an bekannten Sehmustern wie zum Beispiel das Figur-Grund-Gesetz.

Die Wirkung von Farben ist ausreichend bekannt. Hell und dunkel werden überall gleichartig empfunden, Schwarz und Weiss bilden den grösstmöglichen Kontrast in unserem Sehen von Sekundärbildern. Oben und unten wird gleich empfunden. Bei der Aussage: «Der Titel steht oben» ist allen klar, wo auf dem Papier oben ist, obwohl das Papier flach auf dem Tisch liegt. Schon bei links und rechts gibt es Unterschiede. In Europa steht links für Beginn, rechts für Ende, weil unsere Schrift rechtsläufig ist.

Im Bereich der Schrift gibt es Aussagen über die Anmutungsqualität, die mit der eben beschriebenen Bewertung zu tun hat. Zur Verdeutlichung drei Beispiele:

Es ist offensichtlich, dass hier etwas nicht stimmt. Schriften und Farben müssten vertauscht werden. Schrift kann also die inhaltliche Aussagekraft durch ihren Ausdruck verstärken. Weiter wissen wir über die Abstraktionsleistung unseres Hirns Bescheid. So wird eine Kinderzeichnung eines Pferdes sofort als Pferd interpretiert, ein paar Striche genügen, um ein Haus zu visualisieren. Die Fantasie ist eine sonderliche Hirnleistung, wir sehen etwas und stellen uns dazu andere Bilder vor. Das Hirn vergleicht eingehende Botschaften mit selber erlebten, die gespeichert sind. Bilder sind also nicht einfach Bilder, sie werden registriert, bewertet und mit eigenen Erfahrungen verbunden.

Augenbewegungskameras erfassen in Forschungen das Orientierungs- und das Leseverhalten von Zeitungslesern, Bildbetrachtern oder von Supermarktbesuchern. Man weiss also ziemlich genau, wer wann wohin schaut oder zu lesen beginnt. Solche Kenntnisse werden heute professionell eingesetzt.

Diese paar Gedanken zeigen, dass es in allen Bereichen der Gestaltung wie Farbe, Bild, Kontrast, Schrift, Typografie, Papier oder Material sehr wohl einen objektiven Geschmack gibt. Um ihn zu treffen, spielen neben gewissen Modeerscheinungen dauerhafte Gestaltungsgesetze eine Rolle, die nicht oder weniger dem Zeitgeist unterliegen. Zum Beispiel die Funktionalität von Gestaltung: Gestaltung soll unter anderem gliedern, den Leser führen, Inhalt leicht konsumierbar machen. Ein Lesetext soll nicht schön sein, sondern einfach ohne Mühe leserlich sein; somit wird der Konsument den Inhalt eher zu Ende lesen. Da spielen Wortzwischenräume, Trennungen, Buchstabenabstände, Zeilenabstände, Zeilenlänge, Spaltenabstände usw. eine Rolle. Wirkung wird also auch in der Mikrotypografie erzielt. Ein Plakat muss sofort erkannt, die Headline in Kürze gelesen werden können, soll man im anfahrenden Zug etwas mitbekommen. Schrift auf einem Plakat muss nicht unbedingt leserlich, sondern erkennbar, lesbar sein.

Wer grafische Wirkung erzielen möchte, benötigt verschiedene Voraussetzungen: Das Zielpublikum muss bekannt sein. Orientierungs- und Leseverhalten der Rezipienten sollte man kennen. Grundlegende Kenntnisse der Gestaltungsgesetze in Typografie, Fotografie, Formen- oder Farbenlehre sind nötig. Zum Schluss stecken viel Einfühlungsvermögen, ein Schuss Intuition und die permanente Suche nach ungewöhnlich Auffälligem dahinter. Wirkung zaubert man also nicht einfach so mal aus dem Ärmel, auch wenn man die Werkzeuge im Publishing-, Web-, 3-D- oder Officebereich beherrscht.

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