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FreeHand h�lt in Illustrator Einzug

Illustrator CS3: Ankerpunktanzeige aus FreeHand

Im neuen Illustrator CS3 können Ankerpunkte wesentlich logischer ausgewählt werden. Diese Funktion stammt von FreeHand. Es bleibt zu hoffen, dass weitere nützliche FreeHand-Goodies in künftige Illustrator-Versionen einfliessen werden.

Andreas Burkard Vor genau 20 Jahren arbeitete ich bei einem innovativen Grafiker, welcher der Zeit weit voraus war. Das Atelier hatte bereits zwei Mac CX mit 2 MB RAM und 20 MB Harddisk, den PageMaker, einen LaserWriter und eben Aldus FreeHand. FreeHand 2 war faszinierend, FreeHand 3.1 der Hammer! Wir hatten einen Folienschneider für Beschriftungen, welcher durch das EPS-Format aus FreeHand angesteuert werden konnte. Nach und nach wurden sämtliche Atelierarbeiten in FreeHand erstellt. Die Arbeit mit FreeHand war damals pure Leidenschaft!

FreeHand ging später zu Macromedia, welche mit der Weiterentwicklung des Produktes nicht immer eine glückliche Hand hatte. PageMaker wurde von Adobe übernommen.

Heute ist FreeHand in Rente. FreeHand, das ja durch die Übernahme von Macromedia auch zu Adobe gehört, ist in keiner der neuen Suiten enthalten und bleibt so von Innovation und Integration ausgeklammert. Adobe hat in den letzten Jahren Illustrator markant weiterentwickelt. Es scheint aber, dass nun die Filetstücke von FreeHand langsam in Illustrator einfliessen.

Dieser Artikel basiert auf der letzten englischen Betaversion von Adobe Illustrator CS3. Unter Umständen können in der finalen Version einzelne Befehle anders lauten.

Voreinstellung beachten

Ankerpunkte auswählen gehört zu den ganz elementaren Funktionen eines Zeichnungsprogramms. Das Auswählen von einzelnen Ankerpunkten und das Abändern von Punkt- und Segmenttypen war bis zu Illustrator CS3 gewöhnungsbedürftig. So eine Feststellung lässt sich mit jeder Illustrator-Schulung belegen. Oftmals muss dazu in Illustrator in die Pfadansicht umgeschaltet werden, um mit dem Direktauswahlwerkzeug eine Auswahl um einen oder mehrere Punkte zu ziehen.

Führen Sie das Direktauswahlwerkzeug von Illustrator über einen Ankerpunkt, so zeigt sich dieser regungslos. In FreeHand poppt in diesem Falle ein Punkt auf. Der Punkt macht sich ganz automatisch bemerkbar. Genau dieses Gebaren macht das Auswählen, das Verschieben sowie das Löschen von Ankerpunkten in FreeHand so unglaublich einfach.

Nun können Sie in Illustrator CS3 über eine Voreinstellung das Handling der Punkte und der Grifflinien beeinflussen. Die Option «Tolerance» (Einstellbar von 1 bis 8 Pixel) ist für den Fangradius verantwortlich. Mit höheren Werten gelingt es Ihnen mit dem Direktauswahlwerkzeug wesentlich einfacher, die Ankerpunkte anzusprechen. Bei vielen Ankerpunkten entlang eines Pfades und bei einer Arbeitsweise in einer niedrigen Darstellungsgrösse ist eine geeignete Einstellung mit 2 bis 3 Pixel eher tief einzustellen.

Die Option «Snap to Point» ist für eine exakte Punkt-über-Punkt-Ausrichtung interessant. FreeHand besitzt einen gleichnamigen Befehl. Auch hier liegt das Maximum bei 8 Bildschirmpixeln. Verschieben Sie nun mit dem Direktauswahlwerkzeug einen Ankerpunkt, so wird dieser wie von einem starken Magnet eines benachbarten Punktes angezogen. Am besten machen Sie diese Einstellung stets von Ihrer Arbeit und Ihrer Arbeitsweise abhängig. Für die meisten Arbeiten können Sie die Option «Snap to Point» deaktivieren. Oft reicht das Ausrichten von Punkten über die neuen Ausrichtungssymbole in der Steuerungspalette.

Illustrator hat dazugelernt

Die FreeHand-Anwender sind mit dem Ausrichten von Ankerpunkten über die Ausrichtungspalette seit Langem vertraut. Illustrator kann zwar die Koordinaten von markierten Punkten nummerisch richten und besitzt seit Langem einen Menübefehl ( Durchschnitt berechnen), welcher die markierten Punkte an der horizontalen, der vertikalen oder an beiden Achsen auszurichten vermag. Schön und gut, doch die Arbeit über Menübefehle und Eingabefelder ist für Routinearbeiten die schlechtere Wahl. Illustrator CS3 hat jetzt dazugelernt, indem sich die Punkte in der Steuerungspalette ausrichten und verteilen lassen.

Punkte und Segmente ändern

Auch die Änderung von Punkttypen geht nun über die Symbole in der Steuerungspalette wesentlich flotter. Begrüssenswert ist auch eine Vereinfachung beim Löschen von Punkten. Genau genommen ist ein untergeordnetes Werkzeug der Zeichenstifte (das Ankerpunkt-Lösch-Werkzeug) nun auch in der Steuerungspalette zu finden. Dies hat den Vorteil, dass Sie Punkte einfacher löschen können. Sie können nun auch sehr schnell aufeinander folgende Ankerpunkte löschen. Leider können Sie einen markierten Ankerpunkt aber nach wie vor nicht wie in FreeHand löschen. Dies geht seit FreeHand 1 ganz einfach mit der Delete-Taste. Die Delete-Taste löscht in Illustrator das linke und das rechte benachbarte Segment eines markierten Ankerpunktes.

Ohne einen Menübefehl zu betätigen, können Sie nun offene Pfade schliessen. Auch das Werkzeug Schere werden Sie in Zukunft wohl weniger benötigen. Das Trennen von Ankerpunkten ist in der Steuerungspalette als neues Symbol eingewandert.

Unterebenen sind tückisch

Nach wie vor kennt FreeHand das so genannte Prinzip der Hintergrundebenen. Richtigerweise hat Illustrator das doch in die Jahre gekommene Prinzip der Hintergrundebenen nie so übernommen. Hier kennt Illustrator die Vorlagenebene und ausgeblendete Ebenen werden nicht ausgedruckt.

In FreeHand lassen sich ausgewählte Objekte zu einfach, mit einem einzigen Klick, auf offene Ebenen verschieben. Zu viele unnötige Falschplatzierungen von Objekten sind die Folge davon.

Während FreeHand seinen «Hauptebenen» treu geblieben ist, kennt Illustrator zusätzlich die Unterebenen. Diese Technik kann unter anderem nützlich sein, bei komplexen Illustrationen die Objekte einfacher zu markieren. Da aber jeder einzelne Pfad und jedes Objekt auf einer Unterebene enthalten sind, gestaltet sich die Suche bei zu vielen Unterebenen oftmals mühsam. Unterebenen können auch ausgeblendet oder fixiert sein. Illustrator-Neulinge, Gelegenheitsanwender oder Umsteiger haben oft Mühe, mit den Unterebenen klarzukommen.

Richtig gefährlich wird die Sache aber bei der Verschiebung von Ebenen. Nur allzu leicht gelangt dabei eine Ebene nicht zwischen bestehende Ebenen, sondern auf eine Ebene. Diese wird dadurch unglücklicherweise zur Unter-ebene.

Ein zusätzliches Symbol in der Ebenenpalette von Illustrator würde hier Abhilfe bieten. Ein solcher Schutz könnte vermeiden, dass Ebenen beim Verschieben nicht so leicht versehentlich als Unterebene enden.

Die Schnittmasken

Eine Maskenform isoliert die aussenliegenden Bereiche eines Maskenobjektes. Diese Aufgabe löst FreeHand sehr einfach mit den beinahe zur Legende gewordenen und anspruchslosen Befehlen «Ausschneiden» und «Innen einsetzen».

Diese Befehle sollten so auch in Illustrator vorhanden sein (selbst InDesign kennt den gleichen Vorgang). Es wäre in Illustrator eine Alternative zum Befehl «Schnittmasken erstellen». Schnittmasken sind anspruchsvoller als eingefügte Objekte. Es passiert in Illustrator oft, dass Sie sich durch Warndialoge lesen müssen, um zu verstehen, was beim Schnittmaskenvorgang falsch gelaufen ist.

In Illustrator müssen Sie die Maskenform zwingend zuoberst anordnen. Für das Maskenobjekt erstellen Sie dazu am besten eine neue Ebene und ordnen diese zuoberst an. Dann geht es aber schnell zur Sache: zuerst alles auswählen und dann Befehl-7 bzw. Ctrl-7 auf Windows ( Schnittmaske erstellen).

Maskenform verliert Attribute

Ein weiterer Unterschied ist die Handhabung der Konturattribute bei der Maskenform. Diese werden in FreeHand beibehalten und in Illustrator gelöscht. Hier sollte eine Einstellung vorhanden sein, welche den Anwender danach fragt. Falls Sie für die Maskenform noch eine Kontur benötigen (was oft der Fall ist), sollten Sie vorher ein Duplikat der Maskenebene anlegen. Alternativ dazu können Sie die Maskenform kopieren und nach der Erstellung der Schnittmaske mit dem Befehl Davor einfügen im Menü Objekt standrichtig einfügen.

In Illustrator CS3 steht ein neuer, zweifellos leistungsfähiger Schnittmaskenbefehl zur Verfügung. Mit dem Befehl Inhalt bearbeiten (Objekt Schnittmasken) haben Sie die Möglichkeit, nur den Inhalt anzusprechen. Dies ist hilfreich, wenn Sie nachträglich den Inhalt, nicht aber die Maskenform, transformieren möchten.

Prägungen und Mischungen

Prägungen für Hervorhebungen oder Vertiefungen von Vektorobjekten können Sie in Illustrator mit Effekten, der Aussehenspalette und letztlich den Grafikstilen erstellen. In FreeHand reicht der Befehl Prägung. Dieser Befehl beinhaltet alle wichtigen Einstellungen, wie die Farbe, die Distanz einer Tiefe und den Winkel. Mit der Option «Weiche Kante» wird automatisch eine Mischung zwischen den betroffenen Objekten erstellt. Diese Funktion sollte so auch in Illustrator Einzug halten.

Mischungen in FreeHand sind Angleichungen in Illustrator. Wünschenswert ist eine noch genauere Einstellung von Angleichungen mittels Schieberegler entlang eines Angleichungspfades. Dies ist in beiden Programmen nicht enthalten. Damit liessen sich die Farbe und die Anordnung der Objekte einstellen.

Da sogar InDesign CS3 die gleichen Effekte wie Photoshop verwenden kann, muss diese Library auch in der nächsten Illustrator-Version enthalten sein. Die Auflösung wird über die Rastereinstellung des Dokumentes geregelt.

Die Benutzerführung

Alle kennen Photoshop. Dadurch finden sich die Illustrator-Neulinge im Programm einfacher zurecht. Die neuen Panel-Icons in CS3 verbessern die Übersicht noch zusätzlich.

In FreeHand waren über all die Jahre zu viele unterschiedliche Teams an der Arbeit. Eine klare Strategie zur Produkteplatzierung fehlte. Als Folge davon sind etliche Befehle und Funktionen unlogisch untergebracht. Es ist heute für Gelegenheitsanwender eine Herausforderung, sich mit der Oberfläche von FreeHand anzufreunden.

Daten übernehmen

Einfache FreeHand-Dokumente können Sie problemlos nach Illustrator exportieren. Verwenden Sie dazu Exportieren aus dem Menü Datei. Wählen Sie dann das neueste zur Verfügung stehende Illustrator-Format aus. Bei komplexen Dokumenten müssen Sie Verluste bei Verläufen, Angleichungen und Mustern in Kauf nehmen.

Illustrator CS3 verfügt über einen neuen FreeHand-Importfilter. Dazu kann eine FreeHand-Datei einfach geöffnet werden. Tests in der Betaversion von Illustrator CS3 zeigen hier aber ein ernüchterndes Resultat. Konkret verläuft eine Umwandlung von komplexen FreeHand-Dokumenten wesentlich schlechter als über den Exportbefehl aus FreeHand. Es ist sehr gut möglich, dass bis zur finalen Version von Illustrator CS3 der FreeHand-Import noch verbessert wird.

Fazit

Mehrere Seiten in einem Dokument anlegen zu können oder die Funktion Musterseiten zu erstellen, ist nicht das, was Illustrator von FreeHand noch erben sollte. Für Layout und Design gibt es InDesign. Illustrator, mit seinen Kernaufgaben in der Krea­tion, im Verpackungsdesign, in der Erstellung von Infografiken und der Bedienung neuer Medienkanäle, könnte von FreeHand noch mehr Intuition übernehmen. Mit weniger Dialog- und Warnfeldern und mit noch weniger Klicks eine Idee umzusetzen, dieses Arbeitserlebnis sollte Illustrator weiter verfolgen. Mit der Vereinfachung in der Handhabung der Ankerpunkte ist in Illustrator ein entscheidender Schritt zu einem besseren Arbeitserlebnis Tatsache geworden.