Quo vadis Grossformat?
Thomas RiebelAm 15. Mai öffnet die Fespa 2018 in Berlin ihre Tore und die Hersteller werden ihre neuen Produkte und Technologien präsentieren. «Schneller, höher, weiter» lautet das Motto im Sport. Diese Attribute werden in ähnlicher Form auch auf die Fespa anzuwenden sein. Wir befinden uns in einem gesättigten Markt sowohl auf Hersteller- wie auch auf Produzentenseite, also bei den Werbetechnikern, den Druckdienstleistern und den Industriebetrieben. Die Inkjet-Technologie ist heute ausgereift und auf einem Qualitätsniveau, das den traditionellen Technologien wie Sieb- und Offsetdruck in nichts nachsteht. Bevor wir jedoch den Inkjet-Markt allgemein beleuchten, sollten die Einsatzzwecke der unterschiedlichen Tintenarten und die Architekturen Single- oder Multipass genauer betrachtet werden.
Tinten für die unterschiedlichsten Anwendungen
Wasserbasierte Tinten werden heute im Proofbereich und vor allen Dingen im Bereich Packaging eingesetzt. Die wasserbasierten Tinten für den Verpackungsdruck sind in der Regel «Swiss List» und «Nestlé compliant» und entsprechen der aktuellen REACH-Verordnung. REACH steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals, also für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien.
UV-Tinten sind heute sowohl bei Rollenmaschinen als auch bei Flachbettdruckern im Einsatz. Die Tinte härtet nach dem Drucken unter dem UV-Licht der LED- oder Quecksilberdampflampen sofort aus und das Produkt kann sogleich weiterverarbeitet werden. Starre Materialien wie Holz, Keramik, Beton und Glas sowie Werbetechnikprodukte wie Forex, Dibond etc. sind einfach mit UV-Tinten zu bedrucken. Je nach Substrat ist noch eine Vorbehandlung notwendig, damit die Tinte auch auf dem Substrat haftet. Je nach Hersteller dünsten die Tinten etwas aus, sodass nicht alle Druckprodukte für den Einsatz in Innenräumen beziehungsweise als Umverpackungen geeignet sind. Die heute übliche Härtung mittels LED-Lampen führt dazu, dass bisher eingesetzte Produktionsverfahren geändert werden müssen, da der Energieeintrag der LED-Lampen wesentlich geringer ist und die Tinte nicht vollständig aushärtet.
Hybridtinten sind, wie es schon der Name verrät, eine Mischung aus wasserbasierten und UV-härtenden Tinten. Diese sind entwickelt worden, um den «grünen Anstrich» von wasserbasierten Tinten ausweisen zu können und diese gleichzeitig mit den Vorteilen der UV-Tinten zu verbinden. Hybridtinten eignen sich hervorragend für Verpackungen, die den Bestimmungen der Swiss- bzw. der Nestlé-List entsprechen müssen. Durst hat vor Jahren einen Anlauf genommen, dieses Verfahren in den Markt zu bringen, kämpft jedoch noch immer mit technischen Hürden.
Im Rollendruck werden Solventtinten eingesetzt. Diese enthalten einen hohen Lösemittelanteil, weisen dafür aber im Aussenbereich die beste UV- und Kratzbeständigkeit auf. Eco-Solvent- und Latextinten haben einen geringeren Lösemittelanteil als Solventtinten und sind weniger UV- und kratzbeständig. Aufgrund des Kyoto-Protokolls und der damit einhergehenden Verringerung der Lösemittelanteile sind Solventtinten trotz bester Eigenschaften ein Auslaufmodell geworden.
Single- oder Multipass
Beim Singlepass-Druck sind die Druckköpfe über die gesamte Druckbreite angeordnet und der Bedruckstoff wird unter den Druckköpfen durchgeführt. Die Druckköpfe sind starr und bewegen sich nicht. Die Tinte wird in einem Durchgang (Pass) aufgetragen. Der Vorteil ist eine hohe Druckgeschwindigkeit. Das Substrat kann mit bis zu 300 Metern pro Minute unter den Druckköpfen hindurchgeführt werden.
Die Anzahl der Druckköpfe und damit die Investitionshöhe bemisst sich nach der Gesamtbreite des Druckbereichs. Um eine optimale Farbdichte zu erreichen und ausfallende Düsen zu kompensieren, werden oft vier Druckkopfreihen hintereinander verbaut. Mit dem Singlepass-Verfahren wird es zukünftig durchaus sinnvoll sein, Standardprodukte in höheren Auflagen auf solchen Systemen zu fertigen, da über die hohe Geschwindigkeit eine veritable Reduktion der Produktionskosten anfällt.
Beim Multipass-Verfahren werden die Druckköpfe mehrmals über die Breite des Substrats geführt. Somit kann eine hohe Farbdichte erreicht werden. Der Druckshuttle mit den Druckköpfen bewegt sich über dem Material und schiesst die Tintentropfen uni- oder bidirektional auf das Druckgut. Je höher die Druckqualität, desto langsamer ist die Druckgeschwindigkeit. Generelle Wachstumsmärkte für den Multipass-Druck sind derzeit keine in Sicht. Hier sind kreative Ideen gefordert, mit denen Teilbereiche mit gesamtheitlichen Konzepten abgedeckt werden, die wiederum mit einem hohen Beratungsaufwand gegenüber dem Endkunden verbunden sind. Solche Konzepte kann der Online-Dienstleister nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erbringen.
Produkte und Geschäftsmodelle
Die Zeiten, in denen über neue Hardware neue Marktsegmente gesucht und erschlossen wurden, sind endgültig vorbei. Dafür gibt es inzwischen viel zu viele Anbieter. Nur mit Standardprodukten, seien es Plakate oder Werbetafeln, lässt sich heute nicht mehr genügend Geld verdienen. Die Vergleichbarkeit von Standardprodukten über das Internet hat den Preiskampf zusätzlich intensiviert.
Es sind Konzepte gefragt, um hochwertige Produkte herzustellen und intelligente Lösungen zu generieren, womit eine hohe Kundenbindung erzielt werden kann. Im industriellen Bereich sieht man grosse Chancen für die Inkjet-Technologie, denn die Nachfrage nach individualisierten Produkten nimmt stetig zu und gleichzeitig kann damit eine Lagerhaltung beseitigt werden.
In der Schweiz wird schon heute ein grosser Anteil der Plakate digital produziert, da die Auflagen immer kleiner werden und zudem meist drei Sprachvarianten verlangt werden. Hier findet ein Transfer vom Offset statt.
Im Dekormarkt werden sehr gute Wachstumschancen gesehen. Hier ist mit Sicherheit der Grossformatdruck ein Verfahren, das in Zukunft den Tiefdruck ablösen wird. Die Firma Comro in Rothenburg ist ein Full-Service Dienstleister. Comro ist in der Lage, die komplette Inneneinrichtung eines Büros oder eines Shops zu designen, zu produzieren und vor Ort zu installieren. Gerade im Möbelbau und in dessen Veredelung lassen sich die Vorteile des Digitaldrucks einsetzen. Der Drucker, der zum Schreiner wurde, ist seiner Zeit sicherlich voraus.
Der Textildruck zählt in speziellen Bereichen auch zu den Wachstumsmärkten. Im Inkjetdruck werden nach neuesten Informationen bereits ganze Mode-Kollektionen und auch Bettwäsche produziert. Hier sind die wasserbasierenden und die reaktiven Tinten am weitesten verbreitet.
Mit den grössten Wachstumsraten im industriellen Bereich dürfte der Verpackungsdruck, insbesondere der Markt mit Wellpappe-Verpackung (Corrugated Board) aufwarten. Das Joint Venture von Screen und BHS weist den Weg. Bei einer Druckbreite von 2,8 Metern und einer Bahngeschwindigkeit von 300 Metern pro Minute ergibt dies an einem Produktionstag (20 Arbeitsstunden) mehr als eine Million Quadratmeter bedruckte Wellpappe.
Im Bereich des Flooring, also in der Fussbodenproduktion, sind ebenfalls erstaunliche Wachstumszahlen zu vernehmen. In der Schweiz gibt es mit der Firma Li&Co AG einen «Hidden Champion» auf Weltmarktniveau. Im beschaulichen Müstair im äussersten Südosten Graubündens werden unter anderem Fussböden digital mit UV-Tinte bedruckt und inline veredelt. Auch das ist eine industrielle Anwendung, die den Tiefdruck ersetzt. Im Schwarzwald in Herbolzheim hat die Huser Maschinenbau GmbH ein integriertes Veredelungssystem mit einem Singlepass-Modul entwickelt. Das System setzt sich aus einem Druckmodul mit UV-Tinten und einem Hotcoatingmodul zusammen. Damit werden Dekore oder Kantenleisten inline bedruckt, lackiert und geprägt.
Bei der Produktion von Tapeten findet ein Transfer vom Tiefdruck zum Digitaldruck statt. Tapeten werden industriell im Singlepass-Verfahren mit wasserbasierten oder Hybridtinten gedruckt – in kleinerem Umfang im Multipass-Verfahren mit lösemittelhaltigen oder mit Latextinten.
Auch Verkehrsschilder werden mittlerweile überwiegend digital mit UV-Tinten und mit UV-Schutzlaminat produziert. Auf solche Produkte wird eine 12-jährige Garantie abgegeben. Substituiert wird damit der Siebdruck, da dort zu aufwendig und zu teuer produziert wird.
Bei der Produktion zu beachten
Die Tintenentwicklung hat immer grösseren Einfluss auf die Geschäftsmodelle. Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Bei der Tintenherstellung muss ein Bestandteil aufgrund einer Anpassung in der REACH-Verordnung ausgetauscht werden. Das avisierte Ersatzprodukt zeigt aber, dass die zugesicherten Eigenschaften nicht erfüllt sind. Die Produktion muss stillgelegt werden bis ein Stoff gefunden wird, dessen Eigenschaften dem vorherigen Stoff annähernd entsprechen. Die Auswirkungen einer solch komplexen Kette sind immens. Endkunde, Produzent, Tinten- und Druckerhersteller spüren die Auswirkungen einer kleinen Änderung im Produktionsprozess. Alle Beteiligten leiden unter der mangelnden Kommunikation des vorhergehenden Prozessbeteiligten.
Grossformatsysteme im Multipassbereich werden immer leistungsfähiger und die Qualität wird immer besser. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine Auflösung von 1200 × 1200 dpi bei einem Betrachtungsabstand von einem und mehr Metern notwendig ist. So erschliesst sich einem auch die Sinnhaftigkeit einer 4-Punkt-Schrift bei einem UV-System nicht, denn mit UV-Tinte bedruckte Verpackungen erfüllen die Normen der Swiss- bzw. der Nestlé-List nicht.
Auch im Multipassbereich gibt es die Möglichkeit, den Produktionsprozess zu automatisieren, um die Stückkosten zu senken. Automatische Zu- und Abführung oder der Einsatz von Industrierobotern ist bereits Realität. Die Realisierung solcher Automatisierungen erfordert aber ein sehr valides Businessmodell. Mit den klassischen Multipassdruckern wie der neuen Ricoh Pro T 7210 lassen sich neben den typischen Werbetechnikprodukten auch Spezialanwendungen wie der Dekordruck oder 3D-Anwendungen realisieren. Im Flachbettbereich wird es in naher Zukunft (5 Jahre) sicher auch Module für Hybridtinten geben. Die Vorteile der Hybridtinte liegen in der besseren Umweltverträglichkeit und den guten Haftungswerten. HP wird auf der diesjährigen Fespa zum ersten Mal einen Flachbettdrucker mit Latextinte zeigen.
Die Kunden werden immer anspruchsvoller, die Anforderungen an die Mitarbeiter im Produktionsprozess werden immer höher: IT-Kenntnisse, Grundkenntnisse in Physik und Chemie sowie mechanisches Know-how für die Endverarbeitung. Die Liste liesse sich endlos fortsetzen und wäre wohl niemals vollständig, weil sich die Bedingungen immer schneller verändern.
Es sind die unternehmerischen Entscheidungen, die die Märkte verändern und voranbringen – und nur zum Teil die neuen Technologien. Oder würden Sie Xerox mit der Erfindung des PCs in Verbindung bringen? Nein, denn es waren andere Markteilnehmer, die diese Technologie schliesslich auf den Markt gebracht und damit eine industrielle Revolution ausgelöst hatten. Wie sagte schon der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter: «Dynamische Unternehmer verschaffen sich gegenüber den Konkurrenten durch die Entwicklung und Einführung neuer und verbesserter Produkte und Produktionsverfahren eine zeitweilige Monopolstellung». In diesem Sinne wünsche ich viele neue Erkenntnisse beim Besuch der Fespa in Berlin. ↑