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Typografie macht Sprache lesbar

An der Schule für Gestaltung am Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrum (GBS) St. Gallen findet ab 2020 der neue Lehrgang Typograf/in für ­visuelle ­Kommunikation EFA statt. Im Interview mit den Co-Lehrgangsleitern Peter Renn (analoger Bereich) und Sandro Fischer (digitaler Bereich) sprachen wir über die Bedeutung von Typografie.

Angelina Donati

Was macht die Typografie mit uns und was ist ihre Aufgabe?

Peter Renn (PR): Typografie leistet unglaublich viel: Sie differenziert und strukturiert, sie hilft, das Gelesene schneller zu erfassen und besser zu verstehen – das alles von den Lesenden unbewusst und unbemerkt. Die Gestaltung von Texten ist eine wichtige Aufgabe: Je komplexer ein Inhalt, umso anspruchsvoller die Typografie. Und umso wichtiger. Ob Buch oder Formular, gedruckt oder digital, die Gestaltung von Texten selbst ist immer wesentlicher Teil der Vermittlung, aber meist fehlen beim Gestalten die Zeit, um sich noch intensiver damit auseinandersetzen zu können. Und genau da wollen wir mit diesem Lehrgang ansetzen.

Weshalb sind denn die Details so wichtig?

PR: Die Details fördern die Lesbarkeit. Und je lesbarer ein Text erscheint, desto bereitwilliger schenkt man ihm Beachtung.

Sandro Fischer (SF): Die Lesbarkeit nimmt auch im digitalen Bereich eine zentrale Rolle ein. Bedenken Sie nur, dass ein digitales Plakat oder ein Spot im Bus gerade mal zehn Sekunden gezeigt werden.

Was erwartet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in dieser Weiterbildung?

SF: Während der beiden Semester frischen wir die Grundlagen der Gestaltung und Typografie auf und vertiefen uns in verschiedene Bereiche. Dies sowohl im Print- als auch im digitalen Bereich. Das Anwendungsgebiet ist sehr breit, eben genau, weil Typografie überall angewendet wird.

PR: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen lernen, sich im Bereich Typografie zu bewegen. Auch wollen wir ihnen Mut ­machen und sie animieren, die Typografie zu pflegen. Mit den Grundlagen sollten Grafiker, Polygrafen, Polydesigner 3D und Interactive Media Designer bereits vertraut sein. Erst wer die Grundlagen beherrscht, kann auch Experimente wagen.

SF: Genau. Das ist vergleichbar mit der ­Musik. Improvisieren kann nur, wer das Instrument beherrscht.

Warum ist der Lehrgang Typografie für den Beruf wichtig?

SF: Wer die Grundlagen versteht und beherrscht, spart viel Zeit. Zeit, die es beispielsweise in Agenturen braucht, um alle anfallenden Arbeiten erledigen zu können. Wir sind deshalb überzeugt: Sind die Grundlagen gefestigt, hat dies eine positive Wirkung.

PR: Wer die Anwendung der Schrift versteht, macht sich zudem zum Spezialisten. Dieses Fachwissen ist in Agenturen unerlässlich, da sich ein Grafiker heute in den verschiedensten Arbeitsgebieten auskennen muss. Aller­dings fehlt oft die Zeit dafür und so kann nicht alles in dem Masse gepflegt werden, wie es sollte.

Worauf legen Sie persönlich grossen Wert?

PR: Mir ist es ein Anliegen, die Freude an der Typografie bei den Teilnehmenden zu verstärken. Und ich möchte ihnen Mut auch machen, sich für die Arbeiten bewusst Zeit zu nehmen und sie nochmals zu betrachten.

SF: Dies bezieht sich natürlich auch auf den digitalen Bereich. Ob nun Website oder Broschüre – die gesamtheitliche Betrachtung erscheint mir sehr wichtig.
Erzählen Sie doch kurz, wie Sie zur ­Typografie gefunden haben.
SF: Ich bin ausgebildeter Grafiker und war schon früh im digitalen Bereich tätig. 1998 habe ich als Abschlussarbeit eine Website gestaltet. Fortan begleitete mich das Digi­tale, stets auch in Kombination mit dem Print. Tätig war ich unter anderem in den Webabteilungen verschiedener Agenturen. Und später kam meine Aufgabe als Dozent für die Grundbildung Interactive Media Designer/in EFZ an der Schule für Gestaltung am GBS St.Gallen hinzu. Eine Ausbildung, die ich von Beginn weg mitgestalten durfte.

PR: Ich bin Schriftsetzer und war nach der Lehre im Fotosatz tätig – bis dann die ersten Computer aufkamen und ich 1989 meine Arbeiten auf dem Apple erledigte. Ich war sozusagen von Anfang an dabei, worin ich einen grossen Vorteil sehe. Als ich 1991 völlig unverhofft eine Stellvertretung für einen Fachlehrer in der Grundbildung zum Typografen übernehmen durfte, liess mich der Lehrerberuf nicht mehr los und so wurde ich Dozent für die Grund- und Weiterbildung an der Schule für Gestaltung am GBS St.Gallen. Später übernahm ich die Lehrgangsleitung beim Typografischen Gestalter. Seit 1995 führe ich zudem ein eigenes Atelier für Schrift und Typografie.

Typografie in Ihren Worten?

PR: Mit Typografie mache ich ­Sprache lesbar.

SF: Freude im Umgang mit Schrift.

Was macht in Ihren Augen eine gute, interessante Typografie aus?

PR: Die analoge Typografie ist weit mehr als nur Schrift. Sie beinhaltet auch ­Format, Papier, Farbe und versteht sich als Gesamtkunstwerk. Wenn man das ­Produkt in den Händen hält und denkt, dass es ­einfach aussieht und man es selber auch so hinbekommen hätte, dann wurde alles ­richtig ­gemacht.

SF: Genau, deshalb ist es so wichtig, dass es im Detail stimmt. Denn nur so kann auch diese Wirkung beim Betrachter entstehen.

PR: Im Grunde genommen besitzen wir alle ein gutes Auge. Das lässt sich am besten veranschaulichen, wenn uns mehrere Varianten zum Vergleich vorliegen. Das Auge wählt die «richtige» Variante von selbst aus. Doch um Zeit zu sparen, wird diese vergleichende Betrachtung oft weglassen, dabei aber lohnt es sich und im Endeffekt ist man sogar schneller.

Und das Auge lässt sich mit der Erfahrung bestimmt noch weiter schulen, nicht wahr?

PR: Auf jeden Fall, ja. Die Erfahrung hilft, ein gutes Auge zu bekommen. Als Experte sass ich einst in der Jury der schönsten Bücher aus aller Welt. Innerhalb dreier Tage schauten wir uns über 500 Bücher an – das war überwältigend. Aus den schönen Büchern nochmals die schönsten auszuwählen war nicht einfach. Und doch liess sich erkennen, dass es auch von schön zu noch schöner einen Unterschied gibt. ↑

Hintergrund zur Weiterbildung

40 Jahre lang konnte man in St. Gallen die Weiterbildung zum eidg. dipl. Typografischen Gestalter absolvieren, ehe 2014 die letzte Berufsprüfung durchgeführt wurde. Die Bildungslandschaft hat sich stark verändert, und die Finanzierung durch Bund und Kanton wurde neu geregelt. Peter Renn, jahrelanges Mitglied der Prüfungskommission, setzte sich für den Lehrgang ein, so dass die Weiterbildung nun in neuer Form als Typograf/in für visuelle Kommunikation EFA ab Februar 2020 weitergeführt werden kann – in zwei Semestern, berufsbegleitend. Nach den ersten Besprechungen 2016 wurde der Lehrgang 2018 durch den Bund genehmigt. Die Trägerschaft ist breit abgestützt. Interessierte können über den Bund finanzielle Unterstützung anfordern und werden danach entschädigt.