Korrekturen im PDF
Das Letzte: Der grosse Segen PDF
Die Korrekturen
Nach der Seitenbeschreibungssprache PostScript schickt sich Adobe mit PDF an, die Welt postscriptum nochmals durchzuschütteln.
RALF TURTSCHI Ich erinnere mich nicht mehr so genau daran, wann ich zum ersten Mal ein PDF erzeugt habe. Ein grosses Wow-Erlebnis hat sich in meiner Hirnrinde jedenfalls nicht eingebrannt, wahrscheinlich weil das Dokument nicht viel anders aussah als in XPress. Mit zunehmender Verbreitung des Adobe Acrobat Reader war es plötzlich möglich, gestaltete Dokumente den Kunden nicht wie bis anhin per Laserausdruck und Pappe zu zeigen, sondern auf dem elektronischen Weg mittels PDF. Wie die Dinger beim Kunden angezeigt wurden, bedurfte im E-Mail weiterer Erläuterungen: «Was Sie als verpixelte Bilder sehen, wird dann im Druck schon gut werden, und die grüne Titelschrift ist in Wirklichkeit türkis.»
Inzwischen ist, wie wir alle wissen und es schätzen, PDF in der aktuellen Version 7 zum unverzichtbaren Standard geworden. Weltweit.
Der Geldstrom verlagert sich zusehends von der Post zur Telekomgesellschaft. Der ist offenbar aber nicht ganz zu trauen, wie sonst würden Angebot, Auftragsbestätigung, Gut-zum-Druck zuerst per E-Mail, dann per Fax und zum Schluss noch schriftlich versandt werden. Das muss wohl über das Thema Datensicherheit erklärt werden.
PDF ist für uns Kreative wirklich ein Segen. Bis die im Juli 04 angekündigte, im Dezember 04 bestellte Version 7 voraussichtlich im dritten Quartal 05 bei uns eintreffen sollte, freue ich mich bereits auf die zusätzlichen Funktionen. Mit Acrobat 7 kann man tatsächlich neben Korrektureinfügungen Notizzettel als Post-it hinterlassen, Kommentare und Gegenkommentare einfügen, Status-Angaben der verschiedenen Kadermitarbeiter mittels elektronischer Unterschrift hinterlassen, Farbkorrekturen realisieren und die Stempeluhr mitlaufen lassen. Acrobat wird die Arbeitswelt revolutionieren! Das Geld wird dann digital do-it-yourself-gedruckt werden können, sofern der Lohnempfänger PDF-X-3-Ready-zertifiziert ist. Die Herren Vasella und Ospel planen bereits ihre Bürovergrösserung, damit sie ihre bescheidenen Ansprüche am Rand des Existenzminimums mit einer Xerox i-Gen 3 befriedigen können. Kaufen Sie Aktien von Xerox – es gibt noch mehr Manager!
PDF ist voll geil, PDF wird die schleppende Wirtschaft durchs Band wieder auf Vordermann bringen. Anhand eines einfachen Beispiels will ich das gerne erklären. Es geht um eine neu gestaltete Verpackungslinie, die wir gerade in der Druckvorstufe herstellen. Die Verpackungen sind wegen kleiner Auflagen mit sechs oder mehr Sprachen versehen. Der normale Arbeitsablauf sieht Folgendes vor: Die Marketingabteilung beim Kunden benennt ein neues Produkt, welches eingeführt werden soll, in Deutsch. Gebrauchsanweisung und Warnhinweise auf der Verpackung werden in der Schweiz und Europa von einer separaten Autorität amtl. bew. Die deutschen Texte werden nun durch einen Übersetzungsdienst auf Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch und Holländisch übersetzt, und, wenns knüppeldick kommt, noch auf Chinesisch, Japanisch, Hebräisch und Arabisch.
Die fremden Zeichen ausserhalb unseres Tastaturverständnisses werden vom Übersetzungsdienst gleich auf unsere Anweisungen hin in der richtigen Grösse und Breite als Illustrator-Dokumente geliefert, und wir vereinen die in Pfade umgewandelten Zeichen mit den europäischen Sprachversionen. Es kommt zu einem ersten Ausdruck des Dokumentes Original.ai. Bei vier Sprachen können wir ungefähr nachvollziehen, um was es geht, bei dreien verstehen wir kein Wort und von weiteren vieren wissen wir nicht einmal, ob der Text im entferntesten mit dem Produkt zu tun hat oder ob einfach eine Koran-Sure zitiert wurde. Adobe Acrobat 7 ist es zu verdanken, dass auch solch komplizierte Übungsanlagen im Nu zu bewältigen sind. Die vielsprachigen PDFs werden von uns als Original.pdf zum Kunden übermittelt, schwupp, und vom Kunden zu den Distributoren in Europa, schwupp, und Übersee, schwupp. Wie zu erwarten war, kommt aus Holland die Frage, ob der Punkt zwei wirklich so gemeint sei oder ob es nicht besser wäre, das anders zu formulieren. Die Franzosen postitten ihren Anteil mit 10 Notizzetteln in den Tricolore-Farben voll und die Spanier finden den ganzen Text völlig Stier. Die Araber färben die abgebildete Frau bis auf das Augenpaar schwarz ein und die Chinesen haben was gegen die Deklaration «Made in Taiwan». In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist man sich über einige Vokabeln nicht einig. In mühsamer Arbeit sammelt die Marketingabteilung alle Notizzettel auf einem Dokument zusammen und übermittelt uns das fastnachtsbunte Original_korr.pdf zur Korrektur. Können Sie sich das vorstellen? Auf der linken Hälfte des Bildschirmes das originale Illustrator-Dokument, Original_korr.ai, worin die Korrekturen eingefügt werden sollen, auf der rechen Seite das Konfettidokument Original_korr.pdf, 200%, weil sehr klein gesetzt. Jeder Notizzettel zeigt nur gerade die ersten drei Buchstaben der Korrektur. Unklar ist, ob diese ergänzend oder ersetzend gemeint ist. In mühseliger Arbeit und Klein-Klein-Copy-Paste gelingt es in Tagen, die Notizen von Original_korr.pdf in das Dokument Original_Korr_1.ai zu übertragen und davon das Original_Korr_1.pdf zu schreiben. Der Kunde ist entzückt: Auf der linken Seite seines 17-Zoll-Monitors vergleicht er das Original_korr.pdf mit dem Original_Korr_1.pdf auf der rechten Hälfte. Jedes einzelne Notizzettelchen popupt er rasch und kontrolliert, ob das Ganze auch richtig verstanden wurde. Am Morgen begonnen, am Abend fixfertig. Die zwischenzeitliche Augenkontrolle beim Optiker ergibt beidseitig 1,5 Dioptrien stärkere Korrekturen. Nach vier Runden sind wir Monate später bei Original_korr_5.pdf angelangt. Leider hat kurz vor der Endfassung von Original_GzD.pdf der taiwanesische Lieferant wegen der angespannten Verhältnisse zu China die Einstellung der Produktion besagten Produktes verfügt. Das konnten wir wirklich nicht ahnen, als wir in vermeintlich weiser Voraussicht für jeden Arbeitsplatz bei uns drei Apple Cinemadisplays 30 Zoll in Parallelschaltung geordert haben. Dafür sind wir jetzt für Wide Format Printing gut gerüstet. Es geht wieder aufwärts, auf allen Ebenen, Adobe sei es gedankt.
Die Kolumnen von Ralf Turtschi führen immer wieder zu heftigen Diskussionen unter unseren Lesern. Um diesen ein Gefäss zu bieten, haben wir zusammen mit gamper-media und dem Mediaforum unter www.hilfdirselbst.ch ein neues Forum mit dem Titel «Was die Branche bewegt» eingerichtet.