Ralf Turtschi prsentiert sein neues Buch
Der «Turtschi 3» ist da
Die beiden Fachbücher «Praktische Typografie» und «Mediendesign» gelten als Standardwerke. Im Mai 2005 erscheint ein Folgeband namens «Making of». Ein erster Einblick.RALF TURTSCHI Die Idee zu einem weiteren Buch trage ich schon seit einigen Jahren in mir herum. Anlass dazu sind die immer neu aufgelegten Jahrbücher über ausgezeichnetes Design, die in allen denkbaren Themenbereichen zeigen, was Sache ist. Das wäre ja alles wunderbar, bliebe der Anwender da nicht auf halbem Weg stecken. All die grossartigen Gestaltungen verraten nichts über die Entstehungsgeschichte, man hat keine Ahnung, unter welchen Bedingungen sie realisiert wurden. Oft werden solche Arbeiten von jungen Leuten vorbehaltlos übernommen und ausprobiert, was jedoch immer mit gewissen Gefahren verbunden ist. Und ein Plagiat ist keine kreative Leistung, auch wenn es von einer hohen Jury ausgezeichnet wird. Meistens zeigt man Broschüren oder Designs im verkleinerten Massstab – welche Schriften weshalb gewählt wurden oder wie die Bilder entstanden, wird jeweils nicht erzählt. Auch zu wichtigen Fragen rund um die Administration oder die Drucktechnik ist wenig zu erfahren. Diese Bücher bieten also höchstens Anschauungsunterricht und zeigen im Sinn einer Diaschau das Werk unterschiedlichster Gestalterinnen und Gestalter.
Das Konzept von «Making of»
«Making of» ist ein Lehrbuch, welches den Weg zum Ziel in den Mittelpunkt stellt. Denn hinter jedem grafischen Produkt steckt eine überaus interessante Geschichte. Ideen werden geboren und wieder verworfen, Alternativen ausgearbeitet und präsentiert. Entwürfe müssen nicht nur schön sein, sondern auch Vorgaben und Rahmenbedingungen wie Kosten, Kunde, Workflow oder Drucktechnik beachten. Zum Schluss entscheidet sich dann der Auftraggeber manchmal nicht für die beste Lösung. Frust und Freude, faszinierendes Design in allen Facetten. «Making of» bietet einen breit gespannten Bogen der täglichen Agenturarbeit mit kreativen Lösungsansätzen und konkreten Anwendungsbeispielen vom Briefing bis zur fertigen Gestaltung. Es sind darin 41 Praxisbeispiele aufgeführt, vom Logo über die Geschäftsausstattung, Verpackungen, Plakate, querbeet durch täglich anfallende Gestaltungsaufgaben. Die Gestaltungen selber sind durch Mitarbeiter der Agenturtschi in den letzten fünf Jahren realisiert worden, sie repräsentieren einen ganz unterschiedlichen Wissensstand und unterschiedliches handwerkliches Können. Ein bestimmtes Berufsbild steckt nicht dahinter. Ob typografische Gestalterin, Polygrafin, Quereinsteigerin, Lernender, ETH-Informatiker oder PR-Berater, jedes Berufsbild passt sich den Bedürfnissen an. Losgelöst von unserem Werdegang haben wir die Aufgabe, unsere Kunden glücklich zu machen. Das tun wir zuweilen zusammen, oft im Wettbewerb. Der Lehrbrief und das Zeugnis spielen eine sekundäre Rolle.
Für «Publisher»-Leser bekannt
In der Rubrik Design&Praxis beschreibe ich schon seit einiger Zeit Arbeiten aus unserer Agentur. Leser, welche diese Artikel bis jetzt geschätzt haben, werden sich auf diese Art mit weiteren Beispielen umfassender auseinander setzen können.
Das Werk ist in sieben Kapitel unterteilt (s. Kasten). Jedes Arbeitsbeispiel wird gleichartig beschrieben: Zuerst wird die Kundensituation kurz erklärt, damit verbunden ein Wunsch oder eine Vorstellung, was zu tun ist. Es folgen Lösungsansätze, Skizze, eine Vorpräsentation, die Auswahl durch den Kunden, die definitive Ausarbeitung bis hin zum Druck oder zur Online-schaltung im Internet. Die Probleme innerhalb des Lösungsweges werden anders akzentuiert, sodass jedes Beispiel eine andere Facette erhält.
«Making of» erhebt keine Ansprüche im Sinn von Messlattendesign. Das Buch ist vielmehr eine Momentaufnahme des Zeitfensters 1998 bis 2005, aufgenommen in einer ganz normalen Agentur, die ganz normale Beispiele ihres Werkens zeigt. «Making of» ist also kein Kultbuch und schon gar nicht ein Trendsetter.
Wer ist die Zielgruppe?
«Making of» wendet sich an die Freunde der praxisorientierten Gestaltung. Ob es sich dabei um Auszubildende handelt, Desktoppublisher aus Industrie und Gewerbe, Marketing- und Werbefachleute oder ob es sich um Berufskollegen in Ateliers oder Agenturen handelt, die mit Grafikdesign ihren Lebensunterhalt verdienen, «Making of» ist ein Bilderbuch für ein breites Publikum. Es ist kein Programmwissen oder besonderes Fachwissen nötig, um den Text zu verstehen, das Buch lebt vor allem vom Bild. Ich kann mir gut vorstellen, dass «Making of» für in der Berufswahl stehende junge Leute einen Überblick gibt, wie Grafikdesign heute in den verschiedensten Spezialdisziplinen ausgeübt wird.
Wir erhalten oft Telefonate von besorgten Eltern oder Schülern, die keine Ahnung haben, was sich in der Berufswelt so tut. Offenbar existiert keine entsprechende Literatur oder Broschüre, welche ihnen das Tor dazu aufstösst. Auch hier soll «Making of» eine Lücke schliessen.
Die Kunst, zu überleben
Grafikdesign ist keine Kunst. Es ist in diesem Umfeld heute vielmehr eine Kunst, zu überleben. Einige Kunden leisten dank der offenen und leichten Zugänglichkeit der Software Gestaltungsarbeit, die weit ins Grafikdesign hineinreicht. Es wird nicht gefragt, ob man davon etwas versteht oder nicht. Das Logo wird selber gestaltet, die Geschäftsausstattung selber ausgedruckt, die Website selber programmiert. An den Fachmann oder die Fachfrau gelangt man erst, wenns nicht mehr anders geht. Bürokommunikation und Druckvorstufe sind nahe beisammen, Adressen werden über Word direkt mit dem Brief ausgedruckt, ja, sogar das Logo muss tintenstrahldruckfähig sein. Ob das gut oder schlecht ist, sei hier nicht diskutiert – wir müssen uns einfach mit der Marktsituation abfinden und uns flexibel auf die Kunden einstellen. Es gibt wie bei den Nahrungsmitteln halt höherwertige Kost neben dem Schnellimbiss. «Making of» erzählt auch davon, von den Einflussfaktoren beim Kunden oder von einer sinnvollen Zusammenarbeit.
Grafik muss sich verkaufen
Auf der andern Seite fehlt in unseren Köpfen oft das Verständnis für die Gebrauchsdrucksache – Prospekte oder Broschüren sind nun mal keine Kunstgegenstände, die man jahrelang aufbehält. Die meisten Produkte und Dienstleistungen unserer Kunden verkaufen sich, weil sie sich in irgendeiner Form langfristig als vorteilhaft erweisen, vorteilhaft gegenüber der Konkurrenz oder vorteilhaft im Preis-Leistungs-Verhältnis. Das ist mal eine Grundvoraussetzung, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Der grösste Schrott lässt sich nicht langfristig erfolgreich verkaufen, wenn nur das Design stimmt, alles andere aber nicht. Umgekehrt funktionierts eher: Ein hervorragendes Produkt kann sich sehr wohl ohne pompöses Design verkaufen.
Eine neue Bescheidenheit
Design kommt dann zum Zug, wenn es um weiche Faktoren wie Wünsche, Prestige oder Weltanschauung geht. Und hier wird das Design als sichtbarer Teil der Kommunikation sehr wohl wichtiger als das Produkt selber. Worauf ich hinaus will: Eine gewisse Bescheidenheit ist im Grafikdesign angesagt. Nicht der Urheber schöner Plakate, Werbekampagnen oder Broschüren soll sich im Mittelpunkt der Welt ins Szene setzen. Visuelle Kommunikation ist weitgehend eine Dienstleistung. Das Wort heisst nicht Dienstzenierung und stammt wohl von dienen. Dazu müsste man aber von verschiedene Dingen eine Ahnung haben. Wer ist das Publikum, wie funktioniert ein Plakat, wie liest man Anzeigen, wie wirken Bilder, welche Schriften eignen sich für welchen Zweck? Fragen, die man als Gestalter heute in den Mittelpunkt stellen sollte. Es gibt für jede Disziplin eine andere Funktionalität. Eine Visitenkarte ist kein Messestand, ein Plakat in der Fusssgängerzone etwas anderes als ein solches an einem Autobahnzubringer. «Making of» zeigt anhand der Beispiele viele solcher Facetten auf und bringt einen hohen Nutzwert.
Aus wenig viel herausholen
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit knappen Budgets stellt sich weniger die Aufgabe, mit möglichst viel Geld das Optimum an kommunikativer und technischer Qualität herauszuholen. Das scheint keine Schwierigkeit zu sein. Man holt sich dann die besten Texter, Fotografen, Illustratoren, Grafiker, die aus dem Vollen schöpfen können, Geld spielt keine Rolle. Die Herausforderung für die Einzelunternehmen und kleinen oder mittleren Agenturen liegt eher darin, mit knappen Ressourcen gleichwohl etwas Zweckmässiges zu schaffen. Zweckmässig, weil es den Zweck erfüllt, nicht überteurert ist und der Kunde mit kleinen Unzulänglichkeiten leben kann. Wegen des Geldes wird dann beispielsweise, anstatt den Fotografen zu beauftragen, auf Bilddatenbanken zugegriffen, mit denen man eine Situation vielleicht nicht so perfekt auf den Punkt bringen kann, die aber im Vergleich günstig sind. Die tägliche Herausforderung, mit wenig Geld dennoch passable Arbeit zu leisten, in immer neuen Aufgabenstellungen und Kunden-am-Markt-Situationen, das ist durchaus reizvoll, auch für Einsteiger, die sich nach der Ausbildung beruflich durchsetzen wollen. Kreativität braucht nicht unbedingt teuer zu sein.
Kompromisse
In den meisten Fällen der visuellen Gestaltung geht es um einen Kompromiss zwischen Budget, Zielpublikum, Technik, Materialien, Funktionalität und Ansprüchen. In diesem Sinn gibt es keine guten und schlechten Arbeiten. Wenn solche von irgendwelchen Gremien ausgezeichnet werden, dann kann es nur um den grafischen Aspekt aus der ganzen Vielfalt von Geschichten gehen, die sich dahinter verbergen. So wäre es mindestens so auszeichnungswürdig, wenn es gelänge, bei einem Traditionsunternehmen gegen den Willen des obersten Gremiums ein neues Erscheinungsbild einzuführen.
Die Geschichten hinter dem Design
Mit «Making of» möchte ich all den Geschichten nachspüren, die sich hinter jedem Produkt verbergen. Nicht das Endprodukt steht im Mittelpunkt, sondern der Weg dazu. Es gibt nicht nur einen technischen Workflow, sondern auch einen kreativen. Design ist nicht umso interessanter, je gelungener es scheint, Design ist spannend, weil die Geschichten, die dahinter stehen, Einblick in die täglichen Freuden und Highlights unserer Arbeit verschaffen, aber auch über die Nöte, Frustrationen und Niederlagen erzählen, die eine manchmal dicke Haut erfordern. So sind in diesem Buch nicht ausgezeichnete Arbeiten zu sehen, vielmehr vermitteln sie einen Eindruck, wie der Markt heute spielt, welche Einflussfaktoren die Kreativität manchmal einschränken, mit welchen Begründungen wir Gestalter um gute Lösungen ringen.
Das Wissen weitergeben
«Making of» soll ein Lehrbuch sein, welches Ideen, Lösungswege und Entscheidungskriterien liefert. Selbstverständlich erhebt es keinerlei Anspruch auf Absolutheit. Viele Entscheidungen hätte man auch anders treffen können, mit völlig unterschiedlichen Resultaten.
Daran sollen Designschaffende wachsen und sich mit einer gewissen Gelassenheit oder Demut vor den Kundenwünschen verbeugen. Wenn es mir damit gelingt, die Leidenschaft an einem faszinierenden Beruf zu wecken oder zu fördern, wenn es gar gelingt, jemandem die Tür zur visuellen Gestaltung aufzustossen, dann hat sich das Vorhaben gelohnt.