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Adobe Premiere 6.5

Neue Version des bekanntesten Videoschnittprogramms

Eine halbe Premiere

Mit dem Update auf Version 6.5 verpasst Adobe dem Videoschnittklassiker Premiere eine Echtzeitvorschau und packt leistungsstarke Programme für Titelgenerierung, Audiobearbeitung und DVD-Produktion dazu.

Markus Zitt Die Premiere des Videoschnittprogramms von Adobe liegt ein gutes Jahrzehnt zurück, als die Leistungsfähigkeit der PCs nur gerade für das Schneiden von kleinen, framereduzierten Desktop-Videoclips, den Rohschnitt und das Erstellen von Schnittlisten taugte. Dank dem DigitalVideo-Standard und der FireWire-Schnittstelle, die 1996 eingeführt wurden, sowie der immer schnelleren PC-Komponenten ist das Schneiden von Videos in Broadcast/TV-Qualität längst mit jedem halbwegs aktuellen PC möglich.

Seit rund anderthalb Jahren gibts zudem bezahlbare DVD-Brenner, womit die beschreibbare DVD (vgl. Publisher 1-02 und 2-02) als adäquates Ausgabemedium für die geschnittenen Werke zur Verfügung steht. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde auch die Version 6.0 von Premiere eingeführt, die nun mit einem halben Versionssprung ein grösseres Upgrade erfährt. Adobe hat nicht bloss eine Bugfix-Sammlung ausgeliefert, sondern die aktuellen DV-Trends aufgegriffen und integriert.

Aufgerüstet

Wie es selbst die preiswertesten Einsteigerprogramme schon länger anboten, bietet nun auch Premiere die Unterstützung für DVD und Video-CD und liefert zudem gleich ein DVD-Authoring-Programm mit. Ebenfalls neu ist die schon in anderen professionellen Programmen realisierte Echtzeitvorschau, wie sie bis vor kurzem nur mit speziellen Echtzeitvideokarten (zum Beispiel von Matrox) möglich war. Als dritte grosse Novität kann Premiere nun endlich einen attraktiven Titelgenerator aufweisen.

Im Gegensatz zu Ulead Media Studio 6.5, das einst die Versionsnummern 3 und 4 übersprang, und zu Apple Final Cut Pro 3, welches ursprünglich vom Premiere-Chefentwickler plattformunabhängig für Macromedia entwickelt und schliesslich von Apple nur für Mac OS lanciert wurde, ist Premiere auf beiden Plattformen zuhause. Dies ist ein deutlicher Vorteil, wenn in einer Crossplattform-Umgebung gearbeitet oder Daten mit anderen ausgetauscht werden sollen. Die Plattformunabhängigkeit von Premiere erlaubt es, stets die optimale IT- und AV-Hardware zu wählen. Als plattformunabhängiges Programm ist Premiere ab Version 6.5 auch zu den Betriebssystemversionen Windows XP und Mac OS X kompatibel. Während windowsseitig noch mit der zweiten Ausgabe von 98 gearbeitet werden könnte, ist der Mac-Anwender mindestens auf die aktuellste Classic-Version 9.2.2 angewiesen.

Sofortbild

Bei der Einführung von Premiere 6.0 standen die lang ersehnte direkte DV-Unterstützung und die Ausgabe von Filmen fürs Internet im Vordergrund. Auffällig waren die gesteigerte Bedienerfreundlichkeit, unter anderem durch die aus Photoshop bekannte Protokollfunktion, und die leicht veränderte Benutzeroberfläche.

Zu den augenfälligsten Neuerungen der neuen Version 6.5 gehören die bereits erwähnte Echtzeitvorschau von Überblendungen, Effekten und Titeln. Damit entfällt das lästige, zeitaufwändige Rendern, nur um etwa eine Überblendung auf ihre Wirkung zu prüfen. Dies beschleunigt den Arbeitsfluss, sorgt für mehr Flexibilität und lässt Raum für kreatives Arbeiten. Die Echtzeitvorschau kann in den Projekteinstellungen oder bei Bedarf durch eine Tastenkombination aktiviert werden. Klickt der Anwender auf den Play-Button oder die Leertaste, wird der Film ohne Vorschau – also wie bisher – abgespielt; wird die Enter- oder die Return-Taste gedrückt, gibt es den Film in Bildschirmqualität mit eingearbeiteten Überblendungen, Effekten und Titeln zu sehen. Natürlich kann ein Arbeitsbereich auch in optimaler Qualität zuerst auf die Festplatte gerendert werden.

Wie nicht anders zu erwarten ist, verlangt die softwarebasierte Echtzeitvorschau eine solide Basis, sprich einen möglichst leistungsstarken Rechner. Im Praxistest konnten wir an einem Apple G4/867 MHz Quicksilver unter Mac OS 9.2.2 eine leichte Verzögerung vor dem Einsetzen der Vorschau beobachten. Reicht generell oder bei einem bestimmten Effekt die Rechnerleistung nicht aus, so vermindert Premiere die Videoqualität und die Framerate der Vorschau.

Titelheld

Der Version 6.5 hat Adobe endlich einen neuen Titelgenerator spendiert. Der Adobe Title Designer sieht aus wie ein abgespeckter Illustrator und besitzt dessen Pfadwerkzeuge. Der Titel kann als statisch, (vertikal) rollend oder (horizontal) kriechend bestimmt werden. Eine «richtige» Animation des Titels (z.B. entlang eines Bewegungspfades) ist mit dem Title Designer selbst nicht möglich. Der Titel kann aber im Schnittfenster mit den vorhandenen Effekten weiter manipuliert werden.

Der Titeltext kann horizontal und vertikal als Zeile oder Absatz sowie entlang eines Pfades gesetzt werden, wobei für ein Videowerkzeug ungewöhnlich viele typografische Einstellungen (z.B. Kerning, Unterschneidungen, Grundlinienversatz) vorgenommen werden können. Für den Titelgenerator und zur generellen Nutzung liefert Adobe übrigens 90 PostScript-Schriften mit. Das Aussehen der Titel kann durch zahlreiche Parameter verändert werden. Der eingetippte oder über die Zwischenablage eingefügte Text lässt sich mit mehrfarbigen Verläufen und Texturen füllen, mit Glanz, Schatten, Transparenz und 3D-Effekten versehen sowie verzerren und neigen. All diese Einstellungen lassen sich anschliessend zusammen als ein Textstil für den weiteren Gebrauch abspeichern. Wers einfach liebt, nutzt für seine Titel einen der vielen mitgelieferten Titelstile und passt ihn allenfalls den eigenen Bedürfnissen an. Zusätzlich stehen einige attraktive bildschirmfüllende und teiltransparente Titelvorlagen zur Auswahl. Es lassen sich aber auch eigene vektor- oder pixelbasierte Logos und Elemente einsetzen. Zur besseren Beurteilung kann das Video bei Bedarf auch als Hintergrund eingeblendet werden.

Nachdem Adobe bereits in der Version 6 die Plug-in-Schnittstelle kompatibel zu AfterEffects gemacht und gleich über zwei Dutzend Effekte aus ihrem Compositing-Programm spendiert hat, gibt es jetzt mit dem Update noch einen Nachschlag von weiteren fünf Filtern.

Der Kanal-Weichzeichner ist weniger dazu gedacht, einer alternden Schauspielerin einen ebenmässigen Teint zu verpassen, sondern er zeichnet den Rot, Grün-, Blau- oder den Alpha-Kanal weich. Mit Blitz lassen sich elektrische Effekte und Blitze zwischen zwei Punkten festlegen, wobei das Aussehen der Blitze durch zahlreiche Parameter beeinflusst werden kann (z.B. die Zahl der Verästelungen). Damit sind Effekte ähnlich wie bei der Ankunft des T9000 in «Terminator» oder nach einem Duell des «Highlanders» möglich. Weitere Effekte sind Überblendung, Verlauf für lineare und kreisförmigen Farbverläufe und der Strudel.

Neue Aussenhandelsbilanz

Wer Videoinhalte fürs Web produziert, findet seit Version 6.0 unter dem Sichern für Web-Menü neue Exportformate für Videostreaming im RealMedia- und Windows-Media-Format, Ab Version 6.5 wird der Windows-Media-Import unterstützt, womit sich nun auch WMV-, WMA- und ASF-Dateien in ein Projekt integrieren lassen. Der Schwerpunkt der Import-Export-Neuerungen liegt jedoch in der direkten Ausgabe von Videos auf Scheiben, d.h. als DVD-Videos und (Super-)Video-CDs.

Für diese Aufgabe enthält die Windows-Version den Adobe MPEG Encoder (MPEG-1 und -2) und eine LE-Variante der DVD-Authoring-Software DVDit! von Sonic Solutions. Im Mac-Paket von Premiere 6 fehlen diese Programme, dafür wird die Anbindung an das rund 1500 Franken teure Apple DVD Studio Pro angepriesen. Ist DVD Studio Pro installiert, so können direkt aus dem Premiere-Schnittfenster DVDs erstellt werden, wobei sich die in Premiere gesetzten Marken als Kapitel- und I-Frame-Daten für die DVDs verwenden lassen.

Soundtrack

Ebenfalls ein Unterschied im Lieferumfang zwischen der Mac- und der Windows-Version besteht in den mitgelieferten Audio-Tools. TC Works Spark LE befindet sich auf der Mac-CD, während zur Windows-Version TC Works Native Essentials gehört. Bei Letzterem handelt es sich um drei DirectX-basierte Plug-ins, bestehend aus TC Reverb, das durch künstlichen Hall das Hörgefühl eines grösseren oder kleineren Raums vermittelt. Mit dem Equalizer TC EQ lassen sich bestimmte Tonfrequenzen auswählen und verstärken oder verringern, während mit TC Dynamics der Unterschied zwischen leisesten und lautesten Klängen und zwischen Höhen und Tiefen verstärkt oder abgeschwächt werden kann.

Mit Spark LE können Mac-Anwender zwei Tonspuren in Echtzeit bearbeiten. Das Programm unterstützt die wichtigsten Audioformate (Wave, AIFF, SoundDesignerII und QuickTime), Superaudio bis 32 Bit und 192-kHz-Sample-Raten sowie VST-Plug-ins.

Beiden Paketen liegt zudem die Sonic Desktop SmartSound Quicktracks CD bei, womit sich aus einigen integrierten Elementen ein musikalischer Soundtrack von beliebiger Länge generieren lässt.

Fazit

Mit dem aktuellen Update liefert Adobe einige fehlende Funktionen nach, dank denen nun Premiere wieder up to date ist. Was Premiere weiterhin fehlt, ist eine automatische Szenenerkennung. Hier sind Windows-Benutzer auf die Freeware Scene­analyser (www.sceneanalyser.com) angewiesen, während Mac-Anwender dafür den Videoimport mit dem Gratisprogramm iMovie durchführen müssen. Wünschenswert wären erweiterte Audio-Fähigkeiten (z.B. Dolby Surround/AC3-Export).

Insbesondere mit den aktuellen Neuerungen ist Premiere durchaus eine Empfehlung wert, die auch ganz klar für das 300-fränkige Update gilt. Premiere 6.5 ist zusammen mit Photoshop 7, Illustrator 10 und InDesign2 in der Adobe Digital Video Collection 8 enthalten.