Editorial
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Abschied von altbewährten Denkmustern
Beim Digitaldruck verhält es sich so wie bei allen technischen Revolutionen davor auch: Das Neue wird am Alten gemessen. Das ist natürlich und hat seine Berechtigung, birgt aber auch Gefahren. Dann nämlich, wenn mit überholten Massstäben gemessen wird. Genau das ist zurzeit der Fall, wenn man bei der Beurteilung des Digitaldrucks den Offsetdruck zur absoluten Messlatte erhebt. Dies führt dann zur Ansicht, der Digitaldruck komme heute dem Offset immerhin schon sehr nahe, und man spricht von «Fast-Offset-Qualität». Das stimmt, wenn man von unseren ganz auf den Euroskala-Vierfarbendruck optimierten Prozessen ausgeht. Man stellt dann fest, dass mit den lasierend ins Papier eindringenden Offsetdruckfarben feinere Töne möglich sind, sodass beispielsweise Hauttöne realistischer wirken als beim tonerbasierten Digitaldruck.
Dass der Farbraum der Digitaldruckmaschinen zum Teil grösser ist und sich damit leuchtendere Farben reproduzieren lassen als im konventionellen Euroskaladruck, scheint dagegen kaum jemanden zu interessieren. Schliesslich stellt in dieser Beziehung auch ein fünfhundertfränkiger Inkjet-Printer aus dem Mediamarkt eine millionenschwere Offsetmaschine in den Schatten und somit kann das ja nicht wirklich ein Qualitätskriterium sein ...
Vor dieser Verinnerlichung althergebrachter Massstäbe bleiben interessanterweise auch die Anbieter von Digitaldruckmaschinen nicht verschont. Diese Selbstverleugnung nimmt dann schon fast absurde Züge an, wenn von «Trockentintenfarben» statt von Toner die Rede ist. Das hat seinen Ursprung im englischen Begriff «Dry Ink», womit man eben die Nähe zu den Offsetdruckfarben (Ink) suggerieren will, auch wenn diese bei der Laserbebilderung mit Toner nun mal nicht gegeben ist. Dieses sture Festhalten an bestehenden Denkmustern zwängt die neue Technologie in ein Korsett, in dem sie ihr wirkliches Potenzial nie und nimmer wird frei entfalten können.
Das Problem des Digitaldrucks besteht somit wohl weniger darin, dass die Technologie nicht so weit ist, um unseren Ansprüchen zu genügen, sondern vielmehr darin, dass wir mit unseren Köpfen noch nicht so weit sind, um das umzusetzen, was die neue Technologie eigentlich erlauben würde. In dieser Beziehung ist die grafischen Industrie einmal mehr gefordert, geistige Flexibilität zu zeigen, um nicht schon wieder von Quereinsteigern überrollt zu werden, die ohne den Ballast solch festgefahrener Denkmuster in den Markt drängen.
Wenn man den Auftritt der Heidelberg Druckmaschinen AG an der IPEX als Richtschnur nimmt, hat die grafische Industrie in dieser Beziehung einen steinigen Weg vor sich. Die Demonstration der neuen NexPress-Digitaldruckmaschine blieb ganz dem Denkmuster der «Fast-Offset-Qualität» verpflichtet. Man wählte hier für die Demonstration offensichtlich eine ursprünglich für Offsetdruck erstellte Drucksache und erzielte damit auf der NexPress ein leidlich gutes Resultat; nicht ganz die gewohnte Offset-Qualität eben.
Ganz anders bei den «Quereinsteigern» Xerox und HP-Indigo. Hier wurde mit deutlich mehr Selbstbewusstsein vom Offset emanzipierter Digitaldruck demonstriert. Die speziell für diese Maschinen konzipierten Drucksachen überzeugten mit brillanten Farben, wie man sie im Euroskala-Offsetverfahren nie hinkriegen würde. Zusammen mit den Möglichkeiten der Personalisierung wird man mit solchen Drucksachen in einem Mailing eine bisher nicht erreichte Aufmerksamkeit des Empfängers erzielen. Und das ist es nun mal, worauf es in den meisten Fällen ankommt.
Gerade diese Beispiele zeigen auch, dass durch den Digitaldruck nicht nur die Druckereien zum Umdenken gezwungen werden, sondern nicht minder die Vorstufe. Der Abschied von einem auf Euroskala fixierten CMYK-Workflow wird da nur ein erster notwendiger Schritt sein, der nicht allen leicht fallen dürfte.
Martin Spaar