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Interview: Wendelin Manser


Wendelin Manser, Country Manager Macromedia Schweiz

Vom «Browsing» zum «Doing»

Wendelin Manser nimmt in unserem Interview Stellung zu Macromedias MX-Strategie und erläutert, wie dank dieser ein funktionaleres Web entstehen soll, das den Anwendern mehr positive Erfahrungen vermittelt.

Publisher: Macromedia hat eben die ganze Produktpalette unter dem Label «MX» erneuert und will sich damit als Anbieter von Tools zum Erstellen von webbasierten Businessapplikationen neu positionieren. Was hat das mit Experience, also Erlebnis, zu tun, wofür das Label ja steht?
Wendelin Manser:
Untersuchungen über das Nutzungsverhalten im Web zeigen deutlich, dass die Anwender über das Angebot im Internet oft frustriert sind. Der Trend geht vom «Browsing» zum «Doing», das heisst von blossen Texten und Bildern zu Webapplikationen. In dieser Beziehung bieten die heutigen Websites meist nicht die Funktionalität, wie sie sich der Anwender wünscht. Macromedia Experience (MX) steht für mehr Benutzerfreundlichkeit, Einfachheit und klare Funktionalität. Dank unseren Technologien soll also ein besseres Internet entstehen, das dem Anwender positive Erlebnisse bietet. Eine zentrale Rolle spielt dabei Flash als Rich Client, der ebensolche funktionale und schlanke Weblösungen ermöglicht, mit denen der Anwender effizient zum Ziel kommt.

Publisher: Können Sie das an einem konkreten Beispiel erläutern?
Manser: Gerne; nehmen wir als typische Anwendung ein Hotelreservationssystem. Jedes grössere Hotel bietet heute ja die Möglichkeit, ein Zimmer über das Internet zu reservieren. In der Regel muss sich der Kunde dabei durch mehrere Seiten mit HTML-Formularen hindurchmühen, bis er am Ziel ist. Dabei wird mit jedem Formular jeweils eine ganze Seite vom Server geladen, bei Fehleingaben sogar mehrmals. Dies kostet Zeit und Nerven. Es hat sich gezeigt, dass bei solchen Lösungen bis zu 75 Prozent der Anwender entnervt aussteigen, bevor die Reservation abgeschlossen ist. Mit Flash lässt sich eine solche Lösung viel eleganter implementieren. Dank den grafischen Möglichkeiten von Flash können alle zur Reservation nötigen Felder in einem einzigen Fenster untergebracht werden. Da der Flash-Player direkt mit der Datenbank kommuniziert, muss die Seite kein einziges Mal neu geladen werden. Und gewisse Funktionen, wie die Verifikation der Kreditkartennummer, kann der Flash-Client sogar selbst ausführen. Wer sich das Reservationssystem der Broadmoor-Hotels (http:// reservations.broadmoor.com) im Web anschaut, wird sofort verstehen, was wir mit Macromedia Experience meinen!

Publisher: Sie haben jetzt das Ganze aus der Sicht des Webanwenders erläutert, der von Flash als Rich Client für Business­applikationen profitieren wird. Wie sieht es aber mit der «Experience» der kreativen Webpublisher aus? Haben jetzt nicht diese den Frust, weil sich Macromedia mehr auf die Applikationsentwickler fokussiert und die bisherigen Flash-Freaks im Regen stehen lässt?
Manser: Es ist keineswegs so, dass wir uns von den kreativen Webdesignern abwenden. Ganz im Gegenteil; auch diese werden dank MX positive Erlebnisse haben. Flash, Dreamweaver und Fireworks bleiben Kreativtools und werden in ihrer diesbezüglichen Funktionalität weiterentwickelt. Dank MX wird jetzt zusätzlich die Zusammenarbeit zwischen Webdesignern und -entwicklern einfacher, weil nun beide mit Werkzeugen aus derselben Familie arbeiten können. Und für viele Webdesigner bietet sich die Chance, die Datenbankintegration auch selbst zu realisieren. ColdFusion-Skriptsprache ist gar nicht so weit von HTML entfernt und mit den Hilfestellungen in Flash und Dreamveaver ist es wirklich keine Hexerei mehr, auch komplexe Webapplikationen zu entwickeln. Mit Java ist das jedenfalls alles um ein Vielfaches komplizierter und erfordert viel mehr Lernaufwand. Die Stärke der MX-Softwarepalette besteht also darin, dass sie den ganzen Produktionsprozess von Webapplikationen unterstützt, also sowohl den Design- als auch den Applikationsteil. Dadurch wird eine Effizienz erreicht, die einen raschen Return of Investment garantiert. Und nach der Dot-Com-Krise ist dies ein ganz entscheidender Punkt!

Publisher: Wenn Sie jetzt auch die Kontinuität in der Unterstützung Ihrer bisherigen Kunden betonen, so verfolgt Macromedia heute doch offensichtlich eine andere Strategie als vor der Akquisition von Allaire. Früher war Macromdedia hauptsächlich auf Publishingwerkzeuge fokussiert, jetzt geht es um Entwicklungswerkzeuge für Webapplikationen.
Manser: Wir sehen die Allaire-Aquisition und die MX-Produktefamilie als konsequente Fortsetzung unserer bisherigen Strategie. MX markiert einen Technologiesprung und nicht einen strategischen Schwenker. Unser Fokus ist nicht das Publishing, sondern das Internet. Wir wollen das führende Internetsoftware-Unternehmen sein. Mit der MX-Familie bieten wir Webentwicklern einen kompletten Werkzeugkoffer an, um effizient und in kürzerster Zeit funktionale Internetapplikationen zu realisieren.

Publisher: Durch welche Konkurrenten beziehungsweise Mitbewerber wird diese Führungsrolle am ehesten gefährdet?
Manser: Es gibt natürlich einige Anbieter, die auch einzelne Werkzeuge für das Web anbieten. Wir haben den grossen Vorteil einer kompletten Produktefamilie, die sowohl Tools als auch Server beinhaltet und so die Entwicklung von Gesamtlösungen ermöglicht. Darüber hinaus haben wir neben der MX-Familie noch die Multimedia-Autorenwerkzeuge Director und Authorware im Portfolio, welche gerade im Hinblick auf das boomende E-Learning von grosser strategischer Bedeutung sind.

Publisher: Adobe ist für Macromedia also keine Gefahr?
Manser: Wir nehmen jeden Mitbewerber ernst und verfolgen die Entwicklung am Markt sehr aufmerksam. Adobe hat einen anderen Fokus und wird uns in unserer Entwicklung nicht aufhalten. Und bei den HTML-Editoren, wo wir in direktem Wettbewerb stehen, vertrauen 80 Prozent der professionellen Webentwickler auf Macromedia.

Publisher: Wie sieht es mit Microsoft und Sun aus?
Manser: Microsoft und Sun sind für uns nicht Konkurrenten, sondern wichtige Partner. Wir bieten mit unseren Werkzeugen sowohl Unterstützung für .NET als auch für Java und lassen dem Anwender die freie Wahl, für welche Plattform er sich entscheiden will.

Publisher: Wenn es Macromedia tatsächlich gelingt, Flash als Schlüsseltechnologie zur Implementierung von Webapplikationen zu etablieren, besteht dann nicht die Gefahr, von einem der Grossen geschluckt zu werden?
Manser: Diese Frage wurde mir schon oft gestellt. Vor einer Übernahme ist man heute natürlich nie ganz sicher, darüber wird jedoch andenerorts entschieden. Kommen wir von den globalen Spekulationen auf den Schweizer Markt zu sprechen. Wie läuft das Geschäft? In den Jahren 1999 und 2000 hatten wir eine rasante Entwicklung mit dreistelligen Zuwachsraten auf dem Schweizer Markt. Letztes Jahr wurden auch wir von der Dot-Com-Krise betroffen. Im Unterschied zu vielen anderen im Internetgeschäft konnten wir unsere Umsätze jedoch halten. Für dieses Jahr sehen wir schon wieder ein gutes Wachstum, nicht zuletzt dank den neuen MX-Produkten.

Publisher: Herr Manser, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!

 

Kasten: Wendelin Manser

Nach einer Berufslehre als Werkzeugmacher absolvierte Wendelin Manser (Jahrgang 1960) ein ZBW-Studium als Betriebsfachmann und war in verschiedenen Unternehmen der Maschinenindustrie tätig, vier Jahre davon in den USA. 1996 wechselte er in die Softwarebranche und ist seit 1999 Country Manager Macromedia Schweiz. Während seines USA-Aufenthaltes erwarb Manser die Berufspilotenlizenz und machte so die Fliegerei zum Nebenerwerb.

Wendelin Manser ist Vater von zwei siebenjährigen Zwillingstöchtern und verbringt neben seinen Hobbys Sport und Politik möglichst viel Zeit in der Familie.

Kasten: Persönliche Statements

Vorbilder: Ich habe kein spezielles Vorbild, sondern schätze allgemein Personen, die sehr erfolgreich sind und spürbare positive Veränderungen bewirken. Erfolgreiche Persönlichkeiten oder starke Politiker, wie beispielsweise Lothar Späth, der ehemalige Ministerpräsident von Baden- Württemberg, der heute ein sehr erfolgreicher Unternehmer ist. Ich nehme gerne an verschiedenen Symposien teil und höre mit Interesse den Vorträgen von bekannten Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Forschung zu. Am meisten bewundere ich jedoch Persönlichkeiten, die sich für die Menschen in der 3. Welt einsetzen, wie zum Beispiel Karlheinz Böhm, der sich seit 20 Jahren mit seiner Hilfsaktion «Menschen für Menschen», erfolgreich engagiert im Kampf gegen Hunger, Elend und Krankheiten in Afrika. Meine realen Vorbilder befinden sich jedoch direkt in der Familie und in meinem engsten Freundeskreis, wo sie auch direkten Einfluss auf mein Leben haben.

Erfolgserlebnisse: Ich freue mich immer wieder über jedes Erfolgserlebnis, in letzter Zeit konnte ich einige Lizenzabschlüsse mit ganz grossen Firmen abschliessen. Das gibt viel Kraft und Motivation. Das letzte Quartal konnten wir in der Schweiz sogar mit 25% über dem Ziel abschliessen. Ein besonderes Erfolgserlebnis liegt zwar schon einige Jahre zurück, bleibt aber wohl für immer in meiner Erinnerung: Als ich in den USA für die Tochtergesellschaft der Firma Heule als verantwortlicher Geschäftsführer tätig war, durfte ich ein Projekt bei der NASA am Space Shuttle abschliessen und realisieren. Wir konnten 1988 bei allen Festtreibstoff-Raketen die Verbindungen der einzelnen Elemente neu konstruieren und mit unseren Systemen bearbeiten. Ich durfte in verschiedenen NASA-Betrieben überall in den USA ein- und ausgehen, was etwas ganz Besonderes war für mich als Schweizer. Es war eine tolle Referenz für das ganze Unternehmen.

Kritische Momente: Spezielle Situation gibt es auch mal ab und zu. Eine kritische Situation habe ich beispielsweise vor einigen Jahren erlebt, als ich ein zweimotoriges Kleinflugzeug von Amerika nach Europa überführte und mitten über dem Atlantik ein Motor ausfiel. Ich konnte glücklicherweise die Insel Faeör anfliegen und dort notlanden. Ein kribbeliges Gefühl im Magen hatte ich erst gerade kürzlich beim Flashcamp Event auf dem Säntis. Das Wetter war nämlich gerade an diesem Tag so stürmisch, dass wir nicht wussten, ob die Leute am Abend per Luftseilbahn wieder ins Tal fahren konnten. Es hatte tagsüber zeitweise Sturmböen mit bis zu 250 Stundenkilometern. Zudem haben unsere Gäste aus den USA und England (Vice Präsident) rein gar nichts von der herrlichen Aussicht mitbekommen. In so einer Situation ist man schon mal sehr angespannt.