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Editorial

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Flash MX als Java-Blocker im Dienste Microsofts?

Mit dem neuen Flash MX (siehe Seite 48) will Macromedia ganz neue Geschäftsfelder erobern. Über das angestammte Gebiet der Webanimationen hinaus soll Flash nun als Rich Client für Businessapplikationen positioniert werden. Als Beispiel dafür zeigt Macromedia ein Hotelreservationssystem, bei dem Flash als Datenbank-Frontend funktioniert, das einerseits in der bisherigen Flash-Tradition dem Applikationsentwickler alle Gestaltungsmöglichkeiten bietet und zusätzlich als Rich Client den Server entlastet, indem einfache Aufgaben wie die Verifizierung der Kreditkartennummer direkt vom Flashplayer ausgeführt werden.

Auf dem Hintergrund der Allaire-Akquisition, die unter anderem ColdFusion als Entwicklungswerkzeug für datenbankgestützte Webanwendungen ins Macromedia-Portfolio brachte, entspricht die Neupositionierung von Flash durchaus einer logischen Fortsetzung. Trotzdem ist die Frage berechtigt, ob Macromedia wirklich das Potenzial hat, plötzlich in einer höheren IT-Liga mitzuspielen, in der Schwergewichte wie Microsoft, Sun, IBM und Oracle mit harten Bandagen um Marktanteile und strategische Schlüsselpositionen kämpfen.

Ich denke, dass die Chancen für Macromedia gar nicht so schlecht stehen, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Vieles spricht dafür, dass Macromedia hier nicht auf sich alleine gestellt antritt, sondern als Protegé des grössten Softwarehauses der Welt. Es ist nämlich sicher kein Zufall, dass Microsoft als fast einziges Produkt eines Drittanbieters Flash mit in das Windows-XP-Paket hineingenommen hat. Und es ist in diesem Zusammenhang ein weiteres pikantes Detail, dass Java nicht mehr zum Lieferumfang der neuesten Windows-Version gehört!

Tatsächlich scheint Flash ganz ausgezeichnet zu Microsofts .NET-Strategie und dem damit verbundene Ringen um die Vormachtstellung im Internet zu passen. Um internetbasierende Businessapplikationen zu nutzen, reicht nämlich ein einfacher Webbrowser meist nicht aus. Es braucht einen von der Workstation bis hinunter zum PDA für alle Plattformen verfügbaren Rich Client, der gewisse Aufgaben selbstständig auszuführen im Stande ist. Und genau dies fehlt Microsoft und – schlimmer noch – genau dies vermag die bewährte Java-Technologie des Erzrivalen Sun zu leisten.

Flash hat für Microsoft also eine kaum zu unterschätzende strategische Bedeutung als «Java-Blocker». Es ist deshalb anzunehmen, dass Microsoft sich nach Kräften dafür einsetzen wird, dass Unternehmen für ihre künftigen .NET-Applikationen auf Flash statt auf Java Applets setzen werden. Dass der Junior­partner dabei zum Teil auch als Konkurrent auftritt – zum Beispiel bei den Server-Tools – dürfte man in Redmont leicht verschmerzen. Denn rein umsatzmässig spielt Macromedia wohl noch einige Zeit in einer tieferen Liga: Entspricht doch alleine der aktuelle Quartalsgewinn von Microsoft gut dem 7fachen des Jahresumsatzes von Macromedia.

Martin Spaar