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Papier � ewige Liebe

Schon zu oft wurde das papierlose B�ro ausgerufen, als dass man solche Aussagen ernst nehmen k�nnte. Trotz sinkender Auflagen steigt der Papierverbrauch stetig. Wer m�chte im Ernst darauf verzichten? Vielleicht sollten wir es vermehrt tun.
RALF TURTSCHI Papier erfreut sich ungebrochener Beliebtheit, trotz Internet, trotz Fernsehen, trotz Lokalradios, trotz mobiler Telefonie, trotz Computergames. Papier ist sexy und wird wohl nie durch elektronische Medien ersetzt werden. Darum geht es schliesslich nicht, die Medien haben sich schon immer nach dem Prinzip des grösstmöglichen Nutzens im Markt etabliert. Der stetig zunehmende Verbrauch von grafischen Papieren ist ein Indiz, dass offensichtlich ein Nutzwert darin liegt, der mit elektronischen Medien nicht zu erfüllen ist. Der Nutzwert von Toilettenpapier ist im Himalaya zweifellos grösser als der eines iPhones. Unter Papier fallen viele Produkte des täglichen Bedarfs, nicht nur Papiere, die bedruckt werden. Verpackungen, Einwickelpapier für Fleisch, Papiertaschentücher, Putztücher, bis hin zu Baumaterialien – Papier ist ein hochwillkommener Stoff in praktisch allen Branchen.

Wenn ich im Folgenden von Papier schreibe, dann fokussiere ich auf grafische Papiere. Leider kommt in der Entstehung eines Druckerzeugnisses die Papierwahl oft am Schluss. Eigentlich gehört sie an den Anfang, bevor der Fotograf Bilder schiesst, die auf ein entsprechend falsch gewähltes Papier schlecht zu reproduzieren sind. Ich hatte leider noch nie das Vergnügen, mit einem Fotografen über das Bildwiedergabevermögen von Papieren zu sprechen. Die mediengerechte Bildproduktion ist bei Kreativen in den Agenturen selten ein Thema. Eher bei den Produktionern, die die Aufgabe fassen, das unbedacht Angerichtete auf ein ungeeignetes Papier drucken zu müssen. Mit unschönen Folgeerscheinungen für Drucker und Buchbinder. Also nochmals: Papier gehört an den Anfang der kreativen Produktionskette. Wer das Papier von Anfang an kennt, kann die Motivwahl und die Gestaltung perfekt darauf abstimmen.

Haptik

Eine der USPs von Papier besteht in seiner physischen Präsenz als Werkstoff. Papier fasziniert schon Kinder, die Geschichten aus Kinderbüchern erzählt bekommen und erste Kritzeleien auf Papier verewigen. Papier prägt die schöpferische Schaffenskraft des Menschen vom Kindsein an. Mit den Fingerkuppen über glatte und kühle Papiere zu streichen, zu spüren, wie sich geprägtes Papier anfühlt, ist eine sinnliche Erfahrung, die mit einen Bildschirm nicht möglich ist.

Papier gibt es in Tausenden von Variationen. Papier oder Karton besteht aus einer Zusammensetzung von Fasern, Füllstoffen und Hilfsstoffen, welche dem Papier zu bestimmten Eigenschaften verhelfen: Bedruckbarkeit, Dimensionsstabilität, Dichtigkeit, Steifigkeit, Opazität oder Dicke. Für das Druck­ergebnis sind vor allem die Stoffzusammensetzung (Opazität, Stabilität) und die Oberflächenbeschaffenheit (Ebenmässigkeit, Glanz) von Bedeutung. In Naturpapieren sind etwa 80% Fasern enthalten, in gestrichenen Papieren etwa 60%.

Oberflächenbeschaffenheit

Papier direkt aus der Papiermaschine nennt man Naturpapier, Offsetpapier oder auch ungestrichenes Papier. Bei solchen Papieren dringt die Druckfarbe tief in die Faserstruktur (Wegschlagen) ein. Damit entsteht ein eher «verschwommenes» Druckbild, der Druck «säuft» ab. Auf Naturpapier wie beispielsweise Zeitungspapier ist die Druckwiedergabe eingeschränkt möglich. Feine Strukturen kann man auf solchen Papieren schlecht wiedergeben, der Farbumfang und die Farbbrillanz ist gegenüber gestrichenen Papieren eingeschränkt. Der Bilderdruck auf Naturpapier muss daher sorgfältig abgestimmt werden. Dies beginnt bereits bei der Sujetwahl, die mediengerecht getroffen werden sollte. In Photoshop müssen solche Bilder eher einen «Zacken» zu farbig und kontrastreicher aufbereitet werden, damit das Druckergebnis befriedigend ausfällt. Auch die Sichtung via Bildschirm oder Laserdrucker benötigt die entsprechenden Einstellungen, um das spätere Druckresultat realistisch abzubilden. Mit Naturpapieren und Farbdruck umzugehen, ist anspruchsvoller als mit gestrichenen Papieren.

Streichen und satinieren

Mit der Oberflächenveredelung werden die Mikrostrukturen der Oberfläche gepresst und geebnet. Die Druck­farbe liegt damit flacher und wird gleichmässiger reflektiert, was zu einer höheren Brillanz führt. Satinieren nennt man einen Vorgang, bei dem die Papierbahn durch ein System von Stahlwalzen (Satinierkalander) läuft und damit (wie beim Wäscheglätten) geglättet wird.

Bei den gestrichenen Papieren wird eine Streichmasse, die aus verschiedenen Stoffen bestehen kann, auf die Papierbahn aufgegossen. Dadurch wird die Oberfläche gleichmässig geschlossen – sie eignet sich somit hervorragend fürs Bedrucken. Der Strich kann von matt, seidenmatt, halbmatt bis glänzend alle Nuancen aufweisen. Matte Papiere sind wie Naturpapiere besser zum Lesen von langen Texten geeignet, weil sie weniger Glanzreflexionen aufweisen. Matte Papiere brauchen nach dem Druck eine längere Trocknungszeit als glänzende Papiere. Man kann sie schlecht schneiden oder falzen, wenn die Druckfarbe nicht trocken ist. Speziell randabfallende Elemente neigen dazu, auf der Rückseite abzuziehen.

Holzhaltig und holzfrei

Holzhaltig bedeutet, dass in dem Papier Holzstoff (auch Holzschliff genannt) enthalten ist. Holzstoff entsteht durch das mechanische Zerfasern des Holzes. Geeignet sind wegen der langen Fasern Nadelhölzer wie Tanne und Fichte. Fast 100% des Holzstoffes stammen aus heimischer Produktion: Schadholz, Holzschnitzel und Sägereiabfälle werden beispielsweise dafür verwendet. Die Ausbeute an Fasern berträgt 95 bis 98%. Holzhaltige Papiere sind relativ opak (undurchsichtig), sie sind jedoch weniger reissfest und vergilben leichter. Deshalb wird Papier aus Holzstoff vor allem bei kurzlebigen Produkten wie Zeitungen eingesetzt.

Der Rohstoff für holzfreie Papiere ist Zellstoff (Zellulose). Beim Zellstoff wird das Holz chemisch gekocht, Lignin und Harze werden herausgelöst und es entstehen im Gegensatz zum Holzstoff längere Fasern, die zu einer höheren Festigkeit führen. Zellstoff ist geschmeidiger und vergilbt kaum. Die Faserausbeute am Holz beträgt aber lediglich 40 bis 55%.

Weiterverarbeitung

Bedrucktes Papier wird in der Buchbinderei weiterverarbeitet, wo es gefalzt, geschnitten, geklebt, fadengeheftet oder drahtgeheftet wird. In einer industriellen Fertigung muss mit Toleranzen von etwa 1 mm gerechnet werden. Eine 2 mm breiter randabfallender Balken am Rand eines Visiten­kärtchens wird nach dem Schneiden garantiert zwischen 1 und 3 mm breit sein. Einen anderen Stolperstein bildet der Bund, in dem immer wieder wichtige Elemente regelrecht versenkt werden. Ein reines Papierproblem bildet die Faserlaufrichtung des Papiers beim Falzen, die parallel zum Bund liegen soll. In der Regel wird das Papier vom Drucker so eingekauft. Vor dem Falzen muss das Papier gerillt werden, damit es im Bund nicht bricht. Die Grenze des Papiergewichts liegt bei etwa 150–170 g, darunter kann man falzen, ohne rillen zu müssen. Bei einem dunkel und flächig bedruckten Papier sieht man den Papierbruch störender, als wenn der Bund unbedruckt ist.

Speziell im Zusammenhang mit Papier sind effektvolle Veredelungstechniken möglich, die das Papier besonders zur Geltung bringen: Lackieren, um einen Mattglanzeffekt zu erreichen, Stanzen, Laserstanzen, Flocken, Blindprägen, Folienprägen, Beduften usw.