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Papier und �kologie

Der steigende Papierverbrauch verursacht �kologische Probleme, Stichworte Abholzung der Urw�lder oder Klima.
RALF TURTSCHI Durch die neusten Szenarien der Klimaforscher zeichnet sich ein gros­ser Druck auf den extensiven Papierverbrauch rund um den Globus ab. Zellstoff wird global an den Rohstoffbörsen gehandelt. Es ist wie beim Benzin absehbar, dass sich der Rohstoff Zellulose weiter am Markt verknappen wird, je mehr Menschen weltweit alphabetisiert werden und je mehr am steigenden Wohlstand teilhaben, der ihnen grundsätzlich zusteht.

Facts & Figures

In der Schweiz wurden laut Jahresbericht der Papierindustrie (www.zpk.ch) 2007 221 kg Papier und Karton im Schnitt pro Kopf der Bevölkerung verbraucht. In der EU sind es nach anderen Quellen 190 kg im Schnitt. Der Recyclinganteil grafischer Papiere wird auf 5–7% geschätzt, ein bescheidener Teil. Der Recyclinganteil von Zeitungspapier ist nahezu 100%. Der Recyclinganteil aller in der Schweiz konsumierten Papiere und Kartons wird auf 50 bis 60% geschätzt. Das heisst nichts anderes, als dass etwa die Hälfte aller verbrauchten Papiere den Rohstoff Holz aus Wäldern benötigt. 17% des Holzes stammen aus Urwäldern, von Skandinavien über Russland, Kanada bis hin zu Brasilien und Malaysia. 54% des Holzes für Zellstoff stammen aus bewirtschafteten Nutzwäldern und Plantagen. Die Zahlen sind teilweise Schätzungen, weil man nicht genau weiss, wie gross der Anteil an importierten Papieren ist. Es ist also davon auszugehen, dass der effektive Pro-Kopf-Verbrach einiges höher liegt als der ausgewiesene, der sich auf die produzierte Menge Papier und Karton in der Schweiz und deren Bevölkerung von 7,6 Mio. bezieht. Nach einer solchen Berechnung käme Liechtenstein ohne Papierproduktion auf einen Verbrauch von 0 kg pro Kopf. Andere Quellen nennen einen schweizerischen Verbrauch von 476 kg pro Kopf. In Afrika oder Indien soll der Pro-Kopf-Verbrauch 5–6 kg betragen, der weltweite Durchschnitt liegt bei 50 kg. Bei allem vorbildlichen und wünschenswerten Spar-, Trenn- und Sammelverhalten darf der Blick über die Landesgrenzen auf die Proportionen nicht aus den Augen verloren werden. 7,5 Mio. Schweizer stehen gegen 2,4 Mrd. Indern und Chinesen gegenüber, das sind 3,1 Promille.

Verschiedene aktuelle Studien kommen zum Schluss, dass um 1 kg Frischfaserpapier herzustellen, 2,2 kg Holz eingesetzt werden müssen und 1,2 kg CO2 in die Atmosphäre abgegeben werden.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass sowohl Papierindustrie wie auch Handel und Kommunikationsbranche wenig wirtschaftliches Interesse daran haben, am hohen Papierkonsum etwas zu ändern. Und den meisten Konsumenten ist der Zusammenhang zwischen Verbrauch und der Klima­erwärmung wahrscheinlich zu weit hergeholt. In den Schwellenländern hat man ganz andere Probleme – bei einem Wirtschaftswachtum, welches nicht selten bis zu zehnmal höher ist als unseres.

Die ökologische Strategie für eine Reduktion des Papierrohstoffverbrauchs ist ganz klar die Reduzierung des Verbrauchs. Als zweitbeste Lösung steht die vermehrte Verwendung von Recyclingpapieren im Vordergrund. So, wie es heute realistischerweise aussieht, ist beim Verbrauch, also bei den Konsumenten, wenig zu erreichen. Hingegen bewegt sich bei der ökologischen Herstellung von Papier einiges. Rekapitulieren wir: Der Recyclinganteil bei den grafischen Papieren beträgt 5–7%.

Heute reagiert der Markt zunehmend sensibel auf die Herkunft und die umweltfreundliche Etikette des Papiers. Das umweltfreundlichste Papier ist ganz klar das, welches überhaupt nicht verbraucht wird. Jedes E-Mail, welches x-fach ausgedruckt und verteilt wird, ist eines zu viel. Jedes unerwünschte Mailing, welches ungeöffnet im Papierkorb landet, ist zu viel. Jede Kontobewegung, die einen Auszug nach sich zieht, frisst Zellulose. Ökologischer verhält sich also derjenige, der grundsätzlich weniger Papier verbraucht, und nicht derjenige, der das umweltfreundlichere Papier verschwendet. Wie beim Autofahren ist es besser, weniger Kilometer zu fahren statt ein Auto zu kaufen, welches weniger Benzin verbraucht, dafür täglich 100 km zur Arbeit zu fahren. Ein Wohnorts- oder Arbeitsortwechsel würde mehr bringen.

Papierrecycling

Mit dem Recycling von Papier kann das Papier ökologischer hergestellt werdenals wenn man nur neue Fasern benützt.Der Recyclinganteil ist jedoch auf 70–80% beschränkt, denn es gibt Einwegpapiere, die nie rezykliert werden. Aus­serdem werden durch den Recyclingprozess die Fasern verkürzt, was die Stabilität des Papiers verschlechtert. Es braucht also in grafischen Papieren einen gewissen Anteil an Frischfasern, die die Bedruckbarkeit gewährleisten. Papier ohne Dimensionsstabilität kann kaum farbig bedruckt werden, ohne dass der Passer leidet. Es ist jedoch nicht zwingend notwendig, jede Information auf Hochglanzpapier zu drucken. Hochglanzpapier ist sowieso ein falscher Ausdruck für verschwenderischen Papierverbrauch, da der Glanz und seit Neuem auch der Weissegrad keine Indikatoren für den Recyclinganteil sind.

FSC – intransparente Verwässerung

FSC (Forest Stewardship Council) war lange Zeit der einzige Garant für Papiere, die aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammen. Leider wurde das Gütesiegel 2005 verwässert. Heute existieren drei verschiedene Kategorien für FSC. «FSC 100%» entspricht einer klaren Haltung, die der Konsument versteht. Es sind jedoch praktisch keine Papiere auf dem Markt, die so zertifiziert sind. «FSC Mix» hingegen steht auf jedem Bankcouvert oder auf den Packungen der Kopierpapiere. «FSC Mix» ist der grosse Renner und wird von Einkäufern und Druckern stark gefragt. «FSC Mix» heisst, dass die Papierfabriken aus einem Kreditsystem und einem Prozentsystem wählen. Je nachdem, wie sie den FSC-Zellstoff einkaufen, können sie die Papiere als FSC Mix Sources verkaufen (s. Grafik). Die Nachfrage ist so gross, dass das Sortiment laufend stark erweitert wird. Der FSC-Zellstoffmarkt ist bereits ausgedünnt, was die an sich teureren Preise treibt. Es existiert ein ökonomischer Anreiz, FSC-Zellstoff mit normalem Zellstoff (mit anderen Umweltzertifikaten) zu strecken und trotzdem im Verkauf das Label FSC zu erhalten. Im Moment bedeutet FSC Mix, dass «wahrscheinlich» 20–30% FSC-Fasern enthalten sind, «im schlimmsten Fall» aber gar keine oder ein unbedeutend kleiner Teil FSC-Fasern drinstecken. Auf den einzelnen Papierpackungen steht teilweise eine CoC-Nummer (Chain-of-Custody) über die Herkunft und Inhalt nachgewiesen werden könnten. Aus naheliegenden Gründen bleibt diese Information aber beim Hersteller. Eine grüne Mogelpackung erster Güte, die aus meiner Sicht die hehren FSC-Ziele zum Marketinggag abwertet. Die Deklaration der FSC-Richtlinien müsste klar und für Konsumenten verständlich kommuniziert werden. Das dritte FSC-Label im Bund heisst «FSC-Recycling». Hier wird der Begriff FSC mit Recycling in unzulänglicher Weise verknüpft. Recycling hat nun einmal mit FSC rein garnichts am Hut. Denn die rezyklierten Fasern der gesammelten Haushaltsware stammen ja von irgendwo. Es istdemzufolge durchaus möglich, Papieraus gefährdeten Wäldern herzustellen, nach Druck und Konsum die Sammelware dann mit einem Ökolabel FSC-Recyling auszustatten. Statt Geld wird so Papier gewaschen. Ich habe nichts gegen den Begriff Recycling, aber die Kombination mit FSC ist eine Irreführung der Konsumenten, welche diese Papiere mit FSC in Verbindung bringen. Laut berufener Quelle haben ausgerechnet die Umweltverbände Druck gemacht, dass der Verein FSC auch etwas fürs Recycling unternimmt. Zur Zeit existieren erst wenige Papierprodukte mit diesem Label. Es gibt noch weitere Ökolabels, die, obwohl umfassender, in der Schweiz weniger bekannt sind: der Blaue Engel, der Nordische Schwan oder die EU-Blume.