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Auf zu neuen Ufern

Das Freie DTP-Programm Scribus 1.3.5 steht mit vielen neuen Funktionen vor der Tür – trotzdem ist die neueste Version nur eine Zwischenstation. Ein Werkstattbericht.

CHRISTOPH SCHÄFER Was passiert, wenn ein begeisterter Programmierer ein kleines Programm braucht, mit dem er Speisekarten für das Restaurant seiner Schwiegereltern herstellen kann? Er schreibt es selbst! So geschehen im Jahr 2001. Der Programmierer hiess Franz Schmid, und er stellte seine Freizeitarbeit unter einer Freien Lizenz und unter dem Namen Scribus ins Internet [1]. Weil es zu dieser Zeit noch kein modernes DTP-Programm für Linux gab, stiess das bescheidene Projekt auf immer mehr Resonanz. Andere Programmierer gesellten sich hinzu, und Prepress-Profis gaben wertvolle Tipps zur Weiterentwicklung.

Seither ist der Code merklich angewachsen: Brachte das Programm in den frühen Versionen noch wenige hundert Kilobyte auf die Waage, so sind es heute über 20 Megabyte. Demnächst wird die Version 1.3.5 von Scribus veröffentlicht, der die Entwickler zwar noch nicht die Weihe einer «offiziell» stabilen Version zuteil werden lassen, die aber hoffentlich neugierig auf die bald danach erscheinende stabile Version 1.4 macht.

Prinzipien und Entwicklungsziele

Die Scribus-Entwickler haben sich zum Ziel gesetzt, eine DTP-Anwendung zu schaffen, die professionellen Ansprüchen gerecht wird, ohne es Einsteigern allzu schwer zu machen. Die Messlatte ist bewusst hoch gelegt, weil das Scribus-Team für seine Arbeit nicht bezahlt wird und eher sportlicher Ehrgeiz und der Reiz, es besser als andere zu machen, die Triebfedern der Entwicklung sind. Daher wird die Software auch unter einer Freien Softwarelizenz vertrieben, die sicherstellt, dass der Programmcode offen ist und bleibt.

Für die Scribus-Entwickler sind offene Dateiformate eine wichtige Grundlage ihrer Arbeit. Das Scribus-Dateiformat ist reiner XML-Text und kann daher auch mit einem Texteditor bearbeitet werden. Wer schon einmal Zeit und Geld mit beschädigten XPress- oder InDesign-Dateien verloren hat, wird diese Eigenschaften zu schätzen wissen, da sich bei einem Absturz möglicherweise beschädigte Dateien mit einem einfachen Texteditor wiederherstellen oder wenigstens wieder benutzbar machen lassen.

PDF ist ein gut dokumentierter ISO-Standard, und der PDF-Export von Scribus zählt zu den verlässlichsten überhaupt. Die PDF-Ausgabe von Scribus wird beinahe täglich mit professio­nellen Preflight-Werkzeugen geprüft, und (extrem selten) auftretende Prob­leme geniessen bei den Entwicklern allergrösste Priorität. Sie werden umgehend behoben. Gegenwärtig unterstützt Scribus PDF 1.3 bis 1.5 sowie X-3. Unterstützung für PDF/X-1a, X-4 und XPS ist geplant. Beim PDF-Import kann man eine PDF-Datei wahlweise rastern oder in ein Dokument einbetten.

Oberflächliches

Scribus ist ein plattformübergreifendes Programm, das unter Linux, Mac OS X, Windows, FreeBSD, Solaris und sogar OS/2 läuft. Dies hat den Vorteil, dass die Bedienung auf jeder Plattform gleich ist, auch wenn Scribus damit nicht immer hundertprozentig den Usability-Richtlinien jedes Betriebs­systemherstellers folgen kann.

Wer zum ersten Mal mit Scribus arbeitet, wird feststellen, dass die Anzahl der frei schwebenden Paletten wesentlich kleiner ist als in XPress oder InDesign. Diesem angenehmen Effekt steht jedoch ein Megadialog entgegen, dessen Name genauso lang ist wie sein Erscheinungsbild auf dem Monitor gross, nämlich die Eigenschaftenpalette. Mit dem Umstieg auf Version 4 des Qt-Toolkits zur Erzeugung grafischer Benutzeroberflächen [2] hat diese Palette Ausmasse angenommen, die ein neues Design erforderlich machen, denn sie verstellt mehr als ein Viertel der Arbeitsfläche. Immerhin kann man die Palette mit einem Tastendruck aus- und wieder einblenden, wenn sie den Blick auf das Layout verstellt.

Der Vorteil dieser Lösung ist, dass man fast alle direkten Formatierungs- und Platzierungsoptionen an einer zentralen Stelle zur Hand hat, ohne ständig Paletten öffnen und schliessen zu müssen. Stattdessen wechselt der Anwender einfach den Reiter in der Eigenschaftenpalette.

Seitenjongleur

Der Umgang mit Seiten ist schon länger eine der Stärken von Scribus. Lange vor den DTP-Flaggschiffen beherrschte Scribus den Umgang mit verschiedenen Seitengrössen in einem Dokument. Auch lassen sich Seiten (inklusive Musterseiten) beliebig kopieren, verschieben und sogar aus anderen Scribus-Dokumenten importieren.

Schwächen zeigt Scribus noch bei Musterseiten, denn Objekte auf Musterseiten enthalten immer nur statische Objekte im Hintergrund, ohne eine Möglichkeit, diese unter bestimmten Bedingungen zu bearbeiten.

Typo im Umbruch

Bereits in der vorangehenden Entwicklerversion 1.3.4 waren einige grundlegende Veränderungen im Textlayoutsystem zu besichtigen. Seitdem bietet Scribus einen optischen Randausgleich und die aus InDesign bekannte Glyphenskalierung (in Scribus Glyphenstauchung genannt) sowie eine Optimierung des Wortabstandes. In Version 1.3.5 ist die Einstellung des Abstandes der ersten Zeile in einem Textrahmen hinzugekommen.

All dies ist jedoch nur der Einstieg. Sobald Scribus 1.3.5 veröffentlicht ist, wird die volle OpenType- und Unicode-Unterstützung in Angriff genommen. Entsprechende Vorarbeiten existieren bereits, und es stehen schon externe Programmierer und Gelder bereit, die bei der Umsetzung der komplizierten typografischen Regeln für Devangari, Arabisch etc. helfen.

Pixelzauber

Neben den verbreitetsten Pixelformaten wie JPG, PNG oder TIFF kann Scribus auch mit Photoshop-Dateien umgehen. Sogar Ebenen und Beschneidungspfade werden importiert und können in Scribus verwendet werden. Auch DCS-1/2-Dateien bereiten Scribus keine Probleme. Darüber hinaus bietet Scribus dieselben Ebenenmodi wie Photoshop, und zwar nicht nur für PSD-Dateien, sondern auch für alle anderen Objekte und Ebenen in Scribus.

Wem die Qualität seiner Bilder nicht zusagt, der kann in Scribus zahlreiche nicht destruktive Effekte auf einen Bildrahmen anwenden, darunter auch Gradationskurven, die sich zudem laden und speichern lassen. Reichen die Bild­effekte in Scribus nicht aus, kann das bevorzugte Bildbearbeitungsprogramm aus Scribus heraus gestartet werden.

Farbmanagement

Beim Farbmanagement setzt Scribus auf das plattformneutrale LittleCMS [3]. Lange Zeit ist dieses Color Management System (CMS) belächelt worden. Inzwischen ist aber deutlich geworden, dass diese Farbmanagement-Bibliothek höchsten professionellen Ansprüchen genügt. Hewlett-Packard verwendet es in seinen High-End-Digitaldruckern, und auch in PitStop ist es nun das Standard-CMS. Korrekte Ein- und Ausgabeprofile sowie kalibrierte Geräte vorausgesetzt, kann Scribus daher die Ausgabe einer Datei zuverlässig simulieren.

Beim Umgang mit Palettenfarben ist Scribus flexibel wie ein Vektorprogramm: Farben lassen sich aus fast allen unterstützten Dateiformaten importieren, selbst erzeugen und global ersetzen. Werden Vektordaten importiert, lädt Scribus alle im Quell­dokument enthaltenen Farben, darunter auch Schmuckfarben, die als solche erkannt und entsprechend markiert werden.

Kurvenreich

Beim Import von Vektorzeichnungen ist Scribus schon immer eigene Wege gegangen. Während sich die meisten DTP-Programme damit begnügen, Vektordateien als «Bilder» zu importieren, wandelt Scribus solche Daten in native Scribus-Kurven um, die anschliessend mit den zahlreichen Vektorwerkzeugen bearbeitet werden können. Lange Zeit beschränkten sich diese Importmöglichkeiten auf EPS-, PostScript-, SVG- und OpenOffice.org-Draw-Dateien. In Scribus 1.3.5 wurde die Unterstützung auf AI, WMF, Xfig sowie eine Reihe weiterer Formate ausgedehnt. Dateien in diesen Formaten lassen sich auch direkt von Scribus öffnen, aber sie werden in diesem Fall in ein Scribus-Dokument umgewandelt. Die Originaldatei bleibt dabei erhalten.

Ebenfalls nicht selbstverständlich in einem DTP-Programm sind die zahlreichen Vektorwerkzeuge, die man wohl eher in Illustrator oder CorelDraw vermuten würde. So lässt sich jeder Pfad, jede Kurve einer importierten Vektordatei in Scribus bearbeiten. Man kann neue Punkte hinzufügen und verschieben oder vorhandene löschen. Zu nennen sind hier auch der «Transformieren»-Dialog, der noch etwas mächtiger ist als in Illustrator, die Pfadoperationen oder die Möglichkeit, Vektorobjekte zu verzerren oder Linseneffekte anzuwenden.

Scribus-Spezialitäten

Wie bekommt man komplexe mathematische Formeln oder Notensatz in ein Layoutdokument? Scribus hat ab Version 1.3.5 die denkbar einfachste Antwort bereit: Sie erzeugen diese im Layoutprogramm selbst. Ursprünglich als Projekt zum Erstellen mathematischer Formeln mithilfe von LaTeX [4] gestartet, hat das betreffende Plug-in inzwischen ein gewisses Eigenleben entwickelt.

Seit Version 1.3.5svn ist es in Scribus möglich, jedes Programm, das eine Auszeichnungssprache wie LaTeX oder Lilypond versteht und in der Lage ist, PNG-, EPS-, PDF- oder PostScript-Dateien auszugeben, direkt in Scribus zu nutzen. Dazu müssen die entsprechenden Programme natürlich auf Ihrem Computer installiert sein.

Probleme

So interessant und nützlich manche der neuen Funktionen auch sind, darf doch nicht übersehen werden, dass kaum ein professioneller Anwender mit der gegenwärtig verfügbaren Entwicklerversion 1.3.5svn glücklich werden dürfte. Der Umstieg auf ein neues Toolkit, verbunden mit einer kompletten Neuentwicklung zentraler Teile des Scribus-Codes, führt dazu, dass das Programm in seiner aktuell verfügbaren Version teilweise äusserst langsam ist – ein Problem, mit dem auch InDesign lange zu kämpfen hatte, das aber bis zur Veröffentlichung von 1.3.5 behoben sein wird.

Ausblick

Manche zu erwartende Erweiterungen und Verbesserungen jenseits von Scribus 1.3.5 wurden bereits erwähnt, andere verdienen eine separate Behandlung. In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei Projekte zu nennen, die von Google im Rahmen des «Summer of Code 2008» finanziert wurden, nämlich Scripter-NG und der Bildbrowser.

Wie jedes ernsthafte DTP-Programm bietet Scribus schon seit Jahren die Möglichkeit, das Programm mithilfe von Scripts zu erweitern. Ein «Summer of Code»-Projekt hat die Scripting-Funktionalität nun auf neue Füsse gestellt. Fortan sind mehr Scribus-Funktionen über den Scripter verfügbar, und neben Python lassen sich Scripts künftig auch in JavaScript erzeugen.

Ein weiteres «Summer of Code»-Projekt ist der Bildbrowser. Während die Funktion Extras > Bilder verwalten Bilddateien innerhalb eines Dokuments verwaltet, ist der Bildbrowser eine Art Mini-Bridge, die es erlaubt, externe Bilddateien zu organisieren, zu klassi­fi­zieren und in Scribus dauerhaft ver­fügbar zu machen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Pixeldaten auf der lokalen Festplatte, einer Digital­kamera oder in einem Netzwerkordner befinden.

Dr. Christoph Schäfer ist Historiker und Germanist. Er gehört dem Scribus-Entwicklerteam an.

www.scribus.net,

christoph@scribus.info

Herunterladen und mitmachen!

Projekte wie Scribus leben von den Rückmeldungen ihrer Benutzer. Falls Sie das Scribus-Projekt interessant finden, können Sie das Programm für verschiedene Betriebssysteme herunterladen [5] und mit den Entwicklern im IRC [6] oder auf einer Mailingliste [7] diskutieren. Sie müssen nicht einmal besonders gut Englisch können, denn die meisten Entwickler verstehen Deutsch gut bis sehr gut (fünf von ihnen sind Deutsche). Es gibt sogar eine deutschsprachige Benutzeroberfläche, die den Schweizer Schreibgewohnheiten folgt!

[1] www.scribus.net

[2] www.trolltech.com/qt

[3] www.littlecms.com

[4] www.latex-project.org

[5] http://sourceforge.net/project/platformdownload.php?group_ id=125235. Hier lässt sich auch die aktuell stabile Version 1.3.3.12 herunterladen.

[6] irc://irc.freenode.net/#scribus

[7] http://lists.scribus.info/mailman/listinfo