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JEDE URSACHE KOMMT VON EINER WIRKUNG

Im September brach in Deutschland die Thilo-Sarrazin-Kontroverse los, ob Deutschland wegen zunehmender Einwanderung von „bildungsfernen Migrationshintergünden“ schleichend verdummen würde. Der Niedergang hat ein Nachsehen.

ralf turtschi

////Wir in der Schweiz habens gut, hierzulande denkt niemand über die Verdummung an sich nach. Wir sind gescheit, das Bildungssystem wird als das Beste überhaupt gelobt, so wie wir auch über die beste Armee der Welt verfügen, das beste Bankensystem, das beste Gesundheitswesen, die beste Konkordanzdemokratie. Nein, wir haben wahrlich keinen Grund zu klagen. Höchstens, wenn die Deutschen en masse steuerfluchtartig oder andersartig ihrem Heimatland den Rücken kehren, um der drohenden Verdummung zu entgehen, dann droht uns in der logischen Schlussfolgerung die schleichende Intelligenzierung. Und im Fall: Da kann man nur entschieden «Nein» sagen. Falls so einer mit einer deutschen Nummer mal die Parkscheibe nicht richtig stellt, so zeig ich ihn an, Kriminelle gehören an die Grenze gestellt! Gescheit hin oder her – wir zeigen denen schon, wo der Bartli den Most holt. So schlammt uns die rechte Propaganda entgegen. Die Anpassungsfähigkeit als Integrationsforderung führt zur Nivellierung des Bünzlitums. Und Bünzlis und Spiesser lassen sich leichter zurechtbiegen, sie brauchen Vordenker und Vorbeter, das Denken ist ihre Sache nicht. Egoismus und Neid sind die Triebfedern, auf denen jedwelche Andersartigkeit als persönliche Bedrohung empfunden wird. Wenn alle schön angepasst sind, können die da oben machen, was sie wollen, niemand motzt, niemand lehnt sich auf, niemand machts besser, niemand findet die exorbitanten Gesundheitskosten unerträglich, niemand geht auf die Strasse, niemand lupft den Stinkefinger. Alle kuschen, alle zahlen, alle werden entmündigt, gegängelt, berieselt, hintergangen, direktbezahlt. Grossfirmen sind überorganisiert, überstrukturiert, das intelligente menschliche Denken kapituliert vor strukturierten Prozessen. Irgendjemand weiss schon, was er tut, die werdens schon richten, und es gibt schliesslich Regeln. Stimmabstinenz, apathische Ohnmacht und Pauschaljammern auf hohem Niveau, ein Volk von einig zurechtgedrückten Lemmingen. Ein Indiz der Übersättigungsgesellschaft. Geradezu wohltuend, was im nahen Stuttgart21 passiert, dort wird die aufmüpfige Meinungsdemokratie geprobt. Dabei hat jede Situation ihre Ursache. Und viele Ursachen kommen wegen schlechter, unehrlicher oder gar fehlender Kommunikation zustande. Bekanntlich verspricht die Bekämpfung der Ursache erfolgreicher zu sein als die Bekämpfung der Symptome.
////Im Gesundheitswesen sind 500 Franken monatlich in Prävention besser investiert als 500 Franken im Krankheitsbelohnungswesen.
////Die Ursache für die Swissness ist der allgemeine Wohlstand, der zum guten Teil von der Arbeitskraft und Kreativität von zugewanderten Ausländern stammt. Gefährlich farblos ist die Vorstellung, nur die hellen Köpfe willkommen zu heissen, die schwarzen sollen doch bitte draussen bleiben. Das meine nicht ich, das meinen die Braunen! Nun gut, entweder haben wir einen freien Markt ohne Zollschranken mit den verfassungsmässig garantierten höchsten Gütern wie Gewerbe-, Handels-, Niederlassungs- und Minarettfreiheit, oder dann machen wir dicht. Die Fünfer-und-Weggli-Politiker wollen die Arbeitskraft im profitiven Sinn zulassen, die Halbmenschen sollen nach Feierabend aber gefälligst vom Erdboden verschwinden, tagsüber wenigstens das Kopftuch abnehmen. Wir brauchen also mehr Tunnels. So hat jede Entscheidung eine Wirkung, die wieder die Ursache für eine neue Entscheidung ist.
////Kürzlich war im Fernsehen vom Duschen die Rede, genauer vom Wassersparen bei einer Fünfminutendusche. Fünf Minuten!? Wer wird mit so viel Dreck überzogen, dass er fünf Minuten duschen muss? Vielleicht ein Spekulant, ein Beamter, ein Radrennfahrer, ein Parlamentarier, ein Bundesrat, am Ende vielleicht sogar ein Verbandsfunktionär? Im Fernsehen wurde behautet, dass eine Fünfminutendusche 3 dl Erdöl verbraucht. Wahnsinn! Ein Wassersparvorsatz verbraucht nur die Hälfte des Wassers, man spart also äquivalent 1,5 dl Erdöl. Ich als Warmduscher kann natürlich auch auf Kaltduschen umstellen, spare dann täglich 2 dl Öl. Oder ich kann den Dreck lassen und überhaupt nicht mehr duschen, das bringt am meisten. Oder 48-Stunden-Deo probieren. So wird diese Konsumsendung also die Kräfte verschieben, BP wird fassweise weniger Öl verkaufen, Tankstellen schliessen, die 24-Stunden-Partygesellschaft wird nachts um drei keine Redbulls mehr erhalten und sehr darunter leiden. Das würde aber niemand wirklich wollen, oder? Also duscht, Leute, und spart stattdessen bei den erdöligen Kosmetika!
////Typografie ist auch so ein Ursache-Wirkungs-Thema. Da wird zum Beispiel im neu gestalteten «Züritipp», der wöchentlichen Ausgehbeilage des «Tages-Anzeigers», das Inhaltsverzeichnis mit fettschmalen Versalien und Mittelachse gespaltet. Sieht ganz toll aus, wie ein Partyflyer. Und die dazukombinierte kursive Caslon ist wirklich total hip. William Caslon hätte sich 1725 nicht im Traum ausgerechnet, dass er mal zum Taktgeber der urbanen Zürcher Partynächte werden wird. Damals lasen wohl Pestalozzi, Beethoven, Goethe und Mozart Caslons neuste Ausgehtipps, allerdings noch nicht mit negativen Zeilenabständen, die kleiner als die Schriftgrösse sind. Man kann das Inhaltsverzeichnis weder leicht lesen, noch kann man sich darin ordentlich orientieren, Hauptsache es mustert. Wir haben es ja nicht mit Lesern zu tun, sondern mit Betrachtern, die wollen schnelle Bildschnitte und Typomuster, orchestriert von typografischen Egomanen, die sich einen Deut um die dienende Rolle der Typografie scheren.
////Das Wochendendwetter ist geradezu genial angeteasert: schön, bewölkt, schön, schön steht in schrägen gelben Böxli auf den Kürzeln der Wochentage. Was will man mehr? Um die Wirkung des Inhaltsverzeichnisses zu verändern, muss man der Ursache auf den Grund gehen. Den Verleger entlassen oder den Schulleiter der Brutstätte solchen Frevlertums? Man kann den neuen Züritipp nicht mal abbestellen! Er liegt der Zeitung einfach bei.
////Die verarmende Reduktion auf Helvetica und Mittelachse ist im Schweizer Fernsehen anschaulich zu konstatieren. Von den hundert grössten Unternehmen der Schweiz benützen 90 nicht mehr als neun verschiedene Hausschriften, wetten? Helvetica, Arial, Frutiger, Times, Franklin Gothic, Futura, Garamond, Verdana, Gill: besser kann man sich eigentlich nicht mehr differenzieren. In der Arzneimittelwerbung ist der Abspann «Lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie …» zu 90% in Mittelachse gesetzt. Die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen: Helvetica, Mittelachse. Texteinblendungen in Werbespots sind zu 90% eingemittet, ebenso Untertitel. Bei 90% aller Plakate ist die Headline eingemittet. Man muss jetzt deswegen aber nichts überstürzen mit der typografischen Ursachenbekämpfung in der Ausbildung, lasst uns doch einfach die Zahl 90 ausschaffen, dann ist die Welt wieder im Lot.