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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Martin Spaar Zum Abschluss unseres Jubiläumsjahres wollten wir einen ganz speziellen Umschlag produzieren, dabei jedoch den Fokus für einmal anders setzen; nämlich nicht auf das Druckverfahren, sondern auf die Bindung. Statt mit einer Drahtheftung, wollten wir diese Ausgabe mit einer Klebebindung ausstatten.

Als Partner für dieses Projekt konnten wir die Buchbinderei Schlatter AG in Liebefeld gewinnen, die in diesem Bereich eine exklusive Spezialität anbietet: die Libretto-Bindung. Es handelt sich dabei um eine Klebebindung ohne den Nachteil der Klammerwirkung eines starr verleimten Rückens. Die hier vorliegende Zeitschrift zeigt es anschaulich: Sie liegt flach auf und lässt die Gestaltung einer Doppelseite auch mit Bildern, die über den Bund laufen, voll zur Geltung kommen.

Freier Rücken als Trumpf

Das Geheimnis dahinter ist der im Gegensatz zur normalen Broschurbindung freie Rücken. Dies wird durch einen Kaschiervorsatz erreicht, bei dem der Klebstoff am Rücken ausgespart bleibt. Der Buchbinder spricht hier von einer Faconkaschierung. Wir haben für den Kaschiervorsatz bewusst ein auffällig rotes Papier gewählt. So wird der Mechanismus dieser cleveren Bindung leichter erkennbar. Mehr technische Details finden Sie im Kasten auf der rechten Seite.

Die Libretto-Bindung ist eine patentierte Eigenentwicklung der Schlatter AG. Ausgangspunkt für die Entwicklung waren vor mehr als zwanzig Jahren die Bedürfnisse von Kunden, die mit den üblichen Broschüren und deren schlechtem Öffnungsverhalten nicht zufrieden waren. Gerade hochwertige Produkte wie Uhren- und Schmuckprospekte leiden unter der Klammerwirkung herkömmlicher Broschurbindungen. Diese entspricht nicht der sonst hochwertigen Produktion solcher Broschüren mit aufwändigen Produkteaufnahmen, welche in höchster Druckqualität auf edlem Papier reproduziert werden. So begann Adrian Krenger, Geschäftsführer der Buchbinderei Schlatter, intensiv nach einer Lösung zu suchen und tüftelte selbst in seinem Büro, bis sein AVOR-Chef Viktor Stöckli die zündende Idee mit der Faconkaschierung und dem freien Rücken hatte.

Diese Verbindung von Bodenständigkeit mit innovativem Tüftlergeist und Kreativität ist auch heute noch charakteristisch für die Schlatter AG. Davon kann man sich bei einem Rundgang durch den Betrieb leicht überzeugen. Da führt von der Handbuchbinderei, in der solides Handwerk mit schon fast historisch anmutenden Werkzeugen gepflegt wird, eine Tür direkt in die Produktionshalle mit modernster Infrastruktur für die industrielle Herstellung von Broschüren und Büchern.

Den Weltmarkt im Visier

Die Libretto-Bindung ist dabei ein Dauerbrenner in der Angebotspalette der Schlatter AG und sie soll künftig noch rationeller produziert werden. Adrian Krenger ist jetzt zusammen mit einem Maschinenbauer in der Endphase der Entwicklung einer für die Libretto-Produktion optimierten Faconkaschiermaschine. Diese soll einen Durchsatz von 4000 Exemplaren pro Stunde erreichen. Adrian Krenger will dabei auch die weltweite Vermarktung dieser Maschine ins Auge fassen, was der Libretto-Bindung zu einem Auftritt auf dem Weltmarkt verhelfen würde.

Die Herstellung einer Libretto-Bindung ist ausser dem Kaschiervorgang nicht aufwändiger als eine herkömmliche Broschurbindung. Beim vorliegenden Publisher ging die Produktion folgendermassen von statten: Als erster Schritt wurde der äussere Teil des Covers bei der Jordi AG in Belp auf einen Invercote-Karton mit einer Grammatur von 260 g/m2 gedruckt und an die Schlatter AG geliefert. Dort wurden die bedruckten Umschläge mit dem Kaschiervorsatz (Offset Rainbow intensiv rot 120 g/m2) unter Aussparung des Rückens zu einem Libretto-Umschlag zusammenkaschiert. Dies passierte noch mit der alten Faconkaschiermaschine. In der Zwischenzeit produzierte Jordi den Inhalt des Publishers und lieferte auch diesen bei Schlatter an. Dieser ging nun auf die Klebebindestrasse von Müller Martini, wo er mit Dispersionsklebstoff gebunden und in den vorbereiteten Libretto-Umschlag eingehängt wurde. Nach dem Trocknen kamen die Hefte unter den Dreischneider und anschliessend zur Spedition auf die Folierstrasse.

Knifflige Gestaltungsaufgabe

In der Regel demonstrieren wir mit unseren Covers ein spezielles Druck- oder Veredelungsverfahren; das Cover kann dann quasi für sich selbst sprechen, beispielsweise wie beim letzten Heft mit einer Gestaltung, welche den grossen Farbraum eines Digitaldrucksystems veranschaulicht. Das ging hier mit dem Fokus auf die Bindung natürlich nicht so einfach.

Christoph Blum von der Jordi Medienwerkstatt – unser Partner für die Gestaltung des Covers – stand also vor einer besonderen Herausforderung. Seine erste Idee war es, den Aspekt des flexiblen Rückens zu visualisieren. Das spezielle an der Libretto-Bindung ist ja, dass nichts eingeklemmt ist und sich der Inhalt auch im übertragenen Sinn frei entfalten kann. So hätte man das Cover mit einem Bild inszenieren können, bei dem Sand aus einem Badeferienprospekt rieselt, oder Musiknoten aus einem Opernführer hervorquellen.

Adrian Krenger von der Schlatter AG wünschte dann aber einen handfesteren Bezug zu den Vorteilen einer Libretto-Bindung und brachte zwei Muster der identischen Uhrenbroschüre mit ins Spiel; eine mit normaler Klebebindung, die andere mit Libretto. Also ein Muster, welches das Problem zeigt und eines, welches dessen Lösung veranschaulicht.

So entstand das Konzept, das Problem als Aufhänger auf die Frontseite zu nehmen und bei der Making-of-Story das gute Beispiel mit Libretto-Bindung zu zeigen. Die Frontgestaltung soll so etwas Rätselhaftes haben und eine gewisse Spannung erzeugen im Sinn von «was soll das mit der Broschüre und den Steinen?»

Für die Inszenierung der Broschüren sollte ein wertiges Umfeld gewählt werden, das zur teuren Uhr passt und gleichzeitig einen Bogen zur Natur schlägt in Hinblick auf unseren Schwerpunkt «Greenprinting». Das führte zur Idee, mit den urchigen Steinen (unsere Berner Partner sprechen hier kurz und prägnant vom Chempä) auf einem Holztisch mit markanter Maserung. Dies versprach eine Inszenierung, die auch visuell und stimmungsmässig etwas hergibt.

Die Umsetzung übernahmen Christoph Blums Kollegen der Jordi Medienwerkstatt. Das Foto realisierten Aline Cadonau (Grafikerin im 3. Lehrjahr) und Simon Heger (Polygraf) mit einer Canon EOS-1Ds Mark III. Für das Layout und die Bildbearbeitung zeichneten Cristina Jäggi (Grafikerin im 3. Lehrjahr), Ruben Ung (Polygraf), Michel Wirz (Grafiker) und Jürgen Schluchter (gelernter Photolithograf, Kundenbetreuer) verantwortlich.

Gemäss Christoph Blum hat sich diese projektbezogene Zusammenarbeit zwischen Grafikern und Polygrafen im Jordi Medienhaus in den letzten zwei Jahren sehr positiv entwickelt. Es kamen junge Leute ins Team dazu und die räumliche Nähe im Neubau in Belp gaben der so neu entstandenen Medienwerkstatt eine zusätzliche Dynamik.

Printzessin als Vorzeigestück

Ein schöne Referenz konnte diese Kreativabteilung in eigener Sache schaffen, nämlich mit dem Erscheinungsbild des Drucksachen-Webshops der Jordi AG. Dieser wurde unter dem Arbeitstitel easyprint entwickelt und Christoph Blum und sein Team sollten dafür eine eigentliche Marke kreieren. Das Team ging für einen halben Tag auf den Gurten in Klausur und kehrte mit dem Namensvorschlag Printzessin nach Belp zurück. Anfänglich war die Geschäftsleitung nicht so angetan davon und es galt, entsprechende Zweifel aus dem Weg zu räumen. Man lacierte im Web eine Umfrage zur Namensgebung für das Portal und dabei schwang die Printzessin eindeutig obenaus. Christoph Blum entwarf das Logo und liess sich dabei vom Stil japanischer Mangas inspirieren. Ausgehend davon wurde das Ganze Schritt für Schritt zur unverkennbaren Marke ausgebaut – von der märchenhaften Bilderwelt bis zur höfischen Sprache – und das crossmedial über alle Kanäle hinweg.

Dieser konzeptuelle Ansatz, mit stimmungsvollen Bildwelten zu arbeiten, zeichnet auch das Cover dieses Heftes aus – auch wenn es sich hier um ein kleines Projekt handelte, bei dem alles sehr schnell gehen musste. Das Schaffen eigener Welten und Kreaturen ist eine Leidenschaft, welcher Christoph Blum auch privat intensiv nachgeht. Er gestaltet Objekte mit rohen Werkstoffen wie Holz, Stein und Metall. Diesem Fundus verdanken wir auch die Steine auf unserem Umschlag. Diese stammen aus der Maggia im Tessin und konnten so wenigstens vorübergehend vor einer kreativen Umgestaltung «gerettet» werden.

Libretto-Bindung

Libretto ist eine so genannte Layflat-Broschur, welche garantiert, dass sich die damit gefertigten Broschüren leicht öffnen lassen und schön flachliegen. Erreicht wird das durch einen freien Rücken. Das heisst, der Kaschiervorsatz, welcher den Buchblock mit dem Deckel verbindet, hat am Rücken freies Spiel.

Libretto lässt sich sowohl in Klebebindung oder noch besser in Fadenheftung realisieren. Unterstützt wird das gute Öffnungsverhalten neben dem freien Rücken durch den Einsatz von speziell flexiblen Klebstoffen. Der steife Umschlag kann im Rücken frei wegschwingen und behindert dadurch den Öffnungsvorgang nicht. Der Umschlag einer Libretto-Bindung sollte eine Grammatur zwischen 200 und 300 g/m2 aufweisen, der Kaschiervorsatz zwischen 100 und 120 g/m2. Die Buchdicke sollte mindestens 3 mm betragen. Es können auch Umschläge mit Klappen kaschiert werden.

www.libretto.ch

Buchbinderei Schlatter AG

Die Buchbinderei Schlatter AG in Liebefeld bei Bern versteht sich als ein modernes, innovatives und kundenorientiertes Unternehmen mit Familientradition. Adrian Krenger führt die Firma seit über zwanzig Jahren in der dritten Generation. Das Angebot reicht von der traditionellen Handbuchbinderei bis zur industriellen Ausrüstung von Büchern, Broschüren und Zeitschriften mit modernster Infrastruktur. Die jüngste Anschaffung ist eine Folierstrasse vom Typ Neo-X des deutschen Maschinenbauers Hugo Beck. Damit werden vor allem Zeitschriften mit Beilagen ausgestattet, foliert und adressiert.

Buchbinderei Schlatter AG, 3097 Bern/Liebefeld, Tel. 031 979 55 55www.schlatter-bb.ch

Produktionspartner

Bei der Produktion des Covers dieser Ausgabe des PUBLISHER unterstützten uns folgende Partner, bei denen wir uns herzlich bedanken:

Jordi AG – das MedienhausGestalterisches Konzept und Realisation des Umschlags durch die Jordi Medienwerkstatt.Projektleitung: Christoph Blum

Druck Umschlag und Heftinhalt durch die Jordi AG.Projektleitung: Jürgen Schluchterwww.jordibelp.ch

Schlatter AGAusrüstung mit Libretto-Klebebindung. Projektleitung: Adrian Krengerwww.schlatter-bb.chwww.libretto.ch