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Alternative Vektorgrafikprogramme

Vektorgrafik

Viele – und neue – Wege führen zu schönen Kurven

Adobe Illustrator, Macromedia Freehand und CorelDraw sind nicht die allein selig machenden Vektorgrafikprogramme. Es gibt günstige und sogar kostenlose Werkzeuge für Illustrationen, Diagramme oder technische Zeichnungen.

MATTHIAS SCHÜSSLER Die Welt der Vektorgrafik ist wohl geordnet und beherbergt mit Illustrator, Freehand und CorelDraw drei erprobte Werkzeuge. Mit diesen drei Programmen lässt sich quasi «alles» machen. Sowohl Gelegenheitsanwender wie Dauernutzer finden für ihre Arbeit alle nötigen Befehle, und ob man das eine, das andere oder das dritte Programm bevorzugt, ist eine Frage der Vorliebe und hängt davon ab, bei welchem der drei Produkte man mit seiner Arbeit am besten vorankommt.

Kostenlose Konkurrenz

Es gibt also – eigentlich – keinen Grund, sich mit neuen Vektorgrafikprogrammen zu beschäftigen. Trotzdem sind in der letzten Zeit einige neue Vektorgrafikprogramme auf dem Markt erschienen. Zum einen sind mit Sodipodi und Inkscape zwei kostenlose Programme aus der Open-Source-Szene am Anrollen. Zum anderen tut sich auch bei den kommerziellen Anbietern Neues. Microsoft ist mit keinem geringeren Ziel beschäftigt, als den Unterschied zwischen Vektor und Bitmap zum Verschwinden zu bringen. Der Softwarekonzern arbeitet an einem Produkt namens Acrylic. Microsoft hat 2003 die Softwareschmiede Creature House und deren Produkt Expression übernommen. Bei diesem handelt es sich um ein Vektorgrafikprogramm mit vielen Echtzeit-3-D-Effekten wie Beleuchtung, fransligen Rändern und Comic-Linien. Gates' Entwickler sind nun dabei, aus Expression ein Allround-Grafikprogramm zu entwickeln, das mit Vektorgrafik gleichermassen umgehen kann wie mit Bitmaps – «Vector? Bitmap? It doesn't care» heisst das bei Microsoft.

Während es still wird um die alte Garde der Vektorhaudegen, schleicht sich eine neue Generation an Illustrationsprogrammen an den Start. Die Antriebsfeder der Entwickler von Sodipodi und Inkscape ist klar – wer auf freie Software setzt und mit dem Betriebssystem Linux arbeitet, musste bislang auf Vektorgrafik verzichten, sofern er auch für ein Vektorgrafikprogramm nichts bezahlen wollte. Mit den beiden kostenlosen Neulingen ist das nun nicht länger der Fall.

Auch SVG ist ein fruchtbarer Dünger für neue Vektorgrafikprogramme. Das Scalable-Vector-Graphics-Format ist ein offener (nicht proprietärer) Standard für zweidimensionale Vektorgrafiken. Das World Wide Web Consortium (W3C) steht seit 2001 hinter SVG, und man darf damit rechnen, dass die Browser der nächsten Generation SVG ohne Extra-Plug-in anzeigen können (Firefox und Opera beherrschen SVG schon, Internet Explorer benötigt den SVG-Viewer von Adobe). Das skalierbare Vektorformat hat gute Chancen, in näherer Zukunft Webseiten mit schlanken Grafiken, Illustrationen und Animationen verschönern zu können. Das SVG-Format kann im Unterschied zu EPS oder AI Objekte auch animieren.

Im Moment ist es ruhig um SVG, doch das dürfte sich ändern, sobald die Browser auf breiter Front mit dem neuen Format umgehen können und die Webdesigner auf den Geschmack kommen. An Werkzeugen herrscht längst kein Mangel mehr. Nebst Sodipodi und Inkscape gibt es auch kommerzielle Lösungen wie XStudio6 von Evolgrafix. Und natürlich beherrschen auch Illustrator und CorelDraw den Export zu SVG.

Zwanzig Jahre Vorsprung der Platzhirsche

Bezüglich Features und Funktionen hinken die Vektorneulinge bislang hinterher. Das ist kein Wunder. Aldus Freehand 1 erschien 1988, CorelDraw 1 1989, Illustrator sogar schon 1985 – gegen solch geschichtsträchtige Vektorerfahrung ist schwer anzukommen. Das ist aber nicht a priori ein Nachteil. Für die vielen Gelegenheitsanwender bieten die etablierten Vektorwerkzeuge oft zu viel des Guten. In der langen Zeit der Evolution hat mitunter die Bedienbarkeit und Übersicht gelitten – ganz zu schweigen von der Arbeitsgeschwindigkeit. Neue, von Grund auf frisch entwickelte Programme können sich auf die zentralen und wichtigen Werkzeuge konzentrieren, sich die besten Konzepte der altbewährten Vektorprogramme aneignen und sie über eine durchdachte und einleuchtende Benutzeroberfläche zugänglich machen.

Bislang spielen Sodipodi und Co. diese Stärken aber nur bedingt aus. Als Open-Source-Programme stammen sie aus der Linux- bzw. Unix-Welt, und dort ist es oft noch schlechter um die Benutzerfreundlichkeit bestellt als bei den Programmen für Windows. Durch die Portierung leidet oft auch die Geschwindigkeit: Sodipodi hat zwar interessante Funktionen, ist aber sowohl bei der Geschwindigkeit wie auch bei der Bedienbarkeit kein Vorbild. Ähnlichkeiten zu dem Bildbearbeitungsprogramm Gimp (siehe Publisher 3-2004 ab Seite 47) sind, vor allem was die eher ungewohnte Bedienung angeht, nicht zufällig. So kommt es, dass unter dem Namen Inkscape eine so genannte Fork (Abspaltung) von Sodipodi erhältlich ist, die mit einer einfacheren Benutzeroberfläche aufwarten will.

Bedienung unzureichend

Inkscape wird diesem Anspruch teilweise gerecht: Die Bedienung ist stringent und einleuchtend und einfacher als bei Sodipodi, wo die Werkzeugpaletten als frei schwebende Fenster konzipiert sind und darum immer mal wieder verloren gehen. Der Look des Programms kann aber auch mit viel Wohlwollen nur als dröge bezeichnet werden. Wie bei anderen Open-Source-Programmen kann man sich bei Ink­scape des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Entwickler regelrecht gegen ein ansprechendes Screendesign sträuben. Mit dem kargen Look aus der Unix-Welt ist auf dem Mac kein Staat zu machen, und auch Windows-Anwender sind sich Programme gewohnt, die schöner anzuschauen sind – aber da Inkscape und Sodipodi noch nicht zu Ende entwickelt sind, darf man auf eine ansprechendere Optik hoffen.

Wer es bei der Mission Vektorgrafik noch für verfrüht hält, mit den Vertretern der Open-Source anzubandeln, und trotzdem als Gelegenheitsanwender keinen Bedarf für eine teure Software wie Freehand oder Illustrator hat, der sollte einen Blick auf ZonerDraw werfen. Die Version 3 von ZonerDraw gibt es als kostenlosen Download (auch auf www.publisher.ch), und die aktuelle Version 5 ist online um 50 USD (ca. 63 Franken) zu haben. Für Version 4 zahlt man bei www.arctis.ch oder tradeup.ch übrigens schlappe 20 Franken.

Impulse von Microsoft

Auch wenn Microsoft selten als innovative Kraft in Erscheinung tritt und die viel versprechenden Konzepte in Acrylic durch den Aufkauf von Creature House in Microsofts Besitz gelangten – im Bereich der Vektorgrafik kommen die besten Impulse zurzeit aus Redmond. Das müsste dem Platzhirsch zu denken geben. Während Adobe bei Illustrator Detailpflege betreibt, verschmilzt Microsoft mit mutig-dreister Nonchalance Vektor- und Pixelbearbeitung zu einem einzigen Produkt. Acrylic hat das Potenzial, vom Fleck weg zum Liebling der kreativen Gestalter und zum Bildbearbeitungsprogramm der nächsten Generation zu werden.

[Kasten:] Sodipodi und Inkscape: mehr sein als scheinen

Sodipodi und seine Inkarnation Inkscape sind so kostenlos wie der berühmte geschenkte Gaul und kommen trotzdem ohne Pferdefuss aus. Was den Funktionsumfang anbelangt, sind Sodipodi und Ink­scape mit soliden Basiswerkzeugen ausgestattet. Über das Werkzeug zum Auswählen lassen sich die Vektorobjekte verschieben und in die Länge oder Breite ziehen. Ohne Dialogfeld oder Leiste stellt man bei Rechtecken die Rundung der Ecken ein und macht aus einem vollen Kreis einen segmentierten. Auch Skalieren, Drehen, Schneiden und Spiegeln ist direkt mit dem Auswahlwerkzeug möglich. Grundsätzlich löst man in Sodipodi viele Aufgaben per Maus. Beispielsweise die Verläufe: Mit dem Farbverlaufs­tool platzierte Füllungen zeigen Anfasser, mit deren Hilfe die Ausrichtung und die Abstufung des Verlaufs wunschgemäss eingestellt werden können. Sodipodi und Inkscape können mit Transparenz umgehen, bieten eine Reihe von Verschmelzungs- und Kombinierungsmöglichkeiten für Objekte (bei Illustrator kennt man diese Funktionen als «Pathfinder»), sind in der Lage, Objekte zu gruppieren und Bitmap-Objekte in Vektoren umzuwandeln (zu tracen). Als Füllmuster kommen nicht nur flächige Farben oder lineare bzw. radiale Verläufe in Frage, sondern auch Vektorfüllmuster, die sich über den Befehl «Bearbeiten > In Füllmuster umwandeln» einfach aus einem bestehenden Objekt kreieren lassen.

Für Objekte gibt es die Möglichkeit des Klonens: Das geklonte Objekt bleibt an sein Muster gekoppelt und macht Modifikationen, die diesem angedeihen, ebenfalls mit. Über die Palette «Anordnen und Abstände angleichen» verteilt man seine Objekte und richtet sie aus. Diese Palette funktioniert ähnlich wie ihre Pendants aus Illustrator oder InDesign, kann Objekte aber zusätzlich auch «Entklumpen» (die Zwischenabstände werden angeglichen) oder zufällig verteilen.

Die beiden Programme speichern Dokumente natürlich im Format SVG, verstehen sich aber auch auf den EPS-Export. Zusätzlich findet man im Speicherdialog auch das Latex-Format und kann Elemente für die freie Rendering-Software PovRay ausgeben.

Inkscape und Sodipodi eignen sich bestens für den gelegentlichen Gebrauch. Wie es mit den Programmen weitergeht, ist offen – als zentrales Produktionsmittel ist die Software nicht geeignet.

Acrylic: Microsofts neuer Wind in der Vektorwelt

Microsoft traut man im Bereich der Grafikbearbeitung per se nicht viel zu; die in Windows eingebauten Bildbearbeitungstools verdienen allesamt das Prädikat «dürftig bis unbrauchbar». Mit Acrylic hat der Softwareriese jetzt aber ein viel versprechendes Programm am Start. Die Oberfläche ist aufgeräumt und erinnert aufgrund der vielen Paletten an Adobe-Programme. Wie in Photoshop Elements gibt eine «Hint»-Palette Erläuterungen zu gewählten Werkzeugen zum Besten.

Eine Besonderheit ist die Verheiratung von Vektoren und Pixeln. Richtet man eine neue Ebene ein, darf man zwischen «Pixel Layer» und «Vector Layer» wählen. Je nach Wahl ändern sich die Utensilien in der Werkzeugpalette; wobei bislang die Tools für die Vektorbearbeitung deutlich umfangreicher ausgefallen sind. Es gibt diverse Pinsel, die unterschiedliche Malwerzeuge und -materialien simulieren. Praktisch auch das Zeichentool B-Spline: Damit zeichnet man Geraden, an die Acrylic dann Vektorkurven anschmiegt – so kann man sanfte Kurvenverläufe präzise konstruieren. Auch das Drehen und Schneiden von Objekten funktioniert simpel: Microsoft hat sich ganz offensichtlich viele Gedanken zu der Bedienerführung gemacht und dabei ein unaufdringliches, aber funktionales Programm geschaffen.

Acrylic bringt einige der leistungsfähigen Konzepte aus der pixelbezogenen Bildbearbeitung in die Welt der Vektoren. Beispielsweise die verschiedenen Überblendmodi für Objekte. Setzt man diesen auf «Eraser» und legt zwei Objekte übereinander, dann dient das obere als Stanzform, die Partien aus dem unteren herauslöscht. Weitere Überblendmodi mischen Objekte additiv oder subtraktiv oder ermitteln die farbliche Differenz. Color Dodge hellt die Farbe des darunterliegenden Objekts auf, und Color Burn brennt die Farbe im darunterliegenden Objekts ein.

Für die Kontur einer Linie hält Acrylic nebst dem Verlauf auch die Option «Skeletal» bereit, die komplexe Strukturen entlang eines Pfades aufträgt.

Ein Highlight sind auch die Ebeneneffekte, wie man sie aus Photoshop kennt. In sieben Kategorien gibt es gut fünfzig Effekte. Mit ihrer Hilfe steuert man Farbe und Kontrast, stattet die Elemente einer Ebene mit einem Glühen oder Schlagschatten aus, bringt Oberflächeneffekte wie Wellen oder Prägung ein oder simuliert Papier oder Fotokorn.

Zoner Draw: für die simple Grafik zwischendurch

Die Macher von Zoner Draw kennen CorelDraw, das zeigt sich nicht nur daran, wie das Programmfenster organisiert ist, sondern auch an der Ausgestaltung vieler Dialogboxen. Die Entwickler haben sich aber das richtige Vorbild gesucht: Die Kanadier haben in Sachen Benutzerfreundlichkeit hervorragende Arbeit geleistet (es allerdings auch immer wieder fertig gebracht, die Übersichtlichkeit ihrer Software mit immer neuen Funktionen zunichte zu machen) und entsprechend simpel ist Zoner Draw in der Bedienung.

Der Funktionsumfang bei der kostenlosen Version 3 ist auf das absolut Nötigste beschränkt, aber für einfache Infografiken oder Illustrationen ausreichend. Immerhin beherrscht das Programm auch Transparenz und kann mit mehreren Ebenen umgehen. Ein Nachteil sind die mangelnden Exportoptionen; einzig WMF steht als Vektorformat zur Verfügung. Exportiert man via den generischen Postscript-Treiber von Adobe, kommt man immerhin zu soliden EPS- oder PDF-Dateien. Die Version 3 ist wie erwähnt gratis im Publisher-Downloadbereich verfügbar, wer die Software benützen will, muss sich registrieren lassen.

Die Version 5 von Zoner Draw ist für die wichtigsten Formate offen. Auch diese Version eignet sich eher für Anwender, die eine aufgeräumte Oberfläche einer unübersichtlichen Funktionsvielfalt vorziehen. Zoner Draw 5 bietet ein Tutorial, kann mit der Funktion «Neu nach Assistent» massgeschneiderte Kalender drucken, und wartet im Fenster «Galerie > Logische Operatoren» mit einer Pathfinder-Funktion auf. An sich gelungen ist die Idee für fraktale Füllmuster – da sich aber nur wenig einstellen lässt, sind die Einsatzmöglichkeiten beschränkt.