Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Dossiers >> Design&Praxis >> Fachartikel >> Das Portfolio-Zeugnis

Das Portfolio-Zeugnis

Personalverantwortliche und Arbeitgeber interessieren sich nicht nur für Arbeitszeugnisse und Zertifikate. In der Kreativbranche sagen schöne Portfolios mehr als schöne Worte.

RALF TURTSCHI Ob nach der Grundbildung, nach einer Weiterbildung oder bei einem Stellenwechsel, immer sind neben Arbeitszeugnissen auch konkrete Leistungsausweise gefragt. Normalerweise reisen Kreative mit überdimensionalen schwarzen Mappen an, die mit einem Reissverschluss geöffnet werden und auf Pappe aufgeklebte Arbeiten entblössen: Anzeigen, Kampagnen, Magazine, Verpackungsdesigns, Logos, Briefschaften, Beschriftungen und so weiter. Sie dokumentieren so ihre Fähigkeiten und runden das Gesamtbild ab.

Es geht aber auch anders, seit es die Möglichkeit gibt, digitale Fotobücher über den PDF-Workflow herzustellen. Eine Arbeitsdokumentation kann heute bequem zwischen zwei handliche Buchdeckel gebunden werden. Der Eindruck ist für einen Betrachter erst noch verblüffender als bei einer grossen Sammelmappe, denn wer kommt schon mit einem Buch zum Vorstellungsgespräch? Ein Fotobuch ersetzt heute vollumfänglich das von früher her bekannte Arbeitstagebuch, welches in der Lehrzeit sogar als Dokumentation vorgeschrieben ist.

Im vorgestellen Beispiel handelt es sich um das Arbeitsbuch eines lernenden Polygrafen, Fachrichtung Mediengestaltung, im 1. Bildungsjahr. Polygrafen in Zürich verbringen das erste Bildungsjahr in der Berufsschule, gerade mal sieben Wochen sind sie im Betrieb. Wenn diese Zeit gut genutzt wird, sind erstaunliche Lernfortschritte möglich, die im «digitalen Arbeitstagebuch» festgehalten werden. Indem die Lernenden ihre Erlebnisse schildern, werden sie als Autoren motiviert, ihre Sprachkenntnisse zu festigen und keine eigenen Fehler zu machen. Ziel der «Übung» ist es, in jedem Bildungsjahr ein gleichartiges Arbeitsbuch zu gestalten und drucken zu lassen. Am Ende der Lehrzeit steht dann eine Buchreihe von vier Bänden zur Verfügung, die die Ausbildung und das kreative Entwicklungspotenzial dokumentieren und die dazu dienen, einem späteren Arbeitgeber oder einer weiterführenden Schule als Eintrittsticket zu dienen.

Aus Gründen des Handlings wird ein Fotobuch im Querformat A4 vorgeschlagen, die einzelnen Seiten sind einzeln auf einem Bürodrucker oder -Kopierer zu vervielfältigen, man kann sie bequem mitnehmen oder gar aufs iPad portieren. Es kann eine InDesign-Gestaltungsvorlage vorbereitet werden, welche auf das Corporate Design des Arbeitgebers eingeht. Das Entwickeln eines Satzspiegels im ersten Lehrjahr würde zudem die Lernenden wohl etwas überfordern. Jedoch Bilder und Texte in einem bestehenden Satzspiegel importieren, neue Seiten anlegen und ausdrucken, das kann erwartet werden. Ein Portfolio ist eine länger dauernde Projektarbeit, die ausserdem Durchhaltewillen und Zielstrebigkeit fördert.

Die Gestaltungsvorlage

Das Buch wird über den PDF-Workflow bei Bookfactory, Mönchaltorf, gefertigt. Auf der Website www.pdf-to-book ist alles notwendige Wissen zusammengefasst. Grundsätzlich kön­nen beliebige Formate hergestellt werden (unter «Selection»). Die unter «Collection» verfügbaren Formate sind jedoch günstiger als Sonderanfertigungen. Wer grössere Arbeiten aufzeigen will, wie zum Beispiel eine ganze A4-Seite, der muss zwangsläufig eine grössere InDesign-Datei aufbereiten. Die Abbildung im Masstab 1:1 bringt den Vorteil, dass man auf Dinge wie Leserlichkeit hinweisen kann. Wenn es aber um Kreativität und Gestaltung allgemein geht, ist das Buchformat A4 ausreichend gross, dafür ist es entschieden handlicher als A3.

Der Satzspiegel soll so angelegt werden, dass er alle möglichen Abbildungsproportionen aufnehmen kann. Er ist nicht so wichtig, wie bei einem Magazin, weil das Portfolio vor allem von den Abbildungen lebt und weniger vom Text, der in den Spalten gefangen wird. Eine gewisse Struktur und Ordnung ist jedoch zwingend nötig, im Beispiel ist eine Schulterhöhe sichtbar, Pagina und Rubriktitel, es ist eine Grundschrift (in 8 pt Regular) und die Auszeichnungsschrift (8 pt Bold) vorgegeben, sowie eine Schrift für die Bildlegenden (6 pt Regular).

Umschlaggestaltung

Der Bucheinband ist im Standardformat A4 hoch als Softcover oder als Hardcover zu haben. Leider ist beim Querformat diese Wahl nicht gegeben, das hier gewählte Format A4 Landscape ist nur mit Hardcover erhältlich. Der Buchdeckel ist für einen A4-Buchblock natürlich etwas grösser. Die passenden InDesign-Vorlagen sind fixfertig auf der Website unter «Dateivorlagen» zum Download aufbereitet, inklusive Beschnitt. Das Dokumentformat für den Hardcover-Umschlag beträgt 645  245 mm, ringsum werden 15 mm Beschnitt als Einschlag verlangt. Man muss nur noch die bestehende InDesign-Vorlage mit Bildern und Text bestücken. Für die Dicke des Buchrückens gibt man unter «Preis- und Rückenkalkulator» die Papiersorte und die Seitenzahl ein, um sich die Rückenbreite ausrechnen zu lassen. Bei 48 Seiten und 170-Gramm-Papier wird sie mit 8 mm angegeben. Diese Breite muss im Umschlag-Template angepasst werden.

Für die PDF-Erzeugung gibt es ein klei-nes gut verständliches Manual, welchesals PDF unter «Technische Grundlagen» angeboten wird. Nun kanns losgehen.

Was sagen?

Die erste Hürde, die sich stellt, ist das abzubildende Thema. Es ist ein himmelweiter Unterschied, etwas zu gestalten und jemandem zu erzählen, wie man dazu gekommen ist. Natürlich kann man einfach gestaltete Produkte abbilden, sozusagen PDFs hineinstellen. Das Interessante ist jedoch, einen Making-of-Beschrieb nachzuliefern und die Arbeit für Betrachter zugänglich zu machen. Oder eigene Lernfortschritte zu dokumentieren, um sie durch das Beschreiben endgültig zu speichern. Dabei stellt sich das Schreiben für Lernende nicht als einfach heraus: Soll das Buch in Ich-Form abgefasst werden, in der Vergangenheitsform berichten oder in der Gegenwart? Solche grammatikalischen und stilistischen Dinge sollten auf der Seite 1 und der Seite 48 genau gleich gehandhabt werden. Aber schreibt ein 16-Jähriger gleich, wie er es vier Lehrjahre später kann? Aber Pioniergeist ist hier eindeutig wichtiger als Perfektionismus – schliesslich ist auch der Berufsbildner kein Lektor.

Lerneffekt

Bemerkenswert ist in der Rückschau, was ein Lehrling in nur sieben Wochen betrieblicher Anwesenheit in der Lage ist, zu schaffen, wie Gestaltungsdrang, richtig gebändigt und kanalisiert, zu erstaunlichen Resultaten führen kann. Im Fotobuch-Portfolio werden die Eindrücke verarbeitet und festgehalten, wer weiss, in vier Jahren mit einem gefestigten Lächeln neu betrachtet. Mit dem Fotobuch können fast beliebig viele Lernthemen auf motivierende Art «erschlagen» werden. Vom gepflegten Flattersatz über die Bildinszenierung auf der Doppelseite bis hin zur Digitaldrucktechnik, zur Bindetechnik oder zu Schnitttoleranzen. Alles ist «am eigenen Leib» zu erfahren. Das Fotobuch-Portfolio ist hochmotivierend, denn was gibt es Schöneres, als ein erstes eigenes Buch in den Händen zu halten, bei dem jeder Buchstabe, jedes Bild, eine Geschichte erzählt?