Crossmediales BuchprojektZeichen setzen!
Ralf Turtschi Eigentlich ist es unüblich, dass der Autor über sein eigenes Produkt berichtet. Gestatten Sie mir, liebe Leserinnen und Leser, die Ausnahme – ich bemühe mich, sachlich über ein Projekt zu berichten, welches mich seit längerem beschäftigt. Es geht um ein Buch mit Fachwissen rund um das Thema Mikrotypografie und Zeichensetzung. Das ursprüngliche Buchprojekt befindet sich heute, wie ich diesen Beitrag schreibe, sozusagen auf der Zielgeraden – es ist dem Korsett komplett entwachsen, das ich einmal im Kopf hatte.
Vor zwei Jahren wurde ich von Martin Spaar und Urs Frei fast dazu gedrängt, einmal etwas zum Thema Sonderzeichen und Mikrotypografie zu veröffentlichen, das Thema sei doch etwas vernachlässigt, dabei so wichtig. Ich hatte meine Zweifel, wenn es um diesen typografischen «Kleinkram» ging, ist das denn heute noch gefragt? Anderseits erhalte ich gelegentlich Hilferufe, ob es denn da einen kleinen Abstand habe oder nicht – offenbar gibt es richtig und falsch und Leute, die es richtig machen wollen oder wenigstens nicht falsch.
Unter Mikrotypografie wird hier die Lehre von den Satz-, Begriffs-, und Hilfszeichen und deren Abstände zu den benachbarten Zeichen verstanden. Es geht um Malzeichen, Pluszeichen, Bindestrich, Streckenstrich, Bis-Strich, Sternchen, Et-Zeichen, At-Zeichen und andere Zeichen, halt, was es ausserhalb von Buchstaben und Ziffern auch noch gibt.
Als der Entschluss einmal gefasst war, setzte ich all diese Zeichen auf meinen optischen «Radar». Es entstanden über 1000 Fotos von Plakaten, Strassenschildern, Schaufenstern, Zeitungsausschnitten, Anzeigen, Beschriftungen usw., alle nebenbei fotografiert und geordnet. Es ist keine Katastrophe, eher bemerkenswert, wie viele Fehler im öffentlichen Raum stehen. Kümmert sich denn niemand mehr um die Zeichensetzung? Oder hört diese dort auf, wo im Duden wenig darüber geschrieben steht? Tatsächlich hält sich der Duden bezüglich dieser Sonderzeichen und ihrer Abstände etwas bedeckt. Weit mehr und nützliche Informationen findet man im Heuer («Richtiges Deutsch»). Allerdings braucht es dazu schon ein gewisses Sprachverständnis. Man findet zudem Informationen im Internet, zum Beispiel in Wikipedia. Teilweise kann man den Quellen nicht richtig trauen, oder dann gibt es länderspezifische Usanzen, die die Schweiz von Deutschland und Österreich unterscheiden.
Das «Büchlein» mit dem gesammelten Wissen sollte anfänglich das Zwillingsprodukt zu «Regeln für das Computerschreiben» werden, welches der Verlag SKV seit 20 Jahren erfolgreich herausgibt. Klein und handlich sollte es sein, mit einem überschaubaren Umfang.
Wie es so läuft, sind es dann plötzlich mehr als geplante 140 Seiten. Das Buch «Zeichen setzen!» umfasst heute 248 Seiten, es ist in fünf Kapitel gegliedert. Im Hauptteil werden 44 Sonderzeichen ausführlich in vielen Beispielen und typografischen Details beschrieben, allein die Anführungszeichen beanspruchen 14 Seiten. Wie das, werden Sie sich fragen, kann man darüber 14 Seiten schreiben? Ja, man kann, wenn man genügend in die Tiefe geht. Jedes Zeichen ist mit Unicode und der entsprechenden Tastaturbelegung für Windows und Mac gekennzeichnet. In drei Unterkapiteln wird beschrieben, in welchen Fällen man das Zeichen einsetzt, es gibt typografische Details wie die Abstände, die vor und nach dem Zeichen gesetzt werden, und zwar im Officebereich und in der Typografie. Zuletzt wird das Aussehen des einzelnen Zeichens mit Beispielen illustriert, um auch auf die Qualität von Schriften hinzuweisen.
Die 103 Seiten über Sonderzeichen in kompakter und detaillierter Form sind als illustratives Nachschlagewerk gedacht, in dem man eine schnelle Antwort auf seine praktischen Fragen bekommt.
Das dritte Kapitel gibt Auskunft über ganz praktische Probleme im Zusammenhang mit Masseinheiten, Währungen, der Gliederung von Zahlen, Daten, Uhrzeiten, mit OpenType-Funktionen, Ligaturen usw. Es finden sich Hinweise, wie Verpackungsangaben oder Stellenanzeigen zu schreiben sind oder welche Stolpersteine im Wohnungs- und Immobilienmarkt liegen.
Im Kapitel vier sind die wichtigsten Schreibweisen von Sonderzeichen in den Sprachen Englisch, Französisch und Italienisch erwähnt; im Kapitel fünf geht es um technische Aspekte, da wird aufgezeigt, wie man (Mac und Windows) die Tastaturbelegung einstellt, Fonts installiert oder wie Unicode funktioniert.
Das Buch richtet sich an alle, die eine Tastatur vor sich haben und die etwas richtig schreiben möchten. «Zeichen setzen!» ist infolgedessen kein Buch ausschliesslich für Desktop Publisher, Polygrafinnen und Mediamatiker. Der Gemeindeschreiber wird damit genauso angesprochen wie die kaufmännische Angestellte, der Werbetexter, Marketingfachleute oder Lehrerinnen. Eine weitere Besonderheit des Werkes ist der schweizerische Bezug. Tastaturbelegungen in Deutschland/Österreich und der Schweiz sind verschieden, die Beispiele sind schweizerischen Ursprungs, wir verwenden kein scharfes s (Esszett, ß) und Schweizer Franken statt Euro. Das Buch wird deswegen als Schweizer Ausgabe bezeichnet, die im Dezember 2013 erscheint. Die Ausgabe für Deutschland/Österreich ist für Ende 2014 vorgesehen, dafür werden noch Fachleute gesucht, die das Werk «eindeutschen» helfen und ein Teil des Crossmedia-Projektes werden möchten. Denn auch die App wird es als deutsche und Schweizer Version geben.
Im Mai 2013 war das Buch mit 220 Seiten soweit fertig, dass Mikro+Repro AG, Baden, im Rahmen meines Vortrages über die Zeichensetzung ein paar Bücher mit gekürztem Inhalt fertigte und als «Hand-out» an die Zuschauer abgab. Das war sozusagen die Buchtaufe!
Inzwischen ist «Zeichen setzen!» 248 Seiten stark. Das Werk wurde von Rotstift AG, Bern und Basel, lektoriert und Korrektur gelesen. Eine Riesenarbeit, die drei Durchgänge erforderte, bis der letzte geschützte Leerschlag am richtigen Ort sass. Das Buch bildet nicht die Meinung des Autors ab, sondern repräsentiert den Status quo der Zeichensetzung in der Schweiz, natürlich mit dem selbstbewussten Anspruch einer normativen Kraft. Ob diese hohen Ansprüche dem Markt genügen, wird sich weisen.
Crossmedia und App
Erste ermunternde Reaktionen folgten, aber noch immer war das Thema Crossmedia weit weg. René Theiler von publishingNetwork war es dann, der den entscheidenden Anstoss gab. Er brachte mich im August mit Toni Kaufmann von n3xd software studios ag, Luzern, zusammen, der schon die App «Alpenblumen Finder» programmierte. Toni war mehr als angetan vom Thema – per Handschlag haben wir das Crosssmedia-Projekt begründet, ohne Papier, Vertrag und Rechtsvertreter. Allein im Vertrauen zwischen zwei Kleinunternehmern mit einem guten Bauchgefühl und dem Esprit für die Sache.
Toni hat anschliessend ein Konzept geschrieben mit den interaktiven Inhalten der App, die vom Medium her etwas ganz anderes ist als ein Buch. Die App kann Community erzeugen, mit der App kann man das Thema spielerisch angehen, man kann Bilder einsetzen oder die Benutzer bitten, Bilder hochzuladen und auf Facebook oder der Website zu kommentieren. Die App hält ein Quiz mit zurzeit 104 Multiple-Choice-Fragen zum Thema bereit.
«Machen wir eine App!», das hört sich irgendwie putzig an, entpuppt sich aber bei näherer Zuwendung als Monster. Das Schlagwort «medienneutrale Datenbank» war in meinem Fall eine Worthülse. Im Buch kann nicht mit Bildern gearbeitet werden, in der App ein Muss. Im Buch kommt kein interaktives Quiz vor, in der App eine Attraktivität. Mit anderen Worten: Es mussten für die App vom Buch ziemlich abweichende Inhalte hergestellt werden, die wiederum bis ins Detail verfasst und von Rotstift AG Korrektur gelesen werden mussten.
Eine App in diesem Umfang zu programmieren und Texte und Bilder aufzubereiten, bedeutet einen erheblichen Aufwand. Im Moment wird die App für iPhone 4 und 5 aufbereitet. Ob später eine Android-Version nachgeschoben wird, hängt vom Erfolg, sprich den Downloads, ab. Der zusätzliche Programmieraufwand für eine Android-App wird auf Faktor 0,6 des Aufwandes geschätzt, der für eine Apple-App geleistet werden muss. Die Frage ist also berechtigt, ob der Aufwand etappiert werden kann, der für die unterschiedlichen Devices und Bildschirmauflösungen ansteht. Die App funktioniert auch auf iPad, allerdings ohne auf das spezielle Format Rücksicht zu nehmen.
Eine andere Frage ist die, ob die App gratis sein oder etwas kosten soll. Toni Kaufmann meint, dass kostenpflichtige Apps etwa achtmal weniger Downloads erzielen als Gratis-Apps. Im Marketing-Mix erfüllt die App eine wichtige Türöffnerfunktion zum Thema. Sie ist Bindeglied zwischen Autor und Community und wird deswegen gratis zur Verfügung gestellt.
PDF-Version des Buches auf dem iPad
Das dritte Crossmedia-Standbein besteht aus einer PDF-basierten Tablet-Version, die im Publisher-Kiosk für 38 Franken erhältlich ist. Diese Version ist im Gegensatz zur App nicht verkürzt, sie bildet den ganzen Inhalt des Buches ab. Auch hier wird aus technischen und monetären Gründen vorläufig nur die Apple-Schiene bedient. Die Version bietet den Vorteil, dass nach Stichworten im Werk gesucht werden kann. Suchen Sie im Apple App Store nach «Publisher Kiosk» oder benützen Sie den QR-Code. Diese App können Sie gratis herunterladen. Im Publisher-Kiosk sind verschiedene Publikationen zu kaufen, «TypoTuning» oder eben «Zeichen setzen!».
Lehrmittel
Zurzeit wird ernsthaft geprüft, ob mit dem Thema Zeichen setzen ein interaktives Lehrmittel für Tablets möglich wäre. Das Buchformat ist ein Nachschlagewerk, kein Lehrmittel. Und die App hat nicht den Anspruch, auf die Komplexität der Sprache einzugehen, sie ist auch nicht vollständig. Die App ist ein «Amuse-bouche», um für das Thema zu sensibilisieren. Im Lehrmittelbereich wird es sicher in der VSD-Lern-Werkstatt zwei Beiträge geben, welche praktische Übungsbeispiele zur Mikrotypografie sowie die Programmierung von Apps für Lernende beinhalten.
Crossmedia und verlegerische Aspekte
Wer ein Buch schreiben will, wurde damit bis anhin bei einem Verleger vorstellig, es kam zu einem Verlagsvertrag, der die Herstellung und den Vetrieb mit einem Autorenhonorar vergütete. Der Verlag besitzt in der Regel ein umfassendes Recht, das Werk zu veröffentlichen, die Preise festzulegen, es nachzubessern usw. In der Regel wird das Buch in einer bestimmten Auflage gedruckt, die der Verlag vorfinanziert. In einem sich ständig entwickelnden Crossmedia-Projekt sind solche Verlagsmodelle schwierig zu realisieren. App, iPad-Version, Lehrmittel, Splitauflagen, Dr. Pingelig, YouTube, Social Media, Website: Solche ständigen «Baustellen» und Vermarktungskanäle sind im ordentlichen Buchwesen (noch) nicht vorgesehen.
Allein die Möglichkeit, das Buch in bestimmte Inhalte aufzusplitten und damit ein spezielles Zielpublikum zu bedienen, ist eine logistische, finanzielle und verlegerische Herausforderung. Wer hat das Recht an der App (Software), wer verfügt über das Recht an einem Lehrmittel, wer an den Bildern, wer an einer Comicfigur?
Die Komplexität der Situation mit einigen Protagonisten machte es fast unmöglich, mit einem Verlag ins Geschäft zu kommen. Macht nichts, es bleibt heute ja die Möglichkeit des Eigenverlages, der höchstmögliche Flexibilität bei kleinem Risiko bedeutet.
Bezüglich Druck heisst das Digitaldruck, und zwar digitaler Rollendruck.In der Edubook AG, Merenschwand, wurde der geeignete Partner gefunden, der für Eigenverleger einen Webshop zur Verfügung hält, der Book-on-Demand möglich macht. Bestellungen können in kleinen Tranchen von 25 Exemplaren und mehr gefertigt und innert Tagesfrist versandt werden. Aus Gründen des hohen Portos wird aber nur Schweizer Kundschaft ab dem Webshop bedient. Um Lieferscheine, Rechnungen, Pakete, Mahnungen usw. sollte sich in diesem Modell der Dienstleister und nicht der Autor kümmern. «Zeichen setzen!» wird im Webshop www.zeichen-setzen.ch und auch im Publisher-Shop zu bestellen sein.
Crossmedia und die Comicfigur Dr. Pingelig
Die fehlerhafte Zeichensetzung kommt praktisch überall vor, es ist niemand davor gefeit, weder Einzelpersonen, Konzerne noch KMU oder die öffentliche Hand. Auf diese Fehler hinzuweisen, hat sich der liebenswerte Dr. Pingelig vorgenommen. Diese Kunstfigur wird in YouTube-Clips bestimmte Fehler zu korrigieren wissen. Natürlich rechnet Dr. Pingelig damit, dass er von einer starken Community unterstützt wird, die ebenfalls steuernd eingreifen wird, wo die Zeichensetzung darniederliegt.
Nun hat sich mit Otto Zingg, formd, Winterthur, ein 3D- und Game-Designer vom Projekt begeistern lassen. Er arbeitet zurzeit daran, die Comicfigur Dr. Pingelig zu entwickeln und ins Leben zu rufen. Dr. Pingelig treibt als Antagonist zum Druckfehlerteufel auf gute Art sein Unwesen auf allen crossmedial angedachten «Spielwiesen». Der Titularprofessor der Uni Kontest ist auf die empirische Feldforschung der Zeichen und ihrer Bedeutung für die menschliche Spezies spezialisiert. Sein Markenzeichen ist das Gütesiegel «Zeichen setzen!», welches er spontan und zuweilen grosszügig verteilt.
Dr. Pingelig hat seine Auftritte in YouTube-Clips, in der App – er ist zudem in sozialen Netzwerken anzutreffen, wo er Rede und Antwort steht und sich über Zuschriften in Wort und Bild freut. Dr. Pingelig achtet auf die (runde) Etikette, die auf der Website www.zeichen-setzen.ch bestellt werden kann. Eine Beteiligung an der Aktion ist erwünscht!
Otto Zingg wird die hier dargestellte Skizze zu einer animierbaren 3D-Figur entwickeln, die in Games und in Clips eingesetzt werden wird.
Veranstaltung
Der Fachverband für digitale Medienproduktion, publishingNetwork, hat für Interessierte eine Vortragsveranstaltung mit den Protagonisten organisiert. Im Mittelpunkt des Abends stehen zwei Referate. Ralf Turtschi wird sein Buch «Zeichen setzen!» vorstellen, Toni Kaufmann den Werdegang der App darlegen. Anschliessend wird ein Apéro serviert.
Crossmediales Buchprojekt «Zeichen setzen!»
Donnerstag, 30. Januar 2014,18.00 bis ca. 19.30 Uhr
Migros Limmatplatz Zürich, Limmatstrasse 152, 4. Stock (Aula)
Kosten für Mitglieder und Gäste von publishingNetwork CHF 20.–, für Nichtmitglieder CHF 40.–.