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Leserlichkeit (IV): Gr�sse, Farbe und Laufweite

Im vierten und letzten Teil dieser Serie wenden wir uns Faktoren zu, die mit der Formatierung im Zusammenhang stehen.

Ralf Turtschi Wer die letzten drei Beiträge über Leserlichkeit gelesen hat, versteht, dass die Wahl der Schrift bei allen Publikationen von grosser Bedeutung ist. Es wurden viele Einflussfaktoren ins Feld geführt, welche Schriften leserlich machen. Die Leserlichkeit steht bei der Lesetypografie an oberster Stelle – und dass Schrift in erster Linie angenehm gelesen werden kann, dafür haben Polygrafinnen, Mediamatiker, Grafiker, Werbetechnikerinnen, Publisher und Marketingverantwortliche zu sorgen.

Ohne genügend Kenntnisse nach dem Bauchgefühl Schriften für längere Lesetexte zu wählen und zu formatieren, ist reichlich wagemutig. Erstaunlich und bemerkenswert ist nach meiner persönlichen Erfahrung, dass die Leserlichkeit vielfach stiefmütterlich behandelt wird. Und zwar ohne Unterschied zwischen Print und Screen. Auf dem Screen akzentuiert sich eine eventuelle Leseunwilligkeit noch, wenn Texte inhaltlich und gestalterisch nicht mediengerecht aufbereitet sind.

So wie es viele Fussball- und Musik­experten gibt, gibt es halt auch «Typografieexperten» – allerdings hat Halbwissen in diesem Bereich grössere Auswirkungen. Wenn Inhalte wegen Unleserlichkeit nicht gelesen werden, müssten Autoren und Verleger eigentlich verärgert sein. Man weiss aber schlicht nicht, ob Nichtlesen mit dem Inhalt zusammenhängt, mit der Formatierung (Texthierarchie) oder der Gestaltung (Layout, Portionierung). Nachhaltig ist es nicht, Druckerzeugnisse, die nicht gelesen werden, für den Papierkorb zu produzieren. Durch die immer grösser werdende Do-it-yourself-Mentalität bei den Marktteilnehmern geht leider auch bei Polygrafen das entsprechende Fachwissen immer mehr verloren.

Grösse

Die Grösse der Leseschrift ist ein entscheidendes Kriterium, ob der Text überhaupt gelesen wird oder der Lesevorgang als zu mühsam empfunden wird. Man kann nicht einfach eine Punktgrösse als ideale Lesegrösse ausgeben, weil die Schriften nicht genormt sind. Das heisst, eine 9-Punkt-Futura wirkt in der Grösse ganz anders als eine 9-Punkt-Frutiger. Um eine Grös­senordnung zu haben: Leseschriften in Magazinen, Büchern oder Zeitungen sind zwischen 8 und 9 Punkt gross. Bei Kinderbüchern oder Publikationen für Senioren sind die Lesegrössen etwa 12 Punkt. Optisch kann man andere Produkte gut zum Vergleich der eigenen Arbeit hinzuziehen. Die Leserlichkeit bei Zeitungen ist enorm wichtig und die Textgrösse wird entsprechend sorgfältig evaluiert.

Um Textschriften vergleichbar zu machen, richtet man einen Mustertext so ein, dass der Platzbedarf bei allen Mustern genau gleich ist. Erst dann kann man optisch beurteilen, welche Schrift am grössten oder auch am kräftigsten wirkt (Abbildung rechts).

Mit einer genügenden Grösse tut man allen Leserinnen und Lesern einen Gefallen, die mit der Sehschärfe Probleme haben. Kurzsichtige mit vier Dioptrien Sehkorrektur und mehr haben mit kleinen Schriften enorme Probleme, da die Schrift durch die Brille noch verkleinert wird. Barrierefreier Zugang zu Dokumenten ist das Stichwort. Es kann nicht sein, dass die schreibende und gestaltende Zunft eine Schrift zu klein setzt, damit mehr Inhalt Platz findet. Es kommt nicht drauf an, wie viel im Blatt steht, sondern, was davon gelesen wird! Nur was gelesen wird, kommt an.

Laufweite

Die Schriftgrösse und der Schriftschnitt (Thin, Regular, Book, Roman usw.) stehen in engem Zusammenhang mit der Laufweite. Mit Laufweite werden die Abstände der Buchstaben generell bezeichnet, im Fachjargon wird auch von Spationieren oder Sperren gesprochen. Das individuelle Kerning (unterschneiden) meint hingegen den Abstand einer Buchstabenkombination. Bei Te wird damit das e etwas unter das Dach des T geschoben, um ein unruhiges Satzbild zu vermeiden. Kerning und Laufweite sind in den handelsüblichen Fonts enthalten. Die Qualität der Zurichtung kann jedoch ziemlich unterschiedlich sein.

Wichtig zu wissen ist, dass die Laufweite (optisch bedingt) nicht linear verändert werden darf. Mit anderen Worten: Wenn bei einer 12 Punkt grossen Schrift die Laufweite stimmt, dann muss bei der 6-Punkt-Grösse die Laufweite erhöht, bei einer 36-Punkt-Grösse hingegen verringert werden. Man darf davon ausgehen, dass die Schriften für die 12-Punkt-Grösse von Haus aus optimiert sind. Wie viele Einheiten diese optischen Korrekturen in InDesign betragen, hängt von der Schrift und ihrer ursprünglichen Zurichtung ab.

Die Laufweitenkorrektur sollte man in den Absatzstilvorlagen festlegen, von 12 Punkt an abwärts mit zunehmenden Pluswerten. Die Spationierung ist nicht linear auszurechnen, sie hängt sehr von der Schrift und ihrem Originalzustand ab. Die Laufweitenkorrekturen sind in den Textmustern oben zu vergleichen. Eine Faustregel: Die Leseschriften sind meistens zu eng, bei zu engem Buchstabenabstand leidet die Leserlichkeit, weil die Binnenräume optisch zusammenwachsen. Wenn die Laufweite etwas zu weit gehalten wird, ist die Gefahr einer verringerten Leserlichkeit relativ klein. Also eher die Laufweite vergrössern.

Schriftfarbe

Die Schriftfarbe wird durch den Hintergrund – sei es ein Bild, eine Fläche oder sei es das Papier – beeinflusst. Generell lässt sich schwarze Schrift auf leicht gebrochenem Weiss am besten lesen. Das ist zum Beispiel bei Lesebüchern der Fall. Ein hochweisses und glänzendes Papier eignet sich für Lesetext nicht. Auf Zeitungspapier ist der Kontrast etwas vermindert die Drucktechnik ist heute so hervorragend, dass diesbezüglich keine Einschränkungen gegenüber weissem Papier bestehen. Eine Kombination von falschem Papier, zu dünner Schrift und zu enger Laufweite wirken sich negativ auf die Leserlichkeit aus. Ebenso ist das Aufrastern von Schrift eine verbreitete Unsitte. Farbige oder graue Schrift ist kein Dienst am Leser. Beim Aufrastern sorgen die Rasterweite und die Rasterart für eine unscharfe Schriftlage. Bei ungünstigen Beleuchtungsverhältnissen ist graue Schrift einfach mühsam. Sogar auf Visitenkarten ist graue Schrift ein Affront, der Empfänger soll sich doch selbst bemühen! Manche Layouter ohne Sehkorrektur sollten ihre Textformatierung einmal im Altersheim testen.

Um dies zu verdeutlichen, ist dieser letzte Absatz 50% aufgerastert. Ich glaube kaum, dass Sie eine gerasterten Text bis hierher gelesen hätten.

Der Autor

Ralf Turtschi ist gelernter Schriftsetzer, Buchautor und Publizist. Er ist Inhaber von Agenturtschi, Marketing­leiter bei Speck Print AG, Baar, sowie Leiter beim Lehrgang Publisher Basic am Zentrum Bildung, Baden.Der Autor schreibt im Publisher seit Jahren praxisbezogene Beiträge zu Themen rund um Desktop-Publishing.

E-Mail: turtschi@agenturtschi.ch