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Was bleibt

Am 10. September 2015 starb der Schriftgestalter und Typograf Adrian Frutiger 87-jährig in Bremgarten bei Bern. Sein Schaffen hat die Welt verändert.

Ralf Turtschi Als ich Adrian Frutiger 1971 zum ersten Mal «begegnete», stand ich vor einem Setzkasten, der mit Univers bezeichnet war. Man war sich damals nicht ganz einig, ob man Univers französisch oder deutsch aussprechen würde. Sie war ein Gegenentwurf zur omnipräsenten Helvetica und der Akzidenz-Grotesk. Ich konnte sie anfangs nicht so richtig auseinanderhalten und schaute deswegen auf das kleine t, welches im Gegensatz zur Helvetica angeschrägt war. So konnte ich aufs Erste die Schriften auseinanderhalten. Später entdeckte ich weitere Merkmale, welche die Helvetica geradezu altbacken aussehen liessen.

Adrian Frutiger studiert nach seiner Schriftsetzerlehre an der Kunstgewerbeschule Zürich und zieht 1952 nach Paris, wo er für die Schriftgiesserei Deberny et Peignot tätig ist. Ein Jahr später beginnt er mit den Entwürfen an der Univers, die 1957 zuerst für den Fotosatz, später für den Bleisatz herauskommt.

Die Univers ist radikal anders, als es die damalige Zeitempfindung vorgibt – Schriften ohne Serifen sind im Mengensatz sowieso ein Unding. Frutiger legt eine Systematik vor, die alles Bisherige in den Schatten stellt. Für die einzelnen Schriftschnitte der Univers sieht er ein Klassierungssystem vor, welches aus zwei Buchstaben besteht. Die Zehnerzahl deutet auf die Fette, die Einer bedeuten Lage und Breite.

Die Univers wird für die Beschriftung des neuen Flughafens Charles de Gaulle in Roissy bei Paris gewünscht, Frutiger findet jedoch die Univers ein wenig zu geometrisch und zu statisch, er greift auf einen alten Entwurf der Concorde zurück, die er 1959 zusammen mit André Gürtler geschaffen hatte. Daraus entsteht die Flughafenschrift Roissy, mit der 1974 der Flughafen eingeweiht wird. Das Leitsystem setzt Massstäbe, die Begehrlichkeiten nach einer solchen Schrift wachsen. 1977 erscheint die überarbeitete Roissy als Frutiger bei D. Stempel AG und Linotype für den Fotosatz. Sie wird rasch ein Verkaufsschlager und wird immer mehr erweitert.

Anders als die Univers ist die Frutiger keine Gesamtkomposition, sie wächst organisch. 1999 modernisiert Frutiger mit Erik Faulhaber die Schrift zur Frutiger Next. Erst jetzt werden echte Kursive hinzugefügt; neu sind es sechs statt fünf Stärkenabstufungen. 2013 überarbeitet Frutiger mit Akira Kobayashi die Schrift und führt sie wieder mehr zur Ursprungsform; diesmal sind es zehn Stärkenabstufungen, die Schrift heisst nun Neue Frutiger 1450, in Anlehnung an DIN 1450 für barrierefreies Lesen. Die Ziffer 1 erhält eine Serife, das kleine l einen Bogen und die Null einen Punkt in der Mitte.

Aus der Erfahrung der Signaletik weiss Frutiger um die Erkennbarkeit und Leserlichkeit von Schriften wie kein anderer. Er öffnet erstmals die Buchstabenbinnenformen, typischerweise bei a und e. Er weist damit auch heute noch jüngeren Designern den Weg der Leserlichkeit.

Adrian Frutiger war nie ein Mann der lauten Töne. Sein Credo war sein Leben: Schrift habe zu dienen, man solle sie während des Lesens überhaupt nicht bemerken. Es sei wie beim Suppenessen. Wenn man den Löffel bemerkt, dann sei die Form eben schlecht. Frutiger stellte die Funktionalität immer über das Aussehen.

Unzählige Logos, Zeichen, Schriften und Bücher sind Adrian Frutigers Vermächtnis. In der Schweiz ist Frutiger nachhaltig verankert: Astra-Frutiger heisst die Standardschrift für die Verkehrsbeschriftung. Unzählige Unternehmen und Institutionen bauen auf Frutiger als Hausschrift: Post, UBS, Raiffeisen, Universität Zürich, Stadt Luzern, Sunrise und weitere.

Die Frutiger inspirierte viele De­signer: Myriad und Corpid weisen Ähnlichkeiten auf. Die Microsoft Hausschrift Segoe UI wurde sogar gerichtlich als Plagiat der Frutiger beurteilt.

Adrian Frutiger war nie ein Blender, er blieb wohltuend im Hintergrund und ist doch mit seinem Schaffen so präsent wie kaum jemand sonst in der Szene. Der Ausnahmekönner mochte sein Talent einigen Wenigen weitergegeben haben. Die Schweiz hat es jedoch verpasst, in seinen Fussstapfen Schriftentwicklung weiterzutreiben. Nach Frutiger traten kaum mehr Namen in Erscheinung, an die man sich erinnern wird. Wir haben den «Roger Federer» des Schriftdesigns verloren, sein Lebenswerk ist unsterblich.