Anregung fr die Plakatgestaltung
Ralf Turtschi Ein Blick ins Mu-seum offenbart: Plakate waren früher eine Domäne der Grafiker. Sie wurden von A bis Z gezeichnet, gepinselt, geschnitten und im Steindruck- oder im Siebdruckverfahren vervielfältigt. Mit dem Offsetdruck folgten später fotografische Reproduktionen. Die Profis wussten, wie Plakate funktionieren. Nämlich schnell. Ein Plakat wird am Strassenrand oder in einer Fussgängerzone wahrgenommen. Dem Autolenker fehlt die Zeit, um sich einem Plakat zu widmen, in vielleicht einer Sekunde muss die Botschaft sitzen. In der Fussgängerzone oder bei Lichtsignalen steht etwas mehr Zeit zur Verfügung, doch eine ausführliche und längere Betrachtungszeit ist auch hier nicht zu erwarten.
Wie Plakate funktionieren
Das visuelle «Störumfeld» ist nicht gleich wie bei einer Zeitungsanzeige, meistens steht ein Plakat allein oder in genügendem Abstand zu seinen Nachbarn.
Strassenplakate werden vielfach parallel zur Strasse aufgehängt, eine seitlich ausgerichtete Sichtweise hat beim Autolenker eine noch kürzere Betrachtungszeit zur Folge. Plakate müssen auch auf Distanz gesehen, erkannt und gelesen werden. Zur allgemeinen Referenz seien hier einmal 50 m angegeben. Ein Auto mit 50 km/h legt die Strecke in 3,6 Sekunden zurück. Wenn in dieser Maximal-Betrachtungszeit nur eine Sekunde Wahrnehmungszeit auf das Plakat fällt, ist dies schon gut gerechnet. Weiter ist im Gegensatz zur Magazin- oder Zeitungsanzeige das Plakat Wetterverhältnissen und Tageszeit ausgesetzt.
Grundsätzlich gilt: Wenn es eindunkelt, kann man schlecht leserliche Schriften noch schlechter lesen. Ein F12-Plakat (268,5 × 128 cm) an einer stark befahrenen Strasse ist wiederum etwas ganz anderes als ein B4-Plakat (98,5 × 128 cm) in der Fussgängerzone, ein wild aufgepinntes A3-Kleinplakat oder ein Roll-up-Display in einer Messe. Inhalt und Textmenge richten sich nach der zumutbaren Betrachtungsdauer.
Das Plakatschaffen mit den eingangs erwähnten Profis hat sich gewandelt. Heute ist jeder dank Desktop und Digitaldruck in der Lage, Plakate selbst herzustellen. Einzelne lokale Plakatstellen können ohne Probleme auch vom Gewerbebetrieb mit relativ günstigen Herstellungs- und Aushangkosten gebucht werden. Ein Augenschein in der Praxis zeichnet ein zuweilen desaströses Bild: Neben wenigen Highlights hängen Strassenplakate zuhauf, die einfach nicht funktionieren. Sie werden anscheinend von Laien, Quereinsteigern, Marketingfachleuten oder von Werbeagenturen gestaltet – schwer zu sagen, wie gute oder schlechte Resultate zustande kommen.
Die Missachtung von grundlegenden Regeln verhindert, dass Plakate eine Wirkung entfalten können, zum Konsum oder Denken anregen. Wenn sie nicht gesehen werden, können sie nicht erkannt werden. Und wenn sie nicht erkannt werden, können sie nicht gelesen werden. Und wenn sie nicht gelesen werden, kann sich einem der Sinn nicht erschliessen.
Unwirksame Kampagnen vernichten Werbefranken. Es geht mir aber nicht um die Diskussion, ob ein Plakat grundsätzlich nicht wirkt, sondern vielmehr darum, wie weit inhaltliche und formale Fragen dazu führen, dass weniger Personen erreicht werden, als es möglich wäre. Wenn zum Beispiel ein gutes Plakat 100 000 Personen erreicht und das gleiche, einfach unsorgfältig aufgemachte Plakat nur 10 000, dann geht doch mächtig Geld den Bach runter.
Die Wirksamkeit von Plakatgestaltung zu messen, ist eher theoretischer Natur, denn Plakate werden in der Regel zusammen mit einem Marketingmix veröffentlicht. Nebst Plakaten kommen auch Anzeigen, POS-Mittel, Internet, Kinowerbung usw. zum Einsatz. Welche Mittel wie viel zur Bekanntheit oder gar zum Umsatz beitragen, ist höchst spekulativ. Ebenso schwierig ist es, zu beurteilen, wie weit der Inhalt (Bild und Text) für die Wirksamkeit herhalten kann und wie weit die formale Umsetzung mittels Farben, Formen und Typografie dafür verantwortlich zeichnet.
Trotz dieser Schwierigkeiten ist der Beurteilung eines Strassenplakats mit pragmatischen Mitteln beizukommen, denn es gelten auch hier die allgemein gültigen Regeln der Gestaltgesetze oder die 13 goldenen Regeln der Typografie, wie sie in der Reihe TypoTuning (Edition Publisher) dargestellt sind.
Eine der Regeln, die hier zur Anwendung gelangen, lautet: Weniger ist mehr. Einer der Hauptgründe, warum Plakate nicht funktionieren, ist, dass einfach zu viel draufsteht. Mit gesundem Menschenverstand und einem schnellen Blick auf die ausgehängten Plakate lässt sich leicht feststellen, ob sie funktionieren. Fragen Sie sich einfach, nachdem Sie sich eine Sekunde Zeit gelassen haben: Was ist auf dem Plakat zu sehen? Was sagt mir das Plakat? Von wem ist das Plakat? Wenn Sie diese drei Fragen nicht beantworten können, funktioniert das Plakat nicht. Man hört vielleicht, dass Plakate auch unterbewusst wahrgenommen und gespeichert werden – hier bewegen wir uns aber auf einer Glaubensebene, die eher zur Ausrede taugt, wenn mangelndes Wissen über Funktionalität nicht argumentativ eingesetzt werden kann.
Automatisierte Plakate
Wer aus Content-Management-Systemen automatisch Kommunikationsmittel generiert, sollte wissen, dass es zwischen verschiedenen Plakatgrössen und Anzeigen wesentliche Unterschiede gibt. Ich halte es für völlig verfehlt, eine querformatige Anzeige mit den gleichen Elementen zu gestalten wie ein F12-Plakat. Die «Kostenersparnis Automatisation» wird bei grundlegenden Fehlern, die zwangsläufig passieren, fahrlässig wieder preisgegeben. Ich vermute, Autowerbung wird auf diese Weise produziert und damit viel Werbegeld vernichtet.
Das Bild im Plakat
Bilder kommunizieren schneller als Text, sie sind prädestiniert für Plakate. Formal unterliegt die Bildbotschaft der Figur-Grund-Gesetzmässigkeit. Das heisst, dass sich das Motiv (die Figur) eindeutig und klar vom Hintergrund absetzen muss. Je klarer eine Figur erkennbar ist, desto schneller funktioniert das Plakat. Ein Gewusel auf dem Foto kann auf die Schnelle nicht erkannt werden. Ein dunkles Auto vor dunklem Hintergrund (Mini) oder Rotweinflaschen vor rotem Grund (Denner) sind ein No-Go. Zu wenig Kontrast auf dem Bild ist ebenfalls ungünstig. Das Bild verkörpert wie nichts anderes Emotionen, auf die wir aus dem Bauch heraus ansprechen. Emotionen mit Packshots (Medikamente) zu vermitteln, ist schwierig. Reine Textplakate müssen schon sehr lustig oder provokativ sein, damit sie wirken.
Gute Wirkungen erzielen Grafiken oder visuelle Umsetzungen. Die berüchtigten Plakate mit den weissen und schwarzen Schäfchen sind ein gutes Kommunikationsbeispiel, zu welch trauriger Berühmtheit ein Motiv aufsteigen kann.
Der Text auf dem Plakat
Was in vier, fünf, sechs Worten nicht gesagt werden kann, gehört nicht auf ein Plakat. Die plakative Zuspitzung macht gerade das Genre aus! Auf gewissen Plakaten hat man sowieso das Gefühl, nebst Headline dürfe noch eine zweizeilige Subline stehen, und fünf Zeilen Kleingedrucktes wären auch noch hilfreich für den Kaufentscheid. Das interessierte Publikum bleibt ja vor jedem Plakat stehen und liest! Mit Verlaub, das halte ich ganz deutlich für Quatsch. Ein Plakat ist keine Plaudertasche, weder Bildergeschichten noch langatmige Aufzählungen gehören auf ein Plakat. Headline, Bild, Logo, dann muss die Botschaft sitzen.
Schriftgestaltung
Die Grösse der Buchstaben hängt von der Betrachtungsdistanz ab. Ich empfehle, den Massstab 1: 500 anzulegen. Lesebeispiel: Eine Headline, die auf dem gedruckten Plakat zu sehen ist, hat eine x-Höhe von 10 cm. Dieses Mass kann aus einer 500-mal grösseren Distanz gelesen werden, nämlich aus 50?m. Bei einem Plakat in der Fussgängerzone ist eine Schrift mit einer x-Höhe von 1 cm aus 5 m Distanz leserlich.
Nun besteht die Schwierigkeit, die richtige Grösse auf dem Bildschirm im verkleinerten Massstab herauszufinden. Ein F4- oder F12-Plakat ist 128 cm hoch. Teilt man diese Strecke in 13 Teilabschnitte auf, so erhält man eine Grösse von rund 10 cm, die dann als Vergleich für die Schriftgrösse dient. Dieser Trick funktioniert, ob man nun im Originalformat 98,5 × 128 cm layoutet oder ob man es vorzieht, dieses Plakat verkleinert im Format 18,9 × 27 cm zu gestalten, damit es auf einem Blatt A4 ausgedruckt oder «vernünftig» per PDF versandt werden kann. Auch dann kann die 500er-Regel angewendet werden. Wer eine realistische Sichtweise gewinnen will, nimmt 500-mal mehr Abstand, als die x-Höhe der Headline auf dem Bildschirm misst: 500-mal beispielsweise 13 mm ergibt einen Betrachtungsabstand von etwa 6,5 m. Wenn Sie also ein Plakat ganzseitig auf dem Monitor darstellen, sollten Sie etwa 6 m Abstand nehmen, um die Wirkung oder die Leserlichkeit zu überprüfen. Das Gleiche gilt natürlich auch für Plakate, die auf A3 oder A4 ausgedruckt werden: Bei der Headline x-Höhe messen, mal 500 rechnen und entsprechend Distanz nehmen.
Was ist eine plakative Schrift?
Je nachdem, ob man sich frontal vor dem Plakat oder seitlich davon befindet, wird sich das Schriftbild perspektivisch etwas verziehen. Die senkrechten Abstriche werden näher zusammenrücken, die waagrechten überproportional dick erscheinen. Eine gute Plakatschrift ist demzufolge nicht schmal. Versalbuchstaben sind schlechter erfassbar, weil wir sie nicht gewohnt sind. Wer Versalien einsetzt, verkennt ausserdem die Wirksamkeit bezüglich Grösse. Grossbuchstaben brauchen mehr Platz als Gemeine, sie sollten zudem etwas gesperrt werden. Bei gleichem Platzbedarf sind Kleinbuchstaben grösser und kräftiger. Versalien sind deswegen eine plakative Fehlbesetzung, das wissen wohl die wenigsten. Unter plakativ verstehe ich klare und bodenständige Schriften, die keine Feinheiten wie Serifen aufweisen. Mit Vorteil etwas schmallaufend, Schriftschnitt Regular, Medium, Bold, nicht Light und nicht Extrabold, keine Scripten.
Um leserlich zu sein, muss die Schrift zum Hintergrund einen grossen Farb- und/oder Helligkeitskontrast aufweisen. Eine weisse Schrift auf Rosa oder Hellgrün ist nicht leserlich. Dabei soll der Hintergrund ruhig sein. Die Schrift darf nicht in einem unruhigen Bild unleserlich gemacht werden.
Das Logo auf dem Plakat
Der Absender der Plakatbotschaft sollte mindestens auf den zweiten Blick erkennbar sein. Bei einigen hier gezeigten Beispielen ist das Logo so klein, dass es kaum sichtbar ist oder auch im Bild steht. Mir als Auftraggeber wäre ein zentrales Anliegen, eine starke Duftmarke zu hinterlassen.