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Die aktuelle Publishing-Revolution r�ckt den Kunden ins Zentrum

Das Internet, XML und eine Handvoll weiterer Technologien und Standards treiben eine neue Publishing-Revolution an, welche vieles auf den Kopf stellt. Im Zentrum des Geschehens steht der Kunde, dessen Datenbanken neue Publishing-Lösungen speisen.

Martin Spaar Nach der ersten Digitalisierung von Satz und Bildverarbeitung in den 70er- und dem Desktop-Publishing der 80er- und 90er-Jahre erlebt das Publishing jetzt die dritte durch die IT angestossene Revolution, welche wir als Publishing 3.0 bezeichnen. Deren Triebfedern sind IT-Standards wie XML sowie das Internet als Prozessoptimierungsplattform (siehe Kasten). Gespiesen werden die neuen Publishing-Lösungen aus Datenbanken. Das heisst, die Assets wie Texte und Bilder werden direkt über Datenbankanbindungen in den Publishing-Prozess eingespiesen und nicht mehr in DTP-Manier als einzelne Text- und Bilddateien.

Doppelrolle des Kunden

Da diese Assets in den Datenbanken des Kunden gespeichert sind, rückt dieser immer mehr ins Zentrum der Publishing-Prozesse. Im Unterschied zu anderen Industrien spielt der Kunde in der grafischen quasi eine Doppelrolle: Er ist gleichzeitig Lieferant und Endabnehmer! Er bestellt also zum Beispiel 1000 Kataloge, liefert aber auch die Komponenten für die Produktion in Form von Texten, Bildern, Preisen usw. Das wäre etwa so, wie wenn in der Autoindustrie der Käufer eines Wagens zuvor auch Reifen, Sitzpolster, Armaturen usw. ins Werk anliefern würde. Der Kunde hat also im Publishing schon per se einen zentraleren Status als in anderen Brachen; Mit Publishing 3.0 wird sich das noch weiter akzentuieren. Publishing 3.0 ist also vor allem eines: kundenzentriert!

Der Kunde steht hier im Zentrum hoch automatisierter Publishing-Prozesse. Die Datenbanken seines ERP-Systems sind inhaltliche Quelle für die Produktion von Produkte-Flyern und Katalogen, seine CRM-Datenbank steuert auf einzelne zielgruppenangepasste Angebote von individualisierten Werbedrucksachen. Bei Jahresberichten und ähnlichen Corporate-Publishing-Projekten hat der Kunde über ein Redaktionssystem bis zuletzt die Hoheit über alle Inhalte. Das von ihm gepflegte Asset-Management speist die Bilder in alle Publishing-Prozesse ein und sein Produkt-Informationssystem (PIM) die Produktbeschreibungen in passender Textlänge. Sein Brand Management System sorgt für die strikte Einhaltung der CI-Richtlinien und bietet weitreichende Web-to-Print-Funktionalität.

Das Drucken als «Nachstufe» an den Rand gedrängt

Diese vernetzten Prozesse bedienen alle Medien, vom Flyer bis zum Handy, vor allem aber das Internet. Der Druck muss sich somit gegen die vielseitigen digitalen Medien behaupten und wird immer mehr an den Rand gedrängt. Er wird quasi zur «Nachstufe» der IT-getriebenen Publishing-3.0-Prozesse degradiert. Seine Aufgabe besteht darin, den Output der Publishing-3.0-Systeme, also Druckdaten gemäss PDF/X-Vorgaben, standardisiert aufs Papier zu bringen – und das zu möglichst tiefen Preisen!

Publishing 3.0 ist, so wie oben beschrieben, noch kaum irgendwo mit letzter Konsequenz realisiert. Am weitesten sind hier die multinationalen Konzerne, die mit ihrem grossen Publishing-Volumen die hohen Anfangsinvestitionen für diese komplexen Systeme am ehesten amortisieren können. Während heute die Unternehmen ein solches Publishing-3.0-System oft aus vielen Einzelmodulen verschiedener Hersteller zusammensetzen müssen, werden in Zukunft immer mehr Lösungen auf den Markt kommen, die alles aus einer Hand bieten.

Drucksachen-Webshops mit doppeltem Potenzial

Am weitesten verbreitet ist Publishing 3.0 heute in Form von Drucksachen-Webshops mit Web-to-Print-Funktionalität. Die Chance, mit attraktiven Preisen Neukunden zu gewinnen, liess Drucksachen-Portale in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden schiessen. Denn während zum Beispiel im Fotofachhandel durch die Onlineshops nur das Bestellwesen und der Vertriebsprozess optimiert werden, bergen Drucksachen-Webshops zudem ein enormes Potenzial zur Optimierung des Produktionsprozesses. Es macht nun einmal einen markanten Unterschied, ob ein A4-Flyer in einer Auflage von 2000 Exemplaren als Einzelauftrag auf einer Kleinoffsetmaschine oder als Teil einer Sammelform auf einer 70 × 100-Maschine produziert wird. Während man also beispielsweise bei einer Digitalkamera durch den Onlinehandel nur an der schmalen Handelsmarge etwas einsparen kann, lassen sich Drucksachen über ein Onlineportal oft um Faktoren günstiger beziehen als bei einer «normalen» Druckerei.

Parallelen zu wirtschaftlichen Megatrends

Wenn man etwas über den Tellerrand der grafischen Industrie hinausblickt, stellt man fest, dass sich Publishing 3.0 nahtlos in die aktuellen Megatrends der Informationstechnologie und der Wirtschaft einordnen lässt. Ein solcher Trend ist derjenige weg von Einbahnprozessen hin zum bidirektionalen Austausch. Bei Publishing 3.0 bedeutet das, dass der Kunde nicht mehr Word-Dateien an den Druckdienstleister übergibt, sondern die Publishing-Prozesse dynamisch aus Texten in Datenbanken gespiesen werden. Bei einer derart bidirektionalen Datenbankverknüpfung kann beispielsweise bei einer Katalogproduktion ein Preis auch im Layout geändert werden, und diese Modifikation fliesst zurück in die Datenbank des ERP-Systems (Warenwirtschaft usw.). Ganz Ähnliches passiert in der Verlagsbranche unter den Schlagwörtern Media 3.0 bzw. Verlag 3.0. Hier bleibt die Entwicklung nicht bei der Einbahnkommunikation stehen. Vielmehr kommt ein Rückkanal ins Spiel, über den user generated content ins Medium zurückfliesst.

Kollaborative Cloud

Software, welche das kollaborative Arbeiten unterstützt, wird generell zu einem immer wichtigeren Bestandteil der Unternehmens-IT. Begonnen hat das schon vor vielen Jahren mit Groupware-Lösungen wie Lotus Notes von IBM oder Groupwise von Novell. Diese erlauben es den Anwendern, gemeinsam Dokumente zu erarbeiten und zu teilen (share). Heute werden diese noch nach dem Client-Server-Prinzip funktionierenden Lösungen immer mehr durch Cloud-basierte Lösungen wie Google Docs abgelöst. Dieser Megatrend hin zum Cloud Computing macht auch vor dem Publishing nicht Halt. Einerseits bietet sich die Cloud an, um komplexe Publishing-Lösungen nach dem Prinzip von Software as a Service (SaaS) anzubieten. Dies befreit den Anwender von der Pflicht, die Hard- und Software eines solchen Systems selbst zu unterhalten. Die Kosten sind transparent und pro Monat fest kalkulierbar. Am Modell der Mietlösung finden auch die Anbieter von Standardapplikationen immer mehr gefallen, weil sie ein regelmässiges Einkommen unabhängig von Update-Zyklen garantieren. Auch Adobes Creative Cloud dürfte stark von solchen Überlegungen getrieben sein.

Nichtsdestotrotz dürfte das Teamworking über die Cloud viel bewegen, indem sich der Kunde damit relativ einfach in die Publishing-Prozesse einbinden lässt. Was Adobe heute mit CS-Review ermöglicht, ist da erst ein ganz kleiner Anfang. Es wird spannend sein zu beobachten, wie stark Adobe die Creative Cloud zu einem Publishing-System ausbauen und damit auch heutige Partner konkurrenzieren wird.

Apps als universelle Schnittstellen

Ein weiterer interessanter Aspekt des Cloud Computing ist das Zusammenspiel verschiedener Geräteklassen. Lösungen wie Google Docs oder Evernote funktionieren plattformunabhängig mittels Webbrowser und dazu dank spezialisierter Apps auf Tablets und Smarphones. Auch Adobe bewegt sich in diese Richtung, indem mobile Apps die grossen Desktop-Applikationen ergänzen. Zudem fungieren Apps nicht nur als Publishing-Werkzeuge, sondern auch als Schnittstelle zwischen Drucksachen und Angeboten im Web. Wie unser Beitrag auf Seite 24 zeigt, eröffnen solche Print-to-Web-Lösungen interessante Perspektiven. Weil Print hier das Ganze anstösst, haben Druckdienstleister die Chance, ihren Teil zur crossmedialen Kommunikation beizutragen und sich neue Wertschöpfungsbereiche zu erschliessen.

Publishing-3.0-Lösungen

Publishing-3.0-Lösungen

Anwendungen und Lösungen mit Publishing-3.0-Funktionalität sind schon in grosser Zahl auf dem Markt. Dabei haben sich viele neue Begriffe und Schlagwörter herausgebildet. Hier ein Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit (Beispiele von Produkten in Klammern).

  • Datenbank-Publishing (DATAform von Gassenhuber; EasyCatalog von 65bit Software; InBetween; priint:comet von Werk II; Pageflex von Bit­stream; Xactuell von Codeware)
  • Web-Content-Management-Systeme (CMS) und Enterprise-Content-Mana­gement-Systeme (ECMS); datenbankgestütztes Publizieren (meist im Internet) mit anwenderfreundlichem Back-End zum Einspeisen und Aktualisieren der Inhalte (Drupal; DynPG; Joomla; OpenCms; Typo3; Typolight; WordPress).
  • Crossmedia-Publishing, Single-Source-Publishing und Multi-Channel-­Publishing, zum Teil auch einfach als Publishing-Systeme bezeichnet. Haben oft weitere, in diesem Kasten separat aufgeführte Funktionen wie Web-to-Print integriert; (Author-it; Censhare; Contentserv; Flyer-Ex; ­publiXone; STEP von Stibo Systems).
  • Management-Informations-Systeme (MIS) mit JDF-Unterstützung für interne Workflow-Automatisierung und mit webbasierter Kundenanbin­dung zur Effizienzsteigerung bei externen Prozessen wie Revisionen und Gut zum Druck (Hiflex; Prinect Prinance von Heidelberg; Printplus; Syogra).
  • Web-to-Print zur Online-Erzeugung von Drucksachen (iBrams von CDO; iBright der Kinetik GmbH; LeadPrint PrintLounge von Be.Beyond; one2edit von Kuhnert Mediasolutions; Pageflex von Bitstream; trivet.net von G. Boretius EDV-Beratung & Vertrieb).
  • Drucksachen-eProcurement, Web-gestützte Drucksachenbeschaffung.
  • Online-Services wie Online-Preflight oder Remote-Proof (meinproof.de; proof-online.de; OneVision Asura Enterprise).
  • PIM-Systeme (Product Information Management) zum zentralen Ein­speisen von produktbezogenen Inhalten in die Publishing-Prozesse (CATS von Systemintegration; Hybris; insign; jCatalog; Noxum).
  • Media Asset Management zum Verwalten und Verteilen der Publishing-relevanten «Assets» wie Bilder, Grafiken, Videos usw. (Elvis von WoodWing; Picturepark von VIT; SixOMC).
  • Team-Publishing und Corporate-Publishing mit Redaktionssystemen (K4 von vjoon; WoodWing Enterprise; QPS von Quark).
  • Drucksachen-Webshops, siehe Marktübersicht Publisher 4-12
  • Print-on-Demand mit Digitaldruck, Kurzfarbwerk- oder DI-Offsetdruck
  • Variabler Digitaldruck und Transpromo zum Erstellen individualisierter Drucksachen auf Basis der Daten aus CRM-Systemen (Customer Relation Management).
  • Print-to-Web, Drucksachen als Brücken ins Web via Schnittstellen wie QR-Codes, Wasserzeichen oder Bilderkennung.
  • Tablet-Publishing, Tablets als Publishing-Werkzeug oder als Medium, das aus Publishing-Systemen bedient wird (Adobe DPS; Quark App Studio).

Was ist Publishing 3.0

Der Begriff Publishing 3.0 soll in Analogie zu Web 3.0 für eine neue Ära des Publishing stehen. Publishing 1.0 waren die Satz- und EBV-Systeme der 70er-Jahre, Publishing 2.0 war das Desktop-Publishing, welches uns leistungsfähige Technologien und Werkzeuge wie Photoshop, Illustrator, QuarkXpress, InDesign, ICC-Farbmanagement, PDF-Workflows usw. brachte. Mit Publishing 3.0 kommen jetzt neue Publishing-Lösungen, welche einen hohen Grad an Automatisierung und eine massive Effizienzsteigerung erlauben werden. Wir sehen Publishing 3.0 zur Hauptsache durch folgende Eigenschaften charakterisiert:

  • Prozessorientiert: Die althergebrachten Workflows funktionieren in der Regel nach dem Prinzip Eingabe – Verarbeitung – Ausgabe als Einbahnstrasse. Kommt es zu inhaltlichen Änderungen, muss der ganze Workflow nochmals von vorn nach hinten durchlaufen werden. Publishing 3.0 basiert dagegen auf Prozessen, welche interaktiv ineinander verzahnt sind und die dynamische Aktualisierung von Inhalten an jeder Stelle des Prozesses ermöglichen.
  • XML-basiert: Bei der oben genannten Interaktion zwischen den einzelnen Prozessen spielt XML als Basis für standardisierte Schnittstellen eine Schlüsselrolle.
  • Datenbankgetrieben: Inhalte (Assets) werden in Datenbanken verwaltet und von dort dynamisch in die Publishing-Prozesse eingespeist.
  • Internetgestützt: Die Möglichkeiten, das Internet als Prozessoptimierungsplattform für die Publishing-Prozesse zu nutzen, werden voll ausgeschöpft.
  • Kundenzentriert: Beim Publishing 3.0 rückt der Kunde ins Zentrum des Geschehens. Seine Datenbanken speisen die Publishing-Lösungen mit Inhalten, und über webbasierte Benutzerschnittstellen ist er fest in die einzelnen Prozesse eingebunden.
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