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Die grafische Industrie passt nicht ins Schema der �normalen� IT

Urs Felber von der A&F Computersysteme AG ist angesichts der Defizite vieler Leute in der grafischen Industrie nachdenklich gestimmt: «Der Vorstufenbetrieb sollte dem Endkunden erklären, was Publishing 3.0 ist – und nicht umgekehrt!»

urs Felber Die zurzeit laufende Publishing-Revolution wird durch zwei Gegebenheiten begründet: Einerseits sind dies das Web und andererseits die gewaltigen Automatisierungsmöglichkeiten, welche heute angeboten werden. Das Ganze hat natürlich – wie jede Medaille – auch eine Kehrseite. Wertschöpfung wandert ab, und Arbeitsplätze werden wegrationalisiert, oder sie sind nur noch spezialisierten Mitarbeitern zugänglich. Dies untermauert eine Aussage, welche einer unserer Kunden weitsichtigerweise zu Beginn der zweiten Publishing-Revolution gemacht hat. Auf unsere Frage, warum dieser einen Kunden nach dem anderen – für die er bis heute Vorstufenarbeiten erledigt hat – zur A&F bringt und dadurch selber Wertschöpfung verliert, erhielten wir folgende Antwort: «Der Kunde wird früher oder später Teilbereiche der Vorstufenarbeiten sowieso selbst erledigen. Jetzt habe ich die Chance, ihn zu begleiten, zu beraten und mit zusätzlichen spezialisierten Dienstleistungen neue Wertschöpfung zu generieren.» Dieser Kunde behauptet sich bis heute erfolgreich im Druckvorstufenmarkt.

Dahingehend möchten wir kurz auf die Thesen und Fragen rund um das Schlagwort Publishing 3.0 eingehen:

Kernkompetenzen ausspielen

Der in Aussicht gestellte Automatisierungsschub ist bereits in vollem Gange. Nur hat es die Automatisierung so in sich, dass, bevor sie automatisch funktioniert, meistens ein recht grosser und komplexer Aufwand betrieben werden muss. Dies ist mit Garantie eine grosse Chance für Druckvorstufenbetriebe, denn dieses Know-how ist bei den Endkunden im Moment eher selten zu finden. Insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besinnen und konzentrieren sich viele Firmen auf ihre Kernkompetenz. Vorstufendienstleistungen sind ein Kernkompetenzbereich der grafischen Industrie. Nur erleben wir da leider zum Teil Situationen, die uns sehr nachdenklich stimmen. Denn der Verkauf der Vorstufenbetriebe sollte dem Endkunden erklären, was Publishing 3.0 ist – und nicht umgekehrt!

Bis heute können wir der These betreffend der Abwanderung der IT-gewandten Publishing-Profis nicht wirklich zustimmen. Wenn wir heute 20 Vorstufenprofis nennen müssten, welche wir uns im Team von A&F vorstellen könnten, dann stehen drei Viertel davon immer noch in Diensten von innovativen Vorstufenanbietern. Es liegt an unseren Vorstufenbetrieben, ihre Arbeitsplätze weiterhin attraktiv zu gestalten, und dies bedingt sicher, bei der Publishing-3.0-Revolution aktiv mitzuwirken.

Den Mut haben, auch als Broker aufzutreten!

Die perfekte Druckmaschine erleichtert es natürlich, konkurrenzfähige Preise anzubieten. Nur muss dann auch genügend Auftragspotenzial für die entsprechende Maschine vorhanden sein, damit diese sich amortisieren lässt. Und dazu ganz einfach die Frage: Was ist so schlimm daran, wenn sich verschiedene kleinere und mittlere Druckereien zusammentun, zum Teil als Broker auftreten und so effizient und kostengünstig ein breites Spektrum von Druckaufträgen abdecken können? Es ist zwar sicher schön und erfüllt den Drucker mit Stolz, viele Maschinen im Drucksaal zeigen zu können. Am Schluss zählt aber, was unter dem Strich übrig bleibt und dies ungeachtet, wo gedruckt wird. Es gibt heute schon verschiedene Beispiele in der Schweiz, wo Druckereien genau dies bereits erfolgreich praktizieren. Diese Beispiele könnten auch in anderen Bereichen Schule machen.

Die Chance, Publishing-3.0-Dienstleistungen anzubieten, besteht in den verschiedensten Bereichen der Vorstufe. Im Moment voll im Trend liegt das Thema Redaktionssystem für Periodika oder Geschäftsberichte mit Einbezug des Endkunden. Viele Betriebe praktizieren dies heute sehr erfolgreich. Aber auch im Bereich von Web-to-Print-Anwendungen, Database-Publishing oder immer mehr auch in komplexen Übersetzungsworkflows gibt es noch echte Chancen, sich zu profilieren.

Auch die Hersteller und Softwareanbieter wollen sich alle ein Stück vom Kuchen abschneiden. Und dies tut man heute mit gar nicht mal so schlechtem Erfolg. Auch Startup-Firmen haben ihre Chancen. Es wird sich nicht nur ein marktbeherrschender Anbieter durchsetzen, sondern es werden viele spezialisierte Lösungen den Markt durchdringen.

Für viele IT-Fachleute ist die grafische Industrie auch heute noch etwas Exotisches. Wir, mit unseren wenigen Datensätzen, die dafür teilweise riesengross sind, passen nicht ins Schema der «normalen» IT. Aus der Erfahrung von A&F werden auch zukünftig vor allem die Publisher, welche ihr IT-Know-how erweitert haben, die gesuchten Fachleute im Bereich Publishing 3.0 sein. Wenn die Vorstufenbetriebe überleben wollen, müssen sie bereit sein, Fachpersonal auszubilden. Wie bereits geschrieben: Wer ein attraktives Arbeitsumfeld bietet, wird auch entsprechendes Personal halten können.

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