Individualisierung in Massen!

Fast allem lässt sich heute in irgendeiner Art ein persönlicher Anstrich geben – damit wird es zu etwas Aussergewöhnlichem. Insbesondere Drucksachen bieten schier unbegrenzte Möglichkeiten, kostengünstig aus der Masse herauszuragen.

Peter Nadler Die Möglichkeiten der heutigen intelligenten Technologie, die Prozesssteuerung via Internet, die flexible Automatisierung und optimierte Unternehmensstrukturen erlauben es, den weitverbreiteten Wunsch nach Individualität zu befriedigen. Nach der Entwicklung einer günstigen Massenproduktion rückt nun die massenhafte Produktion von individuellen Produkten ins Zentrum. Alles, womit ich mich umgebe, soll wenn möglich als zu mir gehörig erkennbar sein – mein Auto, mein Handy, mein Facebook, meine SBB, meine Krankenkasse …

Drucksachen im weitesten Sinn sind nun wichtige Elemente in diesem Spiel. Und wenn ich sage «im weitesten Sinn», dann meine ich das auch so: Ein T-Shirt ist ebenso eine Drucksache wie ein Fotobuch, eine Tapete, Bierdeckel, Kindermöbel oder ein Wetterballon – es gibt fast nichts, das es nicht gibt. Thema dieses Beitrags sind Produkte, die mit 2D-Druckern geschaffen werden können. Vom nächsten logischen (?) Schritt – der individuellen Produktion von Alltagsgegenständen mit 3D-Druckern – sprechen wir hier (noch) nicht.

Die Qual der Wahl: Hilft Google?

Wer auf der Suche nach einem persönlichen Geschenk ist, wer seine Kunden mit einer ausgefallenen Idee beglücken will, wer Geburtsanzeigen verschicken oder einem Fest eine persönliche Note geben will, macht sich auf in die Weiten des Internets – und wird natürlich fündig (siehe Kasten). Manchmal findet man auch so viele Anbieter, dass man überfordert ist. Kriterien zur Auswahl eines Herstellers sind dann, ob einem die Website gefällt, der Preis oder was auch immer.

Grundsätzlich entscheidend ist aber, so die Aussage eines Insiders, die Positionierung bei der Google-Suche. Wer zuoberst auf der Liste erscheint, der bekommt die meisten Aufträge, so einfach ist das. Viele Kunden sind offenbar weder bereit noch wirklich in der Lage, tiefergehend zu evaluieren. Es liegt also nicht unbedingt an der Qualität des Angebots, sondern vielmehr an der nicht Google-optimierten Website, wenn der Laden nicht so läuft wie gewünscht. Ist das nun einfach eine böswillige Behauptung? Ich glaube nicht, man schaue doch nur mal das eigenen Verhalten bei der Google-Suche an. Wir sind es gewohnt, von Google brauchbare Treffer präsentiert zu bekommen. Und obwohl wir bezüglich Überwachung und Speicherung unserer Suchanfragen durchaus im Bilde sind, sind wir nach wie vor nicht bereit, auf Google zu verzichten, zu gut werden offenbar unsere Bedürfnisse abgedeckt. Wie Google zu diesen Treffern kommt, ist uns egal. Dem Webshop-Betreiber hingegen sollte das nicht egal sein, denn sein Erfolg hängt davon ab.

Unterschiedlichste Angebots­paletten

Jeder Spezialitäten-Webshop bietet Überraschungen – man findet Dinge, die man gar nicht gesucht hat! Wer etwa POS-Materialien, Blachen oder Tisch-Sets sucht, findet auch bedruckbare Möbel aus Re­-Board wie Messe­theken, Barhocker usw. Oder auch ein Kindermöbel-Set, das von Kinderhand bemalt werden kann (flyerline.ch). Und wer Megaposter sucht, findet auch Planen, Displays, Verkehrsmittelwerbung, Werbezeppeline und vieles mehr (movingposter.ch). Spezialisten für Feiern oder andere Anlässe bieten mit durchwegs individualisierten Produkten wie Jasskarten, Weinetiketten, Foto-Memory, Foto-Tassen und vielen weiteren Spielereien fast alles, was an mehr oder weniger witzigen Dingen vorstellbar ist (digitprint.ch). Andere beschränken sich auf ein eng umgrenztes Gebiet, als Beispiele seien hier die Bereiche Poster- und Leinwanddruck (artatprint.ch) oder Ordner und Register (kmc-webshop.ch) erwähnt.

Wie man aus der unvollständigen, ja geradezu marginalen Aufzählung leicht erkennt, gibt es einfach alles – es werden auch Produkte angeboten, von denen man gar nicht gewusst hat, dass sie überhaupt existieren! Der Fantasie, so scheint es jedenfalls, sind kaum Grenzen gesetzt. Und alles kommt natürlich individualisiert und in Kleinstauflagen daher, ob für Werbezwecke oder für private Anlässe.

Der Erfolg ist nicht garantiert

Wechseln wir kurz auf die andere Seite, diejenige des Anbieters. Er muss sich gut überlegen, was für Produkte er überhaupt anbieten will, denn es gibt Dinge, die beinahe auf jeder Spezialitäten-Website angeboten werden. Und ein weiteres Nullachtfünfzehn-Angebot interessiert heute kaum mehr jemanden – ausser das Portal biete unschlagbare Preise. Aber auch da ist der Zug wohl schon lange abgefahren, insbesondere wenn mit ausländischen Webshops verglichen wird (wobei dort dann ja noch Zoll und höhere Porto­gebühren anfallen und sich so der Preisvorteil etwas relativiert.

Angenommen aber, man ist der einzige oder zumindest einer der wenigen Schweizer Anbieter eines bestimmten Produkts, bestehen gute Chancen, dass der Webshop auch anderweitig Erfolg hat. So etwa ist es Werner Steiner, Inhaber der Firma Steiner Druck in Pfäffikon SZ,ergangen, der, aus einer Laune heraus, einen Drucksachen-Webshop auf die Beine gestellt hat. Die ersten Erfahrungen waren ernüchternd, das Angebot stach nicht aus der Masse der anderen Anbieter hervor, preislich hatte man keine Chance, der Shopaufbau war unhandlich und abhängig vom Software-Lieferanten – man sprach davon, den Shop wieder zu schliessen.

Dann aber entschloss er sich, den Shop völlig umzukrempeln, eine offene Lösung mit echten Eingriffsmöglichkeiten des Anwenders einzusetzen und nur noch individualisierte Produkte an­zubieten. Und siehe da, seit gut einem Jahr läuft digitprint.ch zu seiner vollen Zufriedenheit. Renner sind etwa individualisierte Jasskarten, Weinetiketten (inkl. Wein und Champagner) und auch Foto-Memorys, die in einer speziellen Geschenk-Box geliefert werden. Nach und nach wurde ein in sich passendes Angebot aufgebaut, das ständig erweitert und erneuert wird.

Und wie steht es um die Druckerei? Die hat den Umsatz gehalten. Der Webshop ist damit zu einem zweiten Standbein geworden, wobei ab und zu auch Aufträge für die Druckerei generiert werden. Der Webshop – das ganze Sortiment wird übrigens im eigenen Haus produziert – sorgt immer wieder für begeisterte Reaktionen von Kunden aus allen Regionen der Schweiz. Und nicht zuletzt deckt Werner Steiner via kuvertdruckonline.ch einen weiteren Bereich ab. Der Erfolg hat sich demnach zwar eingestellt, aber selbstverständlich war er nicht.

Marktchancen

Individualisierte Drucksachen herstellen kann theoretisch jeder, der eine Digitaldruckmaschine hat. Dass sich das bis heute nicht durchgesetzt hat, liegt, man weiss es mittlerweile, an den schlecht gewarteten Datenbanken. Aber da liegen auch nicht die Marktchancen, von denen die Rede sein soll, sondern es geht um Bereiche, die insbesondere für den Grossformatdruck interessant sein können. Ich denke da etwa an vom Kunden selbst gestaltete Stoffe, Taschen, T-Shirts, Tapeten, Sitzhocker, Möbelfronten, Türen, Glasscheiben oder Holzbilder – alles Produkte, die bereits angeboten werden, nicht alle aber mit Produktionsstandort Schweiz.

Natürlich ist das alles eigentlich durchaus machbar, aber halt nicht für jemanden, der nur gerade mal ein einziges Exemplar will. Der Produktionsprozess ist meist zu langwierig und zu teuer, zu viele Hürden technischer und menschlicher Art sind vorhanden. Erforderlich wären Websites, auf denen unmittelbar visualisiert wird, was ich hochgeladen und kreiert habe, sodass ich mir eine mehr oder weniger realitätsgetreue Vorstellung machen kann. Es sind, das zeigen Untersuchungen, die Ausgestaltung des Konfigurators auf dem Webportal (er muss einfach zu bedienen sein und genügend, aber nicht zu viele Möglichkeiten offerieren) und insbesondere die Genauigkeit der Visualisierung, die beim potenziellen Kunden schliesslich den Kaufentscheid auslösen oder eben nicht. Der Kunde muss, um es einfach zu sagen, dort abgeholt werden, wo er ist. Mit drucktechnischen Möglichkeiten zu protzen, bringt da gar nichts.

Individualisierung als Massenphänomen

Der Titel dieses Beitrags zeigt es, die verbreitete Tendenz der Individualisierung ist, so scheint mir, eine zweischneidige Sache, vielleicht aber auch nur eine Sache der persönlichen Einschätzung. Je nach dem wird der Titel anders verstanden, der eine hört einen Aufruf zum Masshalten, der andere die Feststellung, dass die Individualisierung heute eine Selbstverständlichkeit ist und bereits massenhaft angewandt wird. Das Phänomen ist aber doch, dass die Individualisierung des eigenen Lebensstils ein solches Ausmass erreicht hat, dass man gerade damit wieder in der Masse der Individualisten unterzugehen droht – was offenbar nach mehr des Gleichen ruft …

Tatsache ist, dass heute, zumindest in der westlichen Welt, eine starke Tendenz besteht, sich von der Masse abgrenzen zu wollen, speziell zu sein, gleichzeitig aber muss man sein wie alle andern, muss haben, was alle andern haben – erst dann gehört man dazu. Ein erstaunliches und zutiefst widersprüchliches Phänomen, oszillierend sozusagen zwischen Anpassung und Freiheit. Indem ich dasselbe Gerät habe wie alle andern auch, gehöre ich dazu, drohe aber in der Masse unterzugehen. Mit einem individualisierten Gerät «löse» ich das Problem: Ich gehöre immer noch dazu, bin aber speziell, ich bin also wieder ein Individuum.

Man könnte es aber auch anders sehen, positiv konnotiert, zusammengefasst etwa: zurück zu den Wurzeln, aber auf höherem Niveau! Früher war es ein Handwerker, der einen Tisch, ein Bett, einen Schrank nach meinen Vorgaben fabriziert hat. Diese Zeiten sind vorbei respektive aus finanziellen Gründen nurmehr einem kleinen Teil der Gesellschaft vorbehalten. Die zu Beginn des Beitrags erwähnte Technologieentwicklung macht es nun aber möglich, mit relativ einfachen Mitteln und relativ kostengünstig die industrielle Massenproduktion zugunsten einer individualisierten Produktion aufzuweichen. Und dies, ohne dass relevante Mehrkosten gegenüber der Standardproduktion anfallen. Jeder kann sich nun wieder ein Produkt leisten, das exklusiv für ihn produziert wurde, was doch eigentlich wieder ganz schweizerisch und demokratisch ist.