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Medienproduktion � quo vadis

Das neue Informationszeitalter bringt uns unter dem Schlagwort Publishing 3.0 aus­gefeilte Lösungen und Werkzeuge für die neuen, crossmedialen Workflows. Daneben darf aber eines nicht vergessen werden: die richtige Brainware.

rené theiler, hannes zaugg Gusti Fröhlich ist verantwortlich für die Kommunikation bei der Happy Travel Holding. Er ist unschlüssig, ob er eher auf den Printkatalog setzen oder doch voll auf die Onlineschiene abfahren soll. Der Kunde und Nutzer wünscht sich beides und gibt keine klare Antwort: Am Sonntag, wenn er Zeit hat und das schlechte Wetter einen in der Stube hält, blättert er gerne im gedruckten Katalog, träumt von Safaris unter wärmender Sonne. Derselbe Nutzer schaut in einer Arbeitspause auf die neuesten Reiseangebote im Internet und lässt sich von aktuellen Deals locken.

Willkommen im crossmedialen Zeitalter. Haben Sie Ihr Denken bereits den neuen Informationsgewohnheiten angepasst? Die meisten Auftraggeber wissen, dass sie multimedial wirken müssen, wenn sie dem Nutzer folgen wollen. Dies ist eine Notwendigkeit, wenn die Werbung wirken soll. Und die muss wesentlich verbessert werden. Dies zeigen Studien und Kommentare immer wieder. Doch die Unternehmen sind unsicher, wie ihr crossmediales Grundkonzept aussehen könnte, ob-wohl ihnen die Veränderungen im Informationsverhalten bewusst sind. Fast alle Auftraggeber haben schon lange neben der Drucksache ein zweites (oder drittes, viertes) Kommunikationsstandbein aufgebaut, meistens im Web. Die Inhalte in Print und Web werden häufig auch geschickt koordiniert, doch eine klare Vorstellung vom Kommunikationsablauf auf Kundenseite fehlt vielfach.

Praxisnahes Crossmedia-Konzept fehlt

Die Verknüpfung von Print und Web ist dabei ein Fakt, der sich in den letzten Jahren in der Praxis gefestigt hat. Allerdings gibt es dazu kaum theoretische Grundlagen, abgesehen von denjenigen des Basler Marketingprofessors Dr. Manfred Bruhn, der sich wertvolle Gedanken zur integrierten Kommunikation gemacht hat. Was fehlt, sind praktische Beispiele von multimedialen Kampagnen, anhand derer nicht nur die Mechanik sichtbar wird, sondern auch der Erfolg nachgewiesen sowie die Umsetzung aufgezeigt werden kann. Gesucht ist der für den Praktiker nachvollziehbare Ratgeber, mit dessen Hilfe die Werbewirkung verbessert und die Umsetzung effizienter gehandhabt wird. Aus solchen Erkenntnissen lassen sich immer wieder brauchbare Strategie- und Planungsvorlagen entwickeln.

Die heutige Situation kann für clevere Mediendienstleister eine gute Chance sein. Der Kunde will Kommunikationslösungen, welche den heutigen Nutzungsgewohnheiten entsprechen. Und zwar nicht nur für grosse Kampagnen, sondern auch im Kleinen, etwa bei der Einladung zu einem Open House. Im «Publi­shing-3.0-Software-Zoo» (siehe Kasten auf Seite 26) gibt es heute für fast alles eine passende Lösung. Diese ausgefeilten Softwaretools mögen gut und recht sein, die richtige Brainware ersetzen sie nicht.

Gesucht: Spezialist für Kommunikationslösungen

Für diese Aufgaben müssen Spezialisten intern gefördert und extern geschult werden. Nur wer über das nötige Wissen verfügt, kontinuierlich praktische Erfahrungen sammelt und konsequent auswertet, kann das Vertrauen der Auftraggeber gewinnen und ihre Unsicherheit in Crossmedia-Fragen beseitigen. Damit wird er als Experte für solche Kommunikationslösungen akzeptiert.

Neben einem breiten technischen Wissen, das einen profunden Blick auf die neueste Medienentwicklung erlaubt und das Briefing der entsprechenden Spezialisten ermöglicht, braucht es gute Kenntnisse im Projekt- und Changemanagement sowie Verständnis für die Methoden der Strategie- und Konzepterarbeitung in der Kommunikation, um diesen Gesprächspartnern im Arbeitsablauf Paroli bieten zu können. Eine solch spezifische Weiterbildung bietet das SAWI (Schweizerische Ausbildungsstätte für Marketing und Kommunikation) in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Waadt (Abteilung comem zur Ausbildung von Medieningenieuren) an. Die CAS-Weiterbildung (Certificate of Advanced Studies) ist international anerkannt und wird vom publishingNETWORK fachlich begleitet.

Projekt- und Changemanagement

Künftig ist auch die Förderung des Changemanagement-Prozesses eine zentrale Aufgabe für jede Kaderperson, die ein Team führt. Der zunehmende Wandel von Strukturen und Technologien in Unternehmen der Medienproduktion erfordert eine rasche und kompetente Veränderungsbereitschaft der Akteure. Ein systemischer und lösungsorientierter Blick kann eventuelle Ambivalenzen und Widerstände schneller sichtbar machen oder vorwegnehmen, damit das Management geeignete Massnahmen frühzeitig planen kann. Wer sich in der Medienproduktion in eine solche Richtung entwickeln möchte, der sollte auch die Organisationsform entsprechend anpassen. Dabei empfiehlt sich die Bildung von zwei unterschiedlichen Gruppen in der Aufbauorganisation. Die eine befasst sich ausschliesslich mit neuen Kommunikationslösungen. Ihr Ziel ist die Gewinnung von zusätzlichem Umsatz. Die andere konzentriert sich auf die heutigen Aufträge und sichert damit den bisherigen Umsatz.

Das Projektmanagement ist der Schlüssel zum Erfolg bei jeder Art von neuen Implementierungen. Mithilfe der Planung setzt sich der Projektleiter mit zukünftigem Geschehen auseinander, entwickelt zielorientierte Handlungsalternativen und trifft eine Auswahl zwischen mehreren Handlungsoptionen. Ein Ziel der Planung besteht darin, sämtliche Details mit allen Risiken und Eventualitäten zu erfassen. Dies soll nicht wie bisher als Angebotsofferte daherkommen, sondern als Projektbeschrieb erkennbar sein. Ein solcher darf auch etwas kosten, dem Kunden wird ja auch ein innovativer Lösungsansatz unterbreitet. Dabei handelt es sich um ein Vorhaben, für dessen Durchführung besondere organisatorische Vorkehrungen getroffen werden. Ein Projekt weist in der Regel folgende Charakteristiken auf: Es ist zeitlich begrenzt (Beginn, Ende) und hat ein definiertes Ziel (Aufgabe, Ergebnis).

Leider wird das Projektmanagement in der Medienproduktion immer noch zu selten praktiziert. Je einmaliger, neuartiger, komplexer und interdisziplinärer sich ein bestimmtes Projekt präsentiert, desto aufwendiger erweist sich die dazugehörende Projektplanung. Die Stärke eines Projektmanagers liegt in seinem Wissen um die Methoden, mit denen Projekte erfolgreich durchgeführt werden können. Der Projektleiter kümmert sich um Teambildung, Verantwortlichkeiten und Ablaufpläne. In der Umsetzungsphase leitet er das Projektcontrolling, achtet auf die zielgerichtete Entwicklung, motiviert die Beteiligten, fördert die Projektidentifikation und präsentiert die Resultate. Heute wird in der Medienproduktion sehr oft noch mit dem «System Zufall» gearbeitet. Das ist weiter nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Projektmanagement auch in der neusten Bildungsverordnung der Polygrafen kein Thema ist. Ein idealer Ansatz wäre dagegen, vom Beginn der Grundbildung bis zum vierten Lehrjahr die praktischen Tätigkeiten als Projekte zu definieren und die Auszubildenden damit in das Projektmanagement einzuführen.

Unklare Verantwortlichkeiten

Auch bei den Auftraggebern wären in den meisten Fällen organisatorische Änderungen in der Medienproduktion nötig, um mehr Effizienz in der Abwicklung von crossmedialen Kampagnen zu erreichen. Die dabei beteiligten Stellen sind vielfach an verschiedenen Orten in der Unternehmensorganisation platziert und von daher schwer zu koordinieren, denn auch die Verantwortlichen sind nicht immer dieselben. Zudem hat sich ihre Bedeutung in den letzten Jahren verändert. So wurde die Medienproduktion ausgebaut, beispielsweise mit Datenbanken, in denen die digitalen Assets zur Wiederverwendung gelagert werden (Media Asset Management). Doch wer sorgt sich darum, dass diese Möglichkeiten auch richtig ausgenutzt werden?

Oder es wurden umfassende Publishing-Systeme installiert, die eine direkte Zusammenarbeit von internen Diensten und externen Lieferanten erlauben. Doch wer trägt die Verantwortung, dass solche Vereinfachungen auch optimal genutzt werden? Die (technischen) Werkzeuge wurden den crossmedialen Erfordernissen angepasst, die organisatorischen Konsequenzen wurden jedoch vielfach (noch) nicht gezogen. Ein solcher Widerspruch ist schwer verständlich, da in vielen Unternehmen dem Kostensparen eine hohe Priorität eingeräumt wird. Das Kommunikationsbudget kann nicht beliebig ausgedehnt werden; Mehrkosten entstehen etwa durch den Einsatz neuer Medien und die Erhöhung des Werbedruckes, um die Wirkung zu verbessern. Da kann nur eine Effizienzsteigerung in der Umsetzung von Werbekampagnen den Ausgleich schaffen. Dazu braucht es den professionellen Umsetzer, etwa in Form des bereits vorgestellten Crossmedia-Managers. Er koordiniert die internen Stellen zur Medienproduktion, brieft die externen Lieferanten und garantiert so die optimale Ausführung in der gewünschten Zeit zum vorgegebenen Budget.

Durch Standardisierung sparen

Hinzu kommt der Fakt, dass es im weiter anwachsenden Kommunikationsstrom immer mehr Werbung gibt, die sich automatisieren lässt. Eine solche Entwicklung ist aus Kostengründen auch wünschenswert. Ich denke dabei an Firmen, die regelmässig über ein wechselndes Angebot informieren müssen. Oder an Informationen, die sich der Konsument selbst besorgt oder sogar selbst zusammenstellt – aus Informationsmodulen, die ihm zur Verfügung stehen. Die tägliche Information soll standardisiert werden, zudem ist ein Informationsangebot aufzubauen, auf das Interessenten jederzeit und an jedem Ort zugreifen können. Denn der heutige Nutzer ist nicht nur multimedial, sondern er will in seiner Informationssuche auch eigenständig sein. Er holt sich weitere Informationen dann, wenn er dies wünscht.

Die Paradedisziplin in der Werbung, mit neuen, überraschenden Ideen Aufmerksamkeit zu gewinnen, ist nach wie vor bedeutungsvoll, doch sie ist nicht mehr einzigartig. Es braucht bei der standardisierten und weitgehend automatisierten Werbung ebenso den Kreativen. Er gibt den Rahmen vor, definiert die gestalterischen Leitlinien. Dass in der Kommunikation Kreation und Umsetzung zu gleichgewichtigen Partnern werden, haben auch viele Werbeagenturen gemerkt: Sie machen sich im Gebiet der täglichen Werbung und Informationsbereitstellung breit, indem sie dafür spezielle Abteilungen einrichten oder neue Firmen gründen. Denn ein nicht zu unterschätzender Umsatzanteil kommt von der wiederkehrenden Information. Und dass die effiziente Gestaltung von Marketingprozessen das Geschäft von morgen sein kann, ist auch den Unternehmensberatern aufgefallen, die nach und nach in dieses Gebiet eindringen und bei der Verbesserung der Medienproduktion ein Wort mitreden wollen.

swiss publishing day

Nicht nur bei der Software, sondern auch bei den Drucktechnologien schreitet die Entwicklung rasant voran. Der swiss publishing day vom 21. Mai 2015 richtet den Fokus auf diese Innovationen und will als Fachkonferenz Orientierungshilfe bieten, also Druckern und Publishern in einem Tag einen Überblick des aktuellen Standes der Technik geben und aufzeigen, was da auf uns zukommt. Technologie-Scouts und Anbieter präsentieren dabei ihre Visionen und Geschäftsmodelle.

www.swiss-publishing-days.ch

Weiterführende Informationen

Crossmedia ist ein Begriff, der in der Kommunikation momentan für Aufregung sorgt. Vor allem die Media-Fachleute beanspruchen ihn, um sich als Spezialisten auszuzeichnen, welche dank dem richtigen Medienmix die Wirkung einer Werbekampagne steigern können. Beim Fachverband publishingNETWORK erhalten Sie eine Check­liste zur Abklärung des Potenzials im Betrieb oder in der Organisation.

www.publishingNETWORK.ch

Das Projektmanagement ist bei Crossmedia-Projekten eine der wichtigsten Aufgaben und muss im Sinne eines Grundbausteins als Prozess verstanden werden. Je einmaliger, neuartiger, komplexer und interdisziplinärer sich ein Projekt präsentiert, desto aufwendiger erweist sich die Projektplanung. Die Frage des Wie steht immer öfter im Raum. Auf der Mediametro-Plattform finden Sie einen passenden E-Learning-Kurs mit praktischer Vertiefung. Der Autor dieses Kurses, Andreas Sidler, ist als Projektleiter im IT-Umfeld täglich mit dieser Thematik konfrontiert.

Blog zum Modul «Grundlagen Projektmanagement»

www.mediametro.ch

Abonnenten des Publisher können über den Download-Bereich kostenlos auf das Modul «Grundlagen Projektmanagement» samt Übungsaufgaben und Lösungen zugreifen:

Grundlagen Projektmanagement

Aufgaben zum Modul «Grundlagen Projektmanagement»

Lösungen zum Modul «Grundlagen Projektmanagement»

Buchempfehlung Projektmanagement: Informatik-Projektentwicklung, Carl August Zehnder, vdf Praxis und Lehre, ISBN 3 7281 2869 4

Darüber hinaus geben auch die Autoren dieses Artikels gerne Auskunft.

Die Autoren

Hannes Zaugg hat nach der Fotoklasse in der Werbung gearbeitet und wechselte nach dem Wirtschaftsstudium in die Druckbranche. Er ist als Berater und Publizist fokussiert auf Crossmedia-Themen.

hzaugg@print.ch

René Theiler ist Projektleiter Technik beim Fachverband publishingNETWORK sowie Vorstandsmitglied von Ugra und von PDFX-ready. Standards und Automation in Publishing-Prozessen sind momentan die grosse Leidenschaft. Er unterstützt Betriebe bei der Optimierung und Einführung von Crossmedia-Projekten.

rene.theiler@vsd.ch

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