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Publishing 3.0 � light

Welches kleine Grafikatelier träumt nicht von grossen Aufträgen? Sie sind ökonomisch wie inhaltlich interessant und eine gute Referenz. Wer weder programmieren kann noch die finanziellen Mittel hat, kommt mit diesem Workflow weiter.

Guido Köhler Publishing 3.0 heisst für den Autor: Browser öffnen, Layout auswählen, Text in die Felder eingeben, Bilder hochladen, PDF exportieren – fertig ist das Druckerzeugnis.

Nur ist das der Albtraum jedes Gestalters. Alle Seiten sehen exakt gleich aus, jede Änderung muss neu programmiert werden, Bilder können nicht beschnitten werden und der Textumbruch ist erst im PDF ersichtlich. Aber auch die alte, lineare Arbeitsweise hat ausgedient: Autor schreibt – Grafiker layoutet – Illustrator illustriert – wieder Layout – Korrektur – und das Ganze von vorn.

Wir haben uns bei diesem Projekt für einen anderen Weg entschieden. Die Auftragsbeschreibung finden Sie in der Textbox auf der gegenüberliegenden Seite.

Datenaustausch und Auto­matisierung – das A & O

Layouten ist neben der gestalterischen primär eine geistige, sprachliche Leistung. Das merkt, wer in einer ihm fremden Sprache layouten muss. Daneben gibt es einen bedeutenden handwerklichen Teil und dieser muss bei Grossprojekten möglichst effizient abgearbeitet werden.

Effizienz bedeutet meist den konsequenten Einsatz von XML. Das funktioniert aber nur, wenn die von der Gestaltung geprägte Struktur der Dokumente festgelegt wurde und die Autoren zumindest einen Editor bedienen können. All das war bei unserem Projekt nicht der Fall.

Wir haben uns deshalb für einen Workflow mit formatierten Word-Dokumenten entschieden (siehe auch Publisher 1-10, Seite 14).

Neue, alte «Zwischenwege»

Um es vorwegzunehmen, ganz ohne Datenbank, CMS und XML geht es nicht. Dieser Anteil ist jedoch gering und kann extern in Auftrag gegeben werden. Im Kern versucht diese Workflow-Lösung die Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen den Programmen Word und InDesign geschickt auszunutzen. Nichts eigentlich Neues, es geht aber um die Optimierung! Dazu gehört, dass Austauschprobleme zwischen den Programmen automatisch gelöst werden, beispielsweise mit der GREP-Funktion von InDesign.

Gestaltung als Schlüssel

Für die Gestaltung und das Layout haben wir Hunderte Lehrbücher studiert. Wir wollten eine sehr einfache typografische Struktur finden, die es den Autoren erlaubt, den gesamten Text ohne Mehraufwand selbst zu formatieren.

Es gab folgende Hierarchie: Kapitel, Unterkapitel, Thema, Zwischentitel, Überschriften und Text sowie Marginalien. Nur die vier Letztgenannten mussten die Autoren formatieren.

Checkliste für Schwachstellen

Automatisierung und Layout sind nicht die einzigen Aufgaben, die bei sehr grossen Aufträgen anfallen. Kleine Ateliers müssen hier Leistungen erbringen, wie sie grosse Agenturen anbieten. Dazu gehören beispielsweise Kenntnisse in Urheberrecht, Sitzungsleitung, Projektplanung, Controlling usw. Und ganz wichtig: Man muss die Programme von Microsoft­ anwenden können.

Neben den Word-Vorlagen dient eine Checkliste dazu, den genauen Ablauf zu visualisieren, um Schwachstellen aufzudecken, die bei jedem Auftrag anders gelagert sein können. Die Liste hält unter anderem fest, welche typografischen Elemente technisch bewältigt werden müssen. Ausserdem listet sie alle Anforderungen wie beispielsweise die Mehrsprachigkeit auf.

Vorgehen

Gestaltet wird in InDesign, die Absatzformate werden via Kopieren-Einsetzen nach Word transferiert oder als RTF exportiert, müssen in Word aber zwingend nachgebessert werden.

Einige Tipps: Absatzformate dürfen keine Umlaute im Namen enthalten, sie dürfen nicht gleich heissen wie die Absatzformate in Word (Standard, Textkörper usw.). Eine alphanumerische Namensgebung hat sich bewährt: also beispielsweise 01_Head, 02_Lead, 03_Body, 03_Body-mit usw. InDesign erlaubt beim Import eine genaue Zuordnung der Formate, womit verhindert wird, dass man den ganzen Word-Absatzformatemüll mitimportiert. Die Importeinstellungen sollten gesichert werden, sonst muss man sie bei jedem Import erneut manuell festlegen.

Welches Format verwenden?

Das doc- und das neuere docx-Format sind für die Vorlagen dem RTF-Format vorzuziehen. Dies, weil Seitenumbrüche, Listen, Tabellen und Kastentexte unterstützt werden. Ausserdem können Versionen und Änderungen verglichen werden, alles wichtige Dinge, die die Autoren bei uns immer wieder wünschen.

Und was ist mit den Bildern?

Im konkreten Falle des beschriebenen Lehrordners haben wir eine sehr spezifische Lösung gefunden. Aus urheberrechtlichen Gründen wurden fast alle Bildvorlagen von uns in Illustrator neu gezeichnet oder von uns neu fotografiert. Die Bildvorlagen legen die Autoren in einer eigenen Word-Datei ab, welche am Schluss gelöscht wird. Ein Vermerk in der Bildlegende und im Literaturverzeichnis stellt die Rückverfolgung zur Quelle sicher.

Vor- und Nachteile

Der grösste Vorteil liegt sicherlich in der Verbreitung von Microsoft Word. Die meisten Autoren können mit Absatzformaten und Word-Vorlagen umgehen. Ausserdem sehen die Autoren bei installierten Fonts den Text korrekt, dies im Gegensatz zu XML. Bei reibungslosem Ablauf ist die Zeitersparnis beim Import – nicht nur bei umfangreichen Dokumenten – enorm.

Nachteile liegen in den vielen kleinen Details, die nachgebessert werden müssen. Absatzformate können einfach weniger als XML.

Dazu kommen noch ein paar Unannehmlichkeiten: Ne­gativ­schrift in Balken und Tabellenköpfen werden nur in RGB-Farben erkannt, die Übernahme gewisser Listen ist nicht möglich. Und die Unterstützung von Marginalien ist wirklich marginal.

Da InDesign nur RTF ausgeben kann, muss das Dokument als RTF exportiert werden. Das ist vor allem beim erneuten Import, beispielsweise eines bearbeiteten Textes, nötig. Zwar kann der Text mit Kopieren-Einsetzen ebenfalls übertragen werden, aber bereits bei 20 Seiten ist das ein umständliches Vorgehen.

Ärgerlich ist zudem, dass Absatzformat­ordner (Formatgruppen) von InDesign nicht unterstützt werden. Das heisst, alle Formate, die Sie in der Word-Vorlage eingesetzt haben, dürfen sich demnach nicht in Formatgruppen von InDesign befinden.

Optimierung

Der Workflow lässt sich stark optimieren, beispielsweise mit GREP-Styles oder GREP-Suchfunktionen. Exten­sions wie LayoutZone oder SmartStyles helfen per Knopfdruck oder über ein Droplet, Formatierungen und Exporte zu erzeugen. Wer die ganze Power von InDesign ausreizt, kann sehr weit kommen.

Zu empfehlen ist auch eine Extension, welche die Deutschschweizer Silbentrennung von InDesign verbessert. Zusätzlich helfen Scripts, um beispielsweise unerwünschte RGB-Farben zu entfernen.

Bildformate und Korrektorat

Neben der Frage des Textimports und -exports sowie dem erneuten Import gibt es ein paar ungelöste Probleme, die nichts mit der Methode zu tun haben. So haben wir alle Illustrationen in Illustrator gezeichnet und im AI-Format importiert, um vom vollen Programmumfang profitieren zu können. Das AI-Format ist aber nicht W3C-konform und kann weder von Browsern noch von Betriebssystemen dargestellt werden. Hier wäre es wichtig, dass Adobe bei Illustrator-Dateien eine Vorschau implementiert, die als Standard anerkannt ist.

Ein weiteres Problem ist, dass viele Korrektoren ausschliesslich auf Papier arbeiten. Egal, ob Datenbank oder Absatzformat, die Korrekturen müssen von Hand nachgetragen werden. Hier wäre ein Umdenken dringend nötig. Zumindest ein PDF-Workflow wäre wünschenswert.

Einfluss der Gestaltung

Die Gestaltung auf eine Methode auszurichten, führt zu Gleichmacherei. Deshalb sehen ja auch alle Blogs, die in WordPress erstellt wurden, sehr ähnlich aus. Trotzdem können gestalterische Entscheidungen zur Vereinfachung des Layouts führen, ohne dass dies zu einer Standardlösung führt. Wir haben bei der Schriftwahl neben der Ästhetik auch auf einen guten Maschinensatz geachtet. Die Umbruchqualitäten können von Font zu Font enorm variieren. So entfallen aufwändige Handkorrekturen.

OTF-Schriften – am besten als Pro-Version – sind zwingend, und zwar auch für Symbolschriften, um Kompatibilitätsprobleme zu verhindern.

Briefing des Autorenteams

Es mag banal klingen, doch einfache Dinge wie ein geschütztes Leerzeichen vor Einheiten erleichtern das Leben des Layouters. Auch hundert Mal «du» in «Sie» umwandeln zu müssen, ist nicht lustig. Zwar gibt es GREP für ein schnelles Ersetzen, aber nicht alles kann damit abgefangen werden. Es ist wichtig, die Autoren von Anfang an mit an Board zu holen und gut anzuweisen.

Wir haben uns sogar dazu entschlossen, ein Schreibseminar mit einer Texterin zu veranstalten.

Es ist erstaunlich, wie sich eine einheitliche Sprache positiv auf den Umbruch auswirkt. So werden für Fremdwörter – wenn immer möglich – die deutschen Synonyme verwendet.

Die Autoren haben neben den Word-Vorlagen ein Blatt mit den wichtigsten typografischen Regeln und den Einstellungen und Besonderheiten von Microsoft Word erhalten.

Fazit

Die Methode stösst bei komplexen Aufträgen rasch an ihre Grenzen. Ein Blick auf die Tabelle zeigt Stärken und Schwächen. Die Stärken der Methode liegen klar im Preis, im WYSIWYG sowie bei der hohen Fehlertoleranz.

Eine Kostenevaluation im Vorfeld hat rund 20 000 Franken für eine Lösung mit einem Redaktionssystem und InCopy ergeben. Das Erstellen der Word-Vorlagen und das Briefing der Autoren hat hingegen lediglich 1000 Franken gekostet.

Hier möchte ich nochmals auf die Check­liste hinweisen. Zeigt sich, dass Texte immer wieder in neuer, überarbeiteter Form importiert werden müssen, offenbaren sich die Schwächen sehr schnell auch finanziell.

Da in der Schweiz häufig mehrsprachig publiziert werden muss, werfen wir noch einen Blick auf diesen Punkt.

Bei einer zusätzlichen Sprache, beispielsweise Englisch, kann gerade noch mit Absatzformaten gearbeitet werden. Bei mehreren Sprachen, in Verbindung mit hohen Seitenanzahlen, ist eine XML-Lösung oder ein Redaktionssystem vorzuziehen. Topix bietet mit vjoon K2 ein Produkt mit einer 5er-Lizenz an.

 

Weitere Informationen inkl. Screenshots und Checkliste finden Sie im Downloadbereich.

Der Auftrag

Im konkreten Fall ging es darum, einen Lehrordner in 4 Teilen (1 Basis- und 3 Fachrichtungsordner) mit total 1200 Seiten zu layouten und 800 Illustrationen und Bilder anzufertigen. Jeder Bundesordner enthält eine interaktive CD mit ergänzendem Bildmaterial, Templates, PDFs und Weblinks.

Der erste Teil, der Basisordner, mit 600 Seiten und 500 Illustrationen wurde in 13 Monaten produziert (mit einem Arbeitspensum von nur 120 Stellenprozent).

Auftraggeber ist der Schweizerische Verband für die Ausbildung in Tierpflege (SVBT). www.tierpfleger.ch.

Skills/Costs

Das muss man können

Word-Vorlagen erstellen

Einfache GREP-Stile und -Suchabfragen.

Das kann man extern vergeben

CMS (Datenbank), Kosten: ungefähr 3000 bis 5000 Franken.

XML-Struktur (für die CD: ca. 2000 Franken).

Ungefähr 500 – 800 Franken sollte man für Extensions pro Layout-Arbeitsplatz einsetzen.

Der Autor

Guido Köhler ist diplomierter wissenschaftlicher Illustrator und Inhaber des Ateliers Guido Köhler & Co. in Binningen BL.

Ausserdem ist er Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), wo er digitale Illustration, Layout, Produk­tions­technik und Geschäftskunde unterrichtet.

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