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Neue Polygrafenausbildung � was bringts?

Der Entwurf zur neuen Polygrafenausbildung geht in die Vernehmlassung: Reden Sie mit!

Quo vadis Polygraf?

Jetzt werden die Weichen zu einer neuen Polygrafenausbildung gestellt. René Theiler hinterfragt einige Kernpunkte kritisch und will die Vernehmlassung mit einer Umfrage breit abstützen.

RENE THEILER Im Bereich der Polygrafen-Grundbildung ist eine Arbeitsgruppe der Paritätischen Berufsbildungsstelle für visuelle Kommunikation (PBS) an der Ausarbeitung eines Entwurfs einer neuen Bildungsverordnung (BiVo). Diese soll bereits ab Januar 2006 definitiv für die Grundbildung in der Druckvorstufe eingesetzt werden. Mit diesem Artikel soll aufgezeigt werden, wo in der Gestaltung des neuen Druckvorstufen-Berufes Handlungsbedarf besteht. In den nächsten Wochen findet eine Vernehmlassung zu diesem Entwurf statt, an dem die betroffenen Unternehmer, Berufsbildner und Lernende sich für Ihre Anliegen einsetzen müssen. Anschliessend ist die Grundbildung für die nächsten Jahre zementiert.

Reizthema Grundschuljahr

Vor drei Jahren ist bei der Ausbildung von Polygrafen am Start der Ausbildung ein Basisjahr (reines Schuljahr) gegen den Willen vieler Betriebe und auch den Lernenden eingeführt worden. Bei der neuen BiVo ist für die Verantwortlichen dieses Thema offenbar fix gesetzt. Im Gegensatz dazu sind die Erwartungen der Lehrbetriebe für die duale Ausbildung total gegenläufig. Den Betrieben fehlt die praktische Ausbildung in diesem Jahr, denn eine Schulung in den Publishing-Programmen findet in diesem Schuljahr leider nicht statt.

Dass zwei Jahre Theorie in eines verschoben wurden, ist den Lehrbetrieben in der Regel gar nicht bewusst. Das Modell des Basisjahres belastet die Lernenden mit Wissen, das sie ohne praktische Umsetzung oft nicht richtig verstehen. Das hat auch bei einigen Berufsbildern zu der Aussage geführt, dass dieses Basisjahr an der Berufsschule für sie ein verlorenes praktisches Lehrjahr ist. Ein Berufsbildner brachte das so zum Ausdruck: «Wir fangen jetzt bei minus eins an». In Gesprächen mit Leuten, die sich in der Grundbildung einsetzen, kommt dann auch immer wieder der Wunsch nach einem Blockunterricht auf. Mit diesen Blöcken könnte die in der Berufsschule vermittelte Theorie mit praktischen Arbeiten umgesetzt werden. Die Betriebe müssen nun dieses Model für die Grundbildung viel heftiger fordern.

Berufsschulen als Partner

Die Berufsschulen haben in den letzten Jahren eigene Konzepte erarbeitet und das Basisjahr gemäss dem Stoffplan mit ihren Inhalten gefüllt. Die Verantwortlichen in den Berufsschulen haben sehr schnell festgestellt, dass nur mit der Vermittlung von Theorie nicht viel zu erreichen ist. Trotzdem wird von der Arbeitsgruppe der PBS das Basisjahr als das Mass aller Dinge zelebriert. Auch mit Projekten in den Berufsschulen kann die praktische Ausbildung im Betrieb nicht ersetzt werden. Bei Gesprächen mit Berufsbildnern und Lernenden in verschiedenen Betrieben in der Schweiz wird dieses Basisjahr mehrheitlich abgelehnt.

«Wir bezahlen mit unseren Steuergeldern eine teure Infrastruktur in den Berufsschulen. Ich fordere eine praktische Nutzung auch im Unterricht.» Diese Aussage machte ein engagierter Berufsbildner bei einem Interview. Er trifft damit eines der Probleme in der heutigen Ausbildung ganz direkt: Wissen muss mit praktischer Anwendung viel mehr verschmelzen. Basiswissen in Ehren – die Vermittlung von Grundlagen kann heute ideal auch in den Programmen wie InDesign oder Quark-XPress stattfinden.

Grundsätzlich hat sich der Unterrichtsstoff der vier Lehrjahre des heutigen Polygrafen einfach verschoben. Das heisst, der theoretische Teil der ursprünglich ersten zwei Lehrjahre wurde ins erste Jahr verschoben, mehr nicht. Hier entstehen bereits oft falsche Vorstellungen seitens der Betriebe. Die zehn Wochen Praktika während dem ersten Lehrjahr fallen in die Schulferien und sind ein fauler Kompromiss an die Berufsschulen. In diesen paar Wochen bekommt der Lehrling auch keine Bindung zum Betrieb. Als Lösung dieses Problems könnte das degressive Schulmodel in Luzern – dieses verteilt den Schulstoff auf zwei Jahre – richtungweisend sein. Denn im Basisjahr ist zu viel Theorie vorhanden, die von den Lernenden nicht mehr geschluckt werden kann. Provokativ gesagt: Die vielen Lektionen trockene Theorie werden nicht mehr verstanden, wenn die Lernenden diese nicht anwenden können. Mit dem degressiven Modell sparen wir zusätzlich Kosten bei den Lehrpersonen, weil der Unterricht besser koordiniert werden kann (Peter Steingruber, Rektor BBLZ). Dies ist ein zusätzliches Argument, das beim grossen Spardruck vieler Kantone ein Auslöser für eine Änderung sein könnte.

Was viele Berufsbildner vermissen, ist eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen ihnen und der Berufsschule mit Aufgaben oder Übungen, in denen sie den Wissensstand des Lehrlings sehen könnten. Diesem Anspruch muss in Zukunft unbedingt mehr Rechnung getragen werden.

Überbetriebliche Kurse

Die Überbetrieblichen Kurse (üK) sind ein wichtiger Bestandteil des dualen Bildungssystem und dabei von den Kantonen subventioniert und den Trägerverbänden finanziert. Sie sollen jeweils den Einstieg in ein neues Themengebiet geben. In der jetzt gültigen Bildungsverordnung sind auch diese Kurse zu wenig praxisorientiert. Im ersten Lehrjahr sollte in diesen Kursen das Verständnis in den Publishing-Programmen geschult werden. Anschliessend müssen die weiteren üK’s eine klar projektorientierte Ausrichtung haben. Das Ziel einer üK-Woche könnte zum Beispiel die Gestaltung und Produktion einer Broschüre sein. Es könnten aber auch Themen wie das Lösen von Ausgabeproblemen mit einer CTP-Anlage oder die Aufbereitung einer PDF/X-3 Datei für einen Inserateversand sein. Die üK der Zukunft müssen viel mehr im Inhalt differenzieren, da die Lernenden mit unterschiedlichen Kenntnissen sowie Anforderungen aus dem Betrieb in die Kurse kommen. Das kann dann auch sein, das ein üK zum Thema Gestaltung in Bern stattfindet, ein üK zur Ausgabeproblematik in Zürich. Den Lehrbetrieben könnte so auch eine modulare Form der Kurse angeboten werden. Ganz bestimmt müssen wir uns aber schon aus Kostengründen vom Regionalen Gedanken, alles überall anzubieten, sehr schnell lösen. Für eine seriöse Durchführung, müsste man erst abchecken, was der Lernende bereits kann, und dann individuell ein Programm zusammenstellen. Dieser Test könnte auch mit einer Lernplattform stattfinden, wie im Beispiel des VSD mit Learn4print.com mit dem Einstiegstest.

Anforderungsprofil

Die Anforderung an die Polygrafen der Zukunft sieht die Arbeitsgruppe der PBS in den Fachrichtungen Medien­beratung, Mediengestaltung sowie Medienproduktion. Die Aufteilung in diese drei Berufsrichtungen wird für die grafische Industrie ganz bestimmt zu keiner Verbesserung führen. Im Gegenteil: viele der grafischen Betriebe/Druckereien sind heute leider nicht in der Lage, Medienberatung und Mediengestaltung auszubilden. Dies wird also wiederum den Agenturen vorbehalten bleiben. Wie schwierig es für die grafischen Betriebe ist, Beratung und Konzeption zu akquirieren, weiss jeder, welcher sich an der Front für diese Aufträge einsetzt. Mit dieser neuen Zerstückelung wird es für die grafischen Betriebe noch schwieriger, Beratungs- und Gestaltungsaufträge zurück in die Druckereien zu holen. Der grafischen Branche wird es weiterhin vorbehalten bleiben, die angehenden Berufsleute in der Fachrichtung Medienproduktion auszubilden. Dass diese Leute nach wie vor von den Agenturen abgeworben werden, kann mit dem neuen Grundbild nicht verhindert werden. Ausserdem stellt sich die Frage, wie dieses Aufteilen der Anforderungsprofile überhaupt finanziert werden soll.

Jetzt liegt es an den Betrieben, bei der Vernehmlassung ihre Wünsche einzubringen. Die grafische Industrie braucht wirklich neue Impulse in der Ausbildung. Die Beratung und die Gestaltung muss in der normalen Grundausbildung eines Polygrafen beinhaltet sein. Wir müssen unsere angehenden Fachleute zwingend dahingehend ausbilden, dass sie sich von den Quereinsteigern abheben und wir so professionelle Konzepte und Gestaltungen unseren Kunden anbieten können.

Kasten «Umfrage»

Eine Arbeitsgruppe des Viscom und der Comedia hat einen Entwurf für die neue Polygrafenausbildung erarbeitet. Diese soll am 1.1.2006 in Kraft treten und wird der Druckindustrie bis 31.10.2005 zur Vernehmlassung unterbreitet. Die Eckpunkte der Neuerungen sind:

  • 3 Fachrichtungen (Beratung/Gestaltung/Produktion)
  • definitive Einführung des Basisjahres (1. Lehrjahr ganz an der Schule)
  • Namensgebung: Polygraf/in oder Mediengestalter/in

Mit der Erweiterung des Ausbildungsspektrums Richtung Gestaltung und Beratung möch­ten die Initianten die Wert­schöpfungskette von Druckereibetrieben erweitern (Gesamtdienstleister). Zudem sollen in Zukunft auch Grafikateliers und Werbeagenturen Polygrafen ausbilden können. Im Hinblick auf die Praxistauglichkeit der Vorstufenausbildung stellen sich folgende Fragen: n Kann man Gestaltung und Produktion in der Praxis klar trennen (Agenturumfeld)?

  • Kann jemand in der Beratung tätig sein, der nicht aus dem Produktionsumfeld kommt?
  • Kann die Berufsfachschule die praxisgerechte Ausbildung im 1. Lehrjahr übernehmen?

Beteiligen Sie sich an der «Baromter-Umfrage» zu diesem kontroversen Thema unter www.mediaforum.ch/barometer und an der ausführlichen Erhebung unter www.druckindustrie.ch/umfrage