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Schein und Sein

Eitelkeit und Egoismus sind Triebkr�fte, gegen die es gnadenlos anzugehen gilt.

RALF TURTSCHI Es herrscht Katerstimmung in der Modewelt. Wenn sogar Karl Lagerfeld keine magersüchtigen Models mehr auf den Catwalks sehen will, dann ist Alarmstufe rot. Models sind nicht mehr, was sie einmal waren. Erst auf die Haut abgemagert, spritzen sie sich mittels Botox wieder Rundungen ins Gesicht und setzen Silikonkisschen in die Brustlappen ein. Eine ganze Gilde von «Schönheits-»fetischisten ist daran, die Massstäbe neu zu definieren und der Hang zum Schönen macht vor Herr und Frau Schweizer nicht Halt. Fettabsaugen statt gesunde Ernährung, Viagra statt in Würde altern, Fettkillerpillen statt natürliche Bewegung, Fratze statt Falten. Alles ist möglich in der Welt der Begehrlichkeiten. Nur dem gesellschaftlichen Ideal entsprechen. Die Medien sind die Wahnsinnstreiber: In den Soaps und People-Magazinen erscheinen nur die Schönen und Schlanken, wir sollen zu den Stars und Sternchen aufsehen können. Wir werden dauererniedrigt, weniger schön und weniger reich zu sein und überhaupt ein langweiligeres Leben zu führen, in dem nicht jede Woche ein neues Abenteuer winkt.

Dabei wissen wir alle, dass dies nicht das wirkliche Leben ist. Im wirklichen Leben gibt es Scheininvalide, Scheinheirat, Scheinselbstständigkeit, Scheinasylanten, Schein­pensionäre und Scheinoppositionelle. Wir leben in einer Scheinwelt. Gerade wir Gestalter können darüber ein Liedchen singen. Sind nicht wir es, die mit unserer Arbeit die Scheinwelt unterstützen? Sind wir nicht ebensolche Schönheitsfetis? Gute Typografie und schönes Design machen noch lange keine wertvollen Produkte, keine lesenswerten Inhalte! Wie viele Schrott­romane werden nur verkauft, weil das Cover ansprechend gestaltet ist? Weshalb wohl wird der Publisher völlig anders wahrgenommen, seit sein Inhalt nicht einfach nur mit «rotem Einwickelpapier» gecovert ist? Sind deswegen auch die Inhalte nützlicher, die Schreiber pulitzerpreiswürdiger geworden? Wenn Sie all die aufgeworfenen Fragen mit einem klaren Ja, Ja, Nein, Ja, Nein beantworten können, dann rufen Sie bitte unsere TED-Nummer 052 269 18 30 an. Wenn Sie jedoch der Meinung sind Nein, Ja, Nein, Ja, Ja treffe zu, dann rufen Sie bitte die Nummer mit der Endzahl 36 an (70 Rp./Anruf; davon wird je die Hälfte in die Kasse der Swisscom und des Publisher-Verlages gespült).

Es gibt in Gestaltungsfragen natürlich auch lobenswerte Beispiele, die nicht zum Ziel haben, etwas vorzutäuschen. Das Stichwort Swisscom ist bereits gefallen. Anfang März wurden wir Kosumenten mit einem neuen Logo der Londoner Agentur Moving Brands beglückt. Die bisher eigenständigen Auftritte für Fixnet, Mobile, Solutions und der geniale Bluewin-Auftritt wurden alle durch einen blau-roten Shiitakepilz ersetzt, der sich im Kreis dreht. Sie kennen sicher meine Abneigung gegenüber sich im Kreis drehenden Logo, welches in den Neunzigern die Websites sämtlicher Handwerker zierte. Nun ist diese Nullnummer also auf den Riesen Swisscom übergeschnappt. Der Pilz steht in der Mitte über dem etwas angepassten Schriftzug aus der Thesis-Familie (The Sans). Bei Rechnungen, Ladenbeschriftungen und im Web steht das Zeichen kleiner vor dem Schriftzug. Das Gesetz der Einfachheit bedeutet, dass wir bevorzugt ein­fache Formen wahrnehmen. Der Pilz ist formal so kompliziert, dass man es auch nach längerem Studium nicht schafft, ihn zu zeichnen. Im Gegensatz zum Mercedes-Stern oder den Audi-Ringen. Nun ist der Shiitakepilz dominanter als der Schriftzug, Adaption von Bruno Maag, ebenfalls ein kapitaler Bock. Die Moving-Agentur legt natürlich mehr Wert auf die Animation als auf die Marke. Welche Eitelkeit und welcher Selbstdarstellungstrieb haben da wohl dominiert? Ein gutes Logo lässt sich in allen Medien einsetzen, auch in unbewegten Printprodukten. Das neue Swisscom-Logo besitzt einen Verlauf, Folien schneiden für die Fahrzeugbeschriftung geht also nicht. Dann ist Transparenz vorhanden, die schwierig durchzuziehen ist. Die Schwarz-Weiss-Umsetzung ist mit Linien bewerkstelligt – ein Rückfall in die 70er-Jahre. Auf der Einführungskampagne ist das Logo auf den Plakaten kaum zu sehen – da ändern auch die blau-roten Bogenelemente des Pilzes nichts. Die Anzeigen (20 Minuten) kommen im Schmuddellook, das Logo in farbigem Grund ist überhaupt nicht mehr zu erkennen. Die Website zeigt lächelnde 08/15-Business-People – Branding ade.

Respekt vor dieser mutigen Ideenlosig­keit. Wo bleibt der Berater, welcher den drei umsetzenden Werbeagenturen Publicis, Contexta und Jung v. Matt/Limmat und den Swisscom-Oberen das kleine Einmaleins der Markengestaltung beibringt? Immerhin kann sich Swisscom leisten, entgegen allen Regeln daherzukommen. Konkurrentin Sunrise ist noch immer bemüht, den neuen Schriftzug aus der Frutiger Black im gelb-orange-roten Streifenfarbverlauf durchzusetzen. Die Sunrise-Plakate sind im Grafikdesign etwa auf dem Niveau des Total-Liquidations-Teppich-Outlet-Verkaufs. Ist schlechter Geschmack ansteckend?

Trotz all dem Makel wird nichts passieren. Die Swisscom wird weiterhin 35 Rp. pro TED-Anruf kassieren und uns mit Werbung zukleistern. Viel stärker als Grafikdesign wirkt im Branding nämlich das Gesetz der Penetration. Etwas Schlechtes millionenfach unters Volk gebracht, wird zur Normalität. Gewöhnlich – so wie das Swisscom-Gesicht. Bei kleineren Unternehmen ist das Preis-Leistungs-Verhältnis umgekehrt proportional: Mehr Leistung für weniger Geld.