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�ber die Toleranz

In den wirren Aufräumarbeiten in der Folge des Finanz-­tsunamis verbindet Katastrophenhelfer die christliche ­Tradition – vergebet den Sündern bei Werteverlusten ...
Ralf Turtschi Hierzulande ist man sich gewohnt, bei Kleinkrediten von den Banken bis auf die Unterhose ausgezogen zu werden. Die ersten Nacktscanner für Bonitätsprüfungen sind schon bestellt. Wer ein neues Schlafzimmer kaufen will, ist nur kreditwürdig, wenn er nicht bereits in der Kreide steht, einen festen Wohnsitz hat, die letzten fünf Jahre höchstens einmal den Arbeitgeber gewechselt hat, keine Betreibungen gegen sich vorliegen hat, nicht vorbestraft ist und einem geregelten Sexleben nachgeht.

In den USA werden andere Massstäbe angelegt. Da genügen blaue Augen, eine Cheerleader-Figur und eine republikanische Gesinnung, um Wohneigentum zu erlangen. Das Dumme daran ist nicht, was die Amerikaner tun, sondern dass sie sich das Ganze von uns Ausländern finanzieren lassen. Die Dummen sind also nicht sie, sondern wir. Aber auch das ist nichts Neues. Die US-Bürger leben schon seit je auf Pump. Da mutet die Äusserung von König Pascal zynisch an: «Warum soll man pumpen, wenn es nischt nötig ist?» Ein paar Tage darauf musste das Volk zur Kenntnis nehmen, dass die UBS mit 6 Mrd. wandelangeleiht und mit weiteren 62 Mrd. von faulen Positionen entlastet wird. Die UBS steht nun bei uns Gemeinen in der Kreide, ohne dass der Verwaltungsratspräsident bis auf die Unterhosen ausgezogen wurde. Obwohl die Vorstellung von Peter ­Kurers Höschen schon seinen Reiz hat. Für diese Toleranz nehmen wir den Wucherzins von 12,5%. Nehmen ist etwas anderes als Geben. Die Swissair musste grounden – die UBS zog den Stecker wegen lächerlicher 2 Milliarden raus! Nun, da die UBS selbst Strom benötigt, wird ihr grosszügig gegeben. 6 Milliarden Franken. Find ich gut, dass Old Pete den Zustupf zweckgebunden an seine Entourage als Bonus weiterreicht. Das schafft echt Ver­trauen ins Management.

Nachdem die Kantone und Kantonalbanken vom Nationalbankgold profitieren konnten, war für einmal die UBS an der Reihe. Die Kantonalbanken bekommen ihren fetten Teil bereits weg: Fluchtgelder in astronomischer Höhe. Nein, die ausgepumpte UBS braucht unsere Spritze als legales Blut­doping, um höchste Erträge zu realisieren, die von Geldgebern, kleineren und grösseren Sparern, gefordert werden. Denn wer gibt sich schon zufrieden mit schlaffen 21/2%, wenn er 15% ohne Wertschöpfung schröpfen kann? Man darf die Krise nicht so eng sehen. Toleranz ist angesagt! Schon der «Weltwoche»-­Pamphletist Köppel beruhigte: La crise n’existe pas. Recht hat er, man muss es gelassen sehen. Die Gelder waren ja nie existent, niemand weiss, woher die nicht vorhandenen Gelder kamen und wohin sie gingen. Money in the mist.

Eine Analogie zum besseren Verständnis: Als stilsicherer Publisher wollen Sie der Swisscom ein neues Logo gestalten und budgetieren den Wert von 150 000 Franken, die Sie bei einer Realisierung erhalten werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintritt, beträgt nach komplexen Formeln der Uni­versity of Cambridge 1%, also 1500 Franken. Mit diesem so strukturierten Produkt gehen Sie zur UBS und kaufen für 1500 Fränkli UBS-Aktien, die Ihnen dort schnurgebün­delt ausgehändigt werden. Ohne Lastwagen kriegen Sie diese Altlasten nicht vom Paradeplatz weg. Wir gehen optimistisch davon aus, dass die Aktie wieder zulegen wird und Sie nach zwei Monaten Lagerhaltung – falls der Haufen nicht zu Kompost verfault ist – einen stattlichen Gewinn von 1500 Franken abzocken. Mit diesem Spekulativgewinn kaufen Sie wieder UBS-Aktien und gewinnen wieder! Gleich dem Zinseszins gibt es einen Gewinngewinn, was in der populären Entsprechung Win-win bedeutet. Falls die Nationalbank dann nicht einschreitet, können Sie in 10 Jahren die Swisscom übernehmen und einen Grafiker beauftragen, für 1500 Franken ein neues Logo zu gestalten. Der Preis ist dann 100-mal günstiger, weil inzwischen der Franken so stark ist. Die Differenz zu Ihrem Ersteinsatz lassen Sie sich als Bonus auszahlen. Das Risiko liegt schliesslich bei Ihnen.

Sich Boni auszahlen lassen und Gier sind ja laut unserem Finanzminister Todsünden. Was sich als Gier bei den Bankern manifestiert, ist die Geiz-ist-geil-Mentalität beim kleinen Büezer. Schnäppchenjagd, Ausverkauf, Ikea und 50 km weit zu Aldi fahren, das sind Todsünden, die sich auf unsere Margen, Gewinne und Löhne auswirken.

Aber sind wir doch tolerant gegenüber «Haushaltsoptimierungen». Auch die staatlichen Eingriffe weltweit sind nur dadurch motiviert, Vorteile herauszuschinden. Ob der Staat nun die Landwirtschaft jährlich mit 2,6 Mrd. Franken Direktzahlungen am Leben erhält, Entlassungen in der Bauwirtschaft mit Schlechtwetterzuschüssen verhindert, ob die Hotellerie mit einem tieferen Mehrwert­steuersatz gestützt wird oder die Buchpreisbindung den Buchhandel schützt, immer schöppelt er schwächelnde Strukturen durch. Warum nicht einmal die Banken berücksichtigen, wenn schon die randständige Pharma durch das Verbot der ­Parallelimporte weiter ein karges Auskommen haben darf und nicht durch günstigere Medis in den kollektiven Konkurs gefahren wird? Willkommen im Armenhaus, liebe Banken! Ich bin sicher, Vasella wird einen Absolute-Target-Fonds propagieren, der Bankern mit unter sechsstelligen Boni unter die Arme greifen wird. Eine klitzekleine Krankenkassen-Prämien­erhöhung wird dafür genügen. Solidarität ist alles. Und irgendwann sind wir dran.